Die Jagd nach der silbernen Feder. Jan Hanser
schneller! Klettere! Spring!“, trieb er Wald an.
Wald wurde von wildem Zorn gepackt. Er stieß ein dröhnendes Fauchen aus den Tiefen seiner Kehle hinaus und begann, von einem größeren Felsbrocken zum nächsten zu springen. Seine Muskeln spannten sich. Seine sechs Läufe stießen sich ab, die vier hinteren legten sich glatt an seinen Hinterleib an, seine Vorderpfoten waren zur Landung ausgestreckt. Langgestreckt flog er durch die Luft und landete wuchtig mit den Vorderpfoten auf dem nächsten Felsen. Mit seinen hinteren Läufen stemmte er seinen Körper nach oben und der Kraftakt begann von vorne.
Es war eine mörderische Jagd, doch Wald holte zu Pepe auf. Der Abstand zur Hyänenmeute vergrößerte sich um wenige Meter. Mit heraushängenden Zungen und wild springend hetzte die Meute über die glatten Steine. Die Hyänen hatten bereits einen Halbkreis um Pepe und Wald gezogen und begannen in diesem Augenblick, ihn zuzuziehen.
Als Pepe nicht mehr glaubte, noch einen Sprung tun zu können, sah er etwas am rechten Ende des Felsenmeeres. Fast verborgen hinter dem Schleier aus Staub stand eine kleine gekrümmte Gestalt. Pepe verharrte ein Augenzwinkern lang. Sie schien ihm hektisch zuzuwinken.
„Nach rechts!“, brüllte er in Walds Richtung, der in diesem Moment zu einem gewagten Sprung ansetzte. Ihre Blicke kreuzten sich für Sekunden. Auch Wald hatte die Gestalt gesehen und gemeinsam jagten und sprangen sie auf die kleine Höhle zu.
Pepes Gedanken überschlugen sich, während er mit letzter Kraft sprang, kletterte und rannte. Konnten sie diesem Mann vertrauen? Woher kam er so plötzlich? Vertrauenerweckend sah er nicht aus. Was führte er im Schilde? Ihm blieb keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Wie sehr wünschte er sich Winter und Jisah jetzt her! Winter pflegte immer zu sagen: „Zwei haben es besser als einer und vier sind stärker als zwei.“
Schlitternd, verschwitzt und mit Staub bedeckt, erreichten sie den niedrigen Höhleneingang.
„Schnell“, schnaubte der bleiche Mann, ergriff mit seinen trockenen, knöchernen Händen Pepes Arm und zerrte ihn ins Dunkel. Flinker als Pepe es ihm zugetraut hätte, rammte er die schwere eisenbeschlagene Tür ins Schloss. Im selben Augenblick erreichten die Hyänen die Tür. Wutentbrannt sprangen sie dagegen, kratzten mit ihren Krallen über das alte Holz und jaulten fürchterlich.
Mit einem schabenden Geräusch schob der unheimliche Mann einen rostigen Riegel vor.
„Folgt mir!“ Kratzig und rau drang seine Stimme durch die Dunkelheit, als würde man mit einem Schleifpapier über ein Stück Eichenholz fahren. Pepe schauderte. Kalter Schweiß rann seinen Rücken hinab.
DIE SCHMUGGLERHÖHLE
Jisah stieß seine Knie in Winters Flanken und warf einen gehetzten Blick über die Schultern. „Lauf!“, schrie er.
„He! Nur die Ruhe, Junge. Erstens hast du uns die Suppe eingebrockt und zweitens weißt du, dass ich schneller bin“, brummte Winter, schüttelte unwillig den Kopf und bäumte sich auf. Nachdem er sich ein letztes Mal nach den heranjagenden Verfolgern umgedreht hatte, jagte er los.
Lange, taubenetzte Grashalme streiften Jisahs Füße. Dicht über dem Boden lagen Nebelschwaden. Wabernd umzingelten sie die vereinzelt auftauchenden Büsche. Sie jagten zwischen geduckten Obstbäumen mit knorrigen, verwundenen Stämmen und ausladendem Astwerk hindurch. Weich hoben und senkten sich die sanften Hügel des Brachtlandes unter Winters Läufen.
Jisah passte sich Winters Rhythmus an und verschmolz mit seinem Rücken. Jetzt waren sie eins. Mit weit ausladenden Schritten flog Winter in den anbrechenden Morgen hinein. In regelmäßigen Abständen drehte Jisah sich um. Dann sah er die langgestreckten Hälse der Hyänen aus den Nebelschwaden herausragen. Sie waren ihnen dicht auf den Fersen. Jisah spürte Müdigkeit und Hunger in sich heraufsteigen. Für einen kurzen Augenblick schloss er die Augen.
Als er sie wieder öffnete und erneut hinter sich sah, konnte er keine Hyänen mehr erblicken. Winter neigte seinen Kopf leicht nach hinten und sagte leise:
„Du hast geschlafen, Junge.“
„Lange?“, brummte Jisah und hob den Kopf.
Die Sonne begann ihre ersten Strahlen über den östlichen Horizont zu senden.
„Nur so lange, wie ich gebraucht habe, um einen sicheren Abstand zwischen uns und die Meute zu bringen“, antwortete Winter und verlangsamte sein Tempo. „Wir sollten uns bald eine kurze Rast gönnen!“
Wie ein glutroter Feuerball stand die Sonne wenige Meter über dem Boden, und Winter und Jisah ritten, Lauf vor Lauf, mitten in den Sonnenaufgang hinein. Jisah konnte nicht einmal mehr raten, wie viele Kilometer sie schon zurückgelegt hatten.
Jeder Knochen seines Körpers schmerzte und das nagende Hungergefühl ließ ihn zittern. Als er meinte, keinen einzigen Meter mehr reiten zu können, erreichten sie ein schmales Tal. Bald stiegen die Hügel zu ihrer rechten Seite an, wurden felsiger und strebten mit jedem Schritt, den sie zurücklegten, steiler in den Himmel. Jisah ließ seinen Blick über die Felswand schweifen. Als sie das Tal fast durchquert hatten, entdeckte er eine Felsspalte. Sie zog sich vom Boden durch den Felsen in die Höhe und schien einen sicheren Unterschlupf zu gewähren.
Winter ritt auf die Felsspalte zu. Kurz vor ihr kam er zum Stehen. Sie zog sich wie der Eingang zu einer Schlucht nach oben. Aber es war eine Höhle, deren Dach sich weit oben schützend über ihnen wölbte.
„Lass uns bitte eine Pause machen“, keuchte Jisah. „Ich kann nicht mehr!“
Winter nickte und schlich ins Halbdunkel.
Nach nur wenigen Metern ließen sich die beiden nieder. In der Höhle war es kalt und klamm. Jisah fror. Wie gerne hätte er nun in seine Satteltasche gegriffen, etwas gegessen und getrunken.
„Wir können hier nicht lange bleiben“, flüsterte Winter.
Jisah nickte schläfrig und kuschelte sich in Winters warmes Fell. Doch kaum waren seine Augen zugefallen, da sprang Winter schon wieder auf. „Schnell! Komm mit“, raunte er. Stolpernd folgte Jisah Winter, der tiefer in die Höhle eindrang. Die beiden hielten den Atem an und lauschten. Es klang, als näherte sich Hufgetrappel.
„Das sind keine Hyänen“, raunte Jisah Winter zu. Winter nickte.
Die Hufschläge näherten sich, wurden lauter und kamen direkt vor der Höhle zum Verstummen. Leises Stimmengewirr drang an ihre Ohren. Dann setzten Hufe auf steinigem Boden auf und die Geräusche hallten von den hohen Wänden zurück.
Jisah und Winter pressten sich dicht hinter einen Felsvorsprung. Jisah wagte einen Blick um die Ecke. Der Eingang der Höhle war von Eseln und kleinwüchsigen bärtigen Männern bevölkert. Sie trugen schlabbrige Stoffhosen, die nach unten enger wurden und in den Schäften hoher Lederstiefel steckten. Ihre Hemden waren bunt und flatterig. Die Esel standen am Eingang der Höhle und scharrten mit den Hufen. Schon waren einige Männer dabei, ein Feuer zu entfachen.
Jetzt fiel Jisah auf, dass der Boden rußschwarze Flecken hatte. „Diese Männer scheinen öfter hier zu sein“, flüsterte er Winter zu.
„Pssst“, zischte Winter.
Kochgeschirr wurde aus Satteltaschen gekramt und Trinkflaschen machten die Runde. Nach einigen Minuten hatten sich die Männer um das Feuer niedergelassen. Bald durchzog der köstliche Geruch nach gebratenem Speck und geröstetem Brot die Höhle. Jisahs Bauch krampfte sich schmerzhaft zusammen. Winter stieß Jisah von hinten an. „Lass mich auch mal!“ Er drängte Jisah zur Seite. Als er sich Jisah wieder zuwandte, flüsterte er: „Es sind Eselreiter. Schmuggler. Ein wildes und gefährliches Volk. Sie sollten uns besser nicht entdecken. Denn wahrscheinlich …“, Winter zeigte ins Dunkel der Höhle hinein, „ … sitzen wir mitten in einem ihrer geheimen Lager.“
Und wieder lugte Jisah neugierig