Kreation Vollblut – das Rennpferd eroberte die Welt. Teil III. Erhard Heckmann

Kreation Vollblut – das Rennpferd eroberte die Welt. Teil III - Erhard Heckmann


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14 Jockey-Cahmpionate und insgesamt 2.215 Siege. Darunter befanden sich sieben Derbys und acht Große Preise von Berlin. Der 1911 geborene Böhlke war Berliner, den Freiherr von Richthofen, Leiter des Stalles von Trainer J. Ott, während der Lehrlingszeit auch in England Rennluft schnuppern ließ. Für Graditz gewann er das Derby mit Dionys in seinem ersten Jahr, doch war „sein“ Pferd die Herold-Tochter Sichel (1928), die u. a. den Großen Hansapreis, die Großen Preise von Berlin und Baden und den Preis der Diana, das Henckel- und Kisasszony-Rennen gewann. Später war Böhlke noch für Haniel und Zoppenbroich im Sattel, für das er mit Organdy (1936; Arjaman) die Union, und mit Trollius (1934; Oleander) den Großen Preis von Baden sicherte. Dieser Reiter, der nie Champion-Jockey war, feierte auch die ersten 12 Siege, darunter das Hoppegartener- und das Hamburger Derby 1948, auf Stall Wielands Alchimist-Sohn Birkhan. 1951 folgte ein schwerer Sturz in Hamburg, und seine letzte Ruhe fand dieser Reiter in Berlin-Neuenhagen.

      Grabsch zählte damals wie Böhlke, Rastenberger und Albert Schläfke zu der alten deutschen Spitzengarde, in die sich später noch Namen wie Max Schmidt, Hans Blume, Willi Printen, Walter Held, Gerhard Streit, Hans Zehmisch, Otto Schmidt und Hein Bollow, der die Championatsliste nur einmal weniger anführte als sein Kollege, einreihten, ehe die nächsten Generationen nachdrängten. Grabsch hatte eine große Zeit bei Erlenhof, als Pferde wie Athanasius (1931; Ferro) oder Nereide (1933; Laland) zur Verfügung standen, und in Graditz waren es Pferde wie Alchimist, Arjamann und Abendfrieden, Grabschs vierter Derbysieger 1937.

      Bob Utting, der Graditz zweimal an die Spitze geführt und rund 500 Sieger abgesattelt hatte, ging Ende 1936 in den Ruhestand und übergab sein Amt in Graditz an seinen Ex-Jockey Grabsch, der von 1937 bis 1939 die Graditzer vorbereitete. Im Derby schwang er sich allerdings selbst in den Sattel von Abendfrieden, obwohl Hans Zehmisch, sein Stalljockey von 1937-1944, ebenfalls vor Ort war. Neben diesem war auch der gebürtige Leipziger Rudolf Schmidt im Team, doch stand er, der aus der Schule von George Arnull kam und drei Jockey-Championate gewann, im Schatten seines Kollegen. Harry Nash, der sich vorher mit großen Erfolgen in Zoppenbroich empfohlen, und die Graditzer 1940 übernommen hatte, war im Januar 1942, nach schwerer Krankheit, mit 51 Jahren bereits tot. Sein Nachfolger, Hans Blume, war wieder ein erstklassiger Jockey. Als solcher gewann er u. a. mit Graf Isolani den Großen Hansa-Preis und den Großen Preis von Österreich, auf Oleander war er bei dessen drittem Erfolg im Großen Preis von Baden im Sattel, und mit Lady Skip sicherte er sich das Dänische Derby. Harlekin gewann unter ihm das Charmant- und Fervor-Rennen, Lampos den Preis des Union-Gestütes, und mit Aditi das Gladiatoren-Rennen. Dieser Reiter, der erhebliche Gewichtsschwierigkeiten hatte – sein letzter Ritt in Danzig-Zoppot trug 70 ½ Kilo – gewann in der Heimat mehr als 400 Flach-Rennen und weitere über Hindernisse. Danach entschied sich der Schwiegersohn von Albert Schläfke 1938 für den Trainerberuf.

      Zwischenzeitlich hatte der 3 x 4 auf Herold ingezogene Volturno (1938; Alchimist) als Vierjähriger fünf Rennen gewonnen, darunter den Preis vom Norddeutschen Jockey Club mit Rastenberger, und den Rheingold-Pokal unter Heinz Just. Zur damaligen Spitze, die in jenen Tagen aus Ticino (1939; Athanasius), Allgäu (1940; Ortello) und Nordlicht – dem 1941 geborenen Sohn des Oleander und der Nereide – bestand, drängte auch Panzerturm (1940). Diesen hatte Blume auf Umwegen zum Union-Rennen fertig, und der Heroldsohn bezwang auch den bisher ungeschlagenen Allgäu. Das Derby, das dieser gewann, ließ Panzerturm aus und wartete bis zum Braunen Band, wo er das Vertrauen seines Trainers mit einem Kopfsieg gegen Samurai (1937; Oleander) und den acht Kilo mehr tragenden Ticino bestätigte

      Von den Vertretern des Jahrgangs 1941 zählte Poet (Janitor) zu den besseren Vertretern (Henckel- und Union-Rennen), hatte jedoch keine Derbynennung, was nach dem überlegenen Vier-Längen-Erfolg in der „Union“ richtig schmerzte. Der vierjährige Panzerturm blieb im nächsten Braunen Band weit unter Form, korrigierte diese jedoch mit dritten Plätzen in den Großen Preisen zu Wien, der an Nordlicht ging, und dem der Reichshauptstadt Berlin, in dem sich Ticino durchsetzte. Während Poet ein Deckhengst in Harzburg wurde, deckte Panzerturm eine Saison in Graditz, bekam fünf Stuten und ließ zwei davon güst. Anfang Mai 1945, am Tag der Räumung von Fürstenstein (Niederschlesien), war ein Beckenbruch bei Panzerturm noch nicht ausgeheilt, sodass er eingeschläfert werden musste.

      In der letzten Graditzer Trainingsliste von Hans Blume standen 1944 zwei Vierjährige, die Ferro (Luftkampf) und Alchimist (Spähtrupp) zum Vater hatten; 13 Dreijährige – sieben Hengste und sechs Stuten –, von denen sechs von Ferro und vier Herold stammten, und bei den 14 Zweijährigen, darunter neun Hengste, hatten Ferro fünf, Alchimist und Pharis je zwei, und Janitor, Janus, Arjaman, Herold und Eclair au Chocolat jeweils einen Vertreter. Von der zweijährigen Pharis-Tochter Persante, die aus der Palucca stammte und eine Halbschwester zu Panzerturm war, hatte Hans Blume eine sehr hohe Meinung, brachte sie jedoch wegen ihres Vaters in diesem Alter nicht an den Start.

      Ende Januar, Anfang Februar 1945 hatte Graf Kalnein die Genehmigung zur Evakuierung der Hoppegartener Pferde bereits in der Tasche, doch das Problem war die vom Kriegsministerium zu genehmigende Transportkapazität. Und das veranlasste Trainer Blume selbst zu handeln und das Landgestüt Celle mit zwei Trecks anzusteuern. Das zunächst von der englischen Besatzungsmacht beschlagnahmte Pferdematerial gaben die Engländer später wieder zurück, während Hans Blume als Trainer für Waldfried und Asta an die kurze Graditzer Zeit anknüpfte.

      Als die Russen nach Hoppegarten kamen, waren die Ställe leer, nur Futtermeister Richard Kortum war geblieben. Und dieser versierte Pferdemann, der die Graditzer nach dem Zusammenbruch trainierte und an Faktotum (1952; Harlekin) einen Triple Crown-Sieger im Stall hatte, der in Moskau den „Goldpokal“, das wichtigste Rennen beim Internationalen Meeting, gegen den russischen Derbysieger, Anilins Vater Element, gewann, konnte seinen Besten vor den Russen aber auch nicht „retten“. Selbst sein Trick, den Sohn aus der Fervor-Enkelin Frühlingssonne (1943; Lampos) aus dem Stall zu nehmen und in seine Box ein ähnliches Pferd zu stellen, war vergebens. Der Hengst, der dem Fama-Zweig der Alveole-Familie entstammte, musste deutschen Boden verlassen und zeichnete sich in der russischen Zucht, obwohl ihn auch mehrere Söhne als Beschäler vertraten, besonders als Stutenerzeuger aus. Etwa 30 seiner Töchter vertraten ihn um 1970 in der Herde des russischen Hauptgestüts.

      Die Graditzer in staatlichem Besitz (der Heeresrennstall hat damit nichts zu tun) gewannen 56 klassische Rennen, darunter 17 St. Ledger, 16 Preise der Diana und 12 Derbys; zwischen 1881 und 1944 gelangen zwanzig Besitzer-Championate, und sieben Pferde wurden Saison-Spitzenverdiener: Peter (1981), Gulliver II (1912), Anschluss (1916), Herold (1920), Sichel (1931), Alchimist (1933) und Abendfrieden (1937). Und zu Sichel, die keine Derbynennung hatte, sei erwähnt, dass sie mit rund 132.000 Mark fast das Doppelte gewann, wie der gleichaltrige Stall- und Zuchtgefährte Dionys, der das Derby beherrschte. Vom Züchter-Championat blieb Graditz, das ganz besonders durch den Ankauf hochklassiger Beschäler aus dem Ausland die gesamte deutsche Zucht beeinflusste, ausgeschlossen, denn es erhielt keine Züchterprämien.

      Martin Beckmann, der Autor der Sport-Welt Serie „Das war Graditz“ (1981/82), und der Anfang 1945 selbst als Flüchtling einige Monate in Graditz verweilte, stellte am Ende seiner Betrachtungen auch die Frage, ob Graditz zu retten war, zumal auch Röttgen, Schlenderhan, Waldfried und Zoppenbroich sich viel länger in der Gefahrenzone befanden und entsprechend reagiert hatten. Nach den, vom Verfasser von Zeitzeugen gesammelten Aussagen und dem, was Graf Kalnein in seinem Buch „Ein Leben mit Pferden“ zu diesem Thema schrieb, muss man zu der Erkenntnis kommen, diese Frage mit einem Ja zu beantworten, soweit es die angestrebte Evakuierung betraf. Graf Kalnein stellte bereits gegen Ende 1944 seinen ersten Antrag, aber nicht nur dieser, sondern auch alle weiteren wurden immer wieder abgelehnt. Vom zuständigen Ernährungs- oder dem Kriegsministerium, das die Waggons genehmigen musste. Erst am 13. April 1945 wurde das Ausweichen nach Harzburg genehmigt, doch der Trupp, der sich zwei Tage später mit den Hengsten Alchimist, Tricameron und den wertvollsten Stuten Richtung Westen in Bewegung setzte, wurde schon am Überqueren der Mulde gehindert. Zunächst von einer deutschen Truppe, danach von den Amerikanern. Und kurz darauf kamen die Russen, womit die Pferde in deren Hände fielen. Und das war das Ende der weltbekannten Graditzer Zucht!

      Im Zusammenhang mit Graditz trugen auch Verrat und „die Partei“ erhebliche Schuld am Untergang dieser Zucht, wie das die vielen gesammelten Auskünfte von Menschen bestätigten, die jene Graditzer Zeit oder den


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