Fleischbrücke. Gerd Hans Schmidt

Fleischbrücke - Gerd Hans Schmidt


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vor einer Woche diese Tat angekündigt hätte, hätten Sie mich für verrückt erklärt. Sie hätten argumentiert, dass so etwas hier in Nürnberg ›sicher‹ nicht passiert. Aber deswegen legen wir den Fall nicht zu den Akten. Ganz im Gegenteil. Die Ermittlungsarbeit wird unvermindert und mit Nachdruck fortgesetzt, da können Sie versichert sein!«

      »Und was, wenn doch so ein Rückfalltäter am Werk ist?«

      »Wir haben das überprüft. In den letzten acht Monaten ist kein relevanter Fall aus Haft oder psychiatrischer Unterbringung entlassen worden. In ganz Deutschland nicht. Und unser Kommissar Cem Arslan hier hat die angrenzenden EU-Staaten mit einbezogen.«

      »Herr Schmitt, kann unsere Stadt wieder zur Tagesordnung übergehen?«

      Der OB will beruhigt werden.

      »Die Bürger dieser Stadt, ja. Die Polizei, nein. Wir werden alles daran setzen, dieses abscheuliche Verbrechen endgültig aufzuklären!«

      Es folgt zwar kein Applaus, aber die Presseleute ziehen ohne Murren ab.

      Dr. Ruschka nickt mir dankbar zu.

      Draußen im Treppenhaus nimmt mich dieser Lehmann von der Süddeutschen am Arm und zieht mich zur Seite.

      »Das haben Sie gut gemacht, Herr Schmitt. Aber glauben Sie im Ernst an diese Geschichte? Ein Täter, der herumzieht und nur einmal pro Land zuschlägt? Das ist ein Psychopath und der schlägt zu, wenn er die Gelegenheit bekommt!«

      »Sie haben uns damals sehr geholfen, Herr Lehmann. Jetzt kenne ich wenigstens Ihren Namen. Damals haben Sie mir Ihren Namen nicht verraten, heute verrate ich Ihnen meine Strategie nicht. Ich denke, wir sehen uns noch! Ich muss in eine Besprechung.«

      Bevor ich mich jetzt noch auf ein Gespräch einlasse, bei dem ich konkreter werden müsste, bevorzuge ich den Rückzug.

      »Das hast du aber sehr diplomatisch gelöst, mein Wolff.«

      Das Lob kommt von Ilse.

      »Danke. Aber ich muss mich trotzdem erst noch an meine neue Position gewöhnen. Du, ich sag’s dir, der Herbert wächst geradezu über sich hinaus. Ich kann die Nummer hier und heute nur ihm verdanken. Der hatte alles ganz genau vorbereitet.«

      »Also nicht die Neue!«

      »Ilse, jetzt hör’ auf damit. Ich habe mir die Personalsituation vorher genau angesehen. Wir brauchten dringend Verstärkung und Hannah war die einzige Option. Zeugnisse, Beurteilungen, Fortbildungen, das war genau das, was ich gesucht habe.«

      »Und da kommen natürlich das Aussehen und das Alter gerade recht!«

      »Ah. Schon wieder. Du bist eifersüchtig, Ilse. Natürlich ist es schön, wenn die Wunschkandidatin keine Krätze ist.«

      »Also doch!«

      Wir sitzen alle im Besprechungsraum. Die ganze Sondereinheit. Dr. Ruschka als Kommissionsleiter, Oberkommissarin Ilse Merkel, nein, nicht Schmitt, sie wollte meinen Namen nicht, Oberkommissar Harald Müller, Kommissar Cem Arslan, Kommissarin Hannah de Fries, der frischgebackene Hauptkommissar Herbert Wagner und ich.

      Hannah sitzt neben Cem, der über das ganze Gesicht grinst.

      »Wenn Ihre schöne Geschichte nur wahr wäre, Herr Schmitt. Dann wäre mir bedeutend wohler. Wann kommen die Ergebnisse der Rechtsmedizin aus Erlangen? Morgen?«

      »Wir holen sie morgen Vormittag ab. Ich habe den Professor gebeten, nichts elektronisch zu schicken. Ich will vermeiden, dass die Presse irgendetwas in die Hände bekommt.«

      »Nanu! Angst vor einem Maulwurf?«

      »Nein, das nicht gerade, Dr. Ruschka. Aber Sie wissen doch, aus so einer großen Organisationseinheit geht immer ein bisserl was nach draußen.«

      »Sie klingen jetzt fast wie ein Österreicher!«

      »Meine Großmutter ist in Österreich geboren, vielleicht steckt da noch was drin in mir.«

      Alle lachen.

      »Aber jetzt im Ernst, Herrschaften. Ich fahre morgen nach Erlangen und hole den Bericht. Aber der wird uns kaum weiterbringen. Wir wissen dann nur das, medizinisch fein säuberlich aufbereitet, was wir am Samstagmorgen sowieso gesehen haben. Außer der Täter hat seinen Namen noch irgendwo in die Haut des Opfers geritzt.«

      »Des kannst abber vergess’n!«

      »Genau, so ist das. Wir kommen nur weiter, wenn wir genau so ein Verhaltensmuster irgendwo anders finden. Harald, Cem, wie weit seid ihr?«

      »Die Geschichten aus dem Ausland habt ihr ja schon verwendet. Mehr war da nicht. In Russland hatte es da mal einen ähnlichen Schlächter gegeben, der hätte zu unserem Fall super gepasst. Aber der wurde erschossen. Ansonsten Fehlanzeige. Und bei dir, Harald?«

      »Na ja, es sitzt einer in Ansbach in der Psychiatrie. Ich war da gestern und habe mich mit dem Chefarzt unterhalten. Der war von Kind an gestört. Diebstähle, aggressives Verhalten, ständiges Lügen. Als Jugendlicher kamen dann Drogen und Alkohol dazu. Und kleinere Einbrüche. Der hat geklaut, was ihm in die Finger kam. Dann kamen die Jugendstrafen. Da hat er das Einbrechen erst richtig perfektioniert.«

      »Und gleich weitergemacht?«

      Hannah will das wissen.

      »Klar. Da kamen die richtig großen Sachen, aber deswegen sitzt er da natürlich nicht. Dabei hatten die ihn nicht erwischt. Er war 25, als er Vater und Großvater erschlug und brutal verstümmelte. Zwar nicht genau so, wie der am Samstag es getan hat, aber der Arzt hält so was für möglich.«

      »Das ist eine dissoziale Persönlichkeitsstörung gefolgt von psychotischen Schüben. Früher hieß das schlicht Psychopathie. Der Begriff war aber zu wenig differenziert, weswegen die Wissenschaft ihn heute eher nicht verwendet.«

      Alle sehen Hannah erstaunt an.

      »Genau so ein Zeugs hat der Arzt erwähnt. Deswegen war der schuldunfähig und sitzt seit fünf Jahren in Ansbach ein!«

      »In der Regel führt ein starkes kindliches Trauma wie etwa Missbrauch oder Gewalt zu einem solchen Verhalten im jugendlichen Alter. Auch enorme Aggressionen sind nicht ausgeschlossen. Dass aber einer solche Sachen wie in unserem Fall veranstaltet, ist bisher noch nicht dokumentiert.«

      Hannah de Fries beendet ihre Vorlesung.

      »Das ist alles schön und gut, aber es nützt uns nichts, weil der da sitzt und nicht raus kann.«

      Da hat Ilse jetzt auch wieder Recht.

      »Davon konnte ich mich gestern überzeugen. Da kommt keiner an die Luft. Die Abteilung ist hermetisch abgeriegelt. Keine Chance. Der Typ hat auch keinerlei Erleichterungen bekommen, weil seine Gewaltfantasien noch immer da sind. Das dauert mindestens noch zehn Jahre, sagt der Arzt, wenn das überhaupt noch was wird mit dem.«

      »Hast du ihn gesehen? «

      »Nein. Die lassen niemanden zu ihm. «

      »Ich fahre morgen mit nach Erlangen«, sagt Hannah mit einem fest entschlossenen Ton, »ich muss noch mal mit dem Dr. Rosser reden. Und ich will die Akte von dem in Ansbach.«

      Ilse wirft mir schon wieder einen scharfen Blick zu.

      »Dann kann doch auch ich mit Hannah nach Erlangen fahren!«

      »Wie sieht’s mit deiner Recherche der ungeklärten Fälle aus?«

      Ich Idiot. Das hätte ich jetzt genau an diesem Punkt nicht fragen dürfen.

      »Die ist noch nicht abgeschlossen.«

      »Dann loss halt den Wolff fohr’n. Der geht scho net verlor’n.«

      »Da bin ich mir nicht mehr so sicher, Herbert.«

      Hannah quatscht scheinbar unbeteiligt mit Cem. Irgendwie muss ich die Situation retten.

      »Genau, Herbert. Was ist mit deinen Straßeninterviews?«

      »Ja. So. Die ham etz a wen’g


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