Schwarzes Gold. Dominique Manotti
und ein Kräuterbouquet zugeben, mit Salz und Pfeffer abschmecken. Und die nötige Zeit kochen lassen. Er legt eine Platte von Count Basie auf und streckt sich auf dem Sofa aus. Er atmet den Duft des köchelnden Gemüses, und zum ersten Mal fühlt er sich in dieser Wohnung zu Hause.
Porticcio hat mich vorgewarnt, dass sich Vincent aller Wahrscheinlichkeit nach bei mir melden wird. Er hat hinzugefügt: »Wart’s ab, du wirst überrascht sein. Der ›ideale Schwiegersohn‹ ist auf dem besten Weg, ein Star der Marseiller Anwaltschaft zu werden, die schon eine hübsche Kollektion davon hat.« Habe ich ihn aus Neugier eingeladen? Um zu erfahren, wie ein zukünftiger Marseiller Staranwalt aussieht und was er mir zu erzählen hat? Andere Hypothese: Ich habe bereits genug vom Alleinsein. Ein ehemaliger schmachtender Verehrer? Ich werde mit ihm schlafen.
Vincent kommt um Punkt einundzwanzig Uhr, eine Flasche Champagner in der Hand. »Trinkst du immer noch so gern Champagner?«
»Immer noch. Die Flasche ist kalt … Setz dich auf die Terrasse, ich bringe etwas, was ihm Ehre macht.«
Als Daquin mit einem Tablett zurückkommt, betrachtet Vincent die Segeljacht des Bürgermeisters, die zehn Meter entfernt im Vieux-Port vertäut liegt, er dreht sich um, schaut ihm ins Gesicht, schweigend, bereit. Daquin setzt das Tablett ab und stellt sich neben ihn.
»Wie sehr du dich verändert hast.« Er streift mit der Hand sein Gesicht. Du hast abgenommen, die Bäckchen sind verschwunden, die Knochen sind endlich sichtbar, befreit. Er streichelt mit den Fingerspitzen den vorstehenden Wangenknochen. Ich liebe es, die Kraft deines Gesichts zu spüren. Er zeichnet den Augenbrauenbogen nach, den Nasenrücken, die Augen haben sich vertieft, ich liebe diesen dunkelgrauen Blick. Die Hand streift den Mund, die Lippen öffnen sich, Daquin beugt sich hinunter, haucht einen Kuss darauf.
Vincent fragt: »Vor oder nach dem Apéritif?«
»Nach dem Champagner und vor der Foie gras.«
Zwei Stunden später fläzen sich die beiden Männer in den Liegestühlen auf dem Balkon, Daquin im Bademantel, Vincent in einem zu großen T-Shirt, das er im Bad gefunden hat. Seit einer guten halben Stunde erzählt Vincent Geschichten aus dem Marseiller Anwaltsmilieu, Daquin hört zu und lacht. Eine zweite Champagnerflasche ist angebrochen, die Scheibe Foie gras und die Toasts sind verschlungen.
»Von Ratatouille will ich nichts hören«, sagt Vincent.
Daquin seufzt. »Kann ich verstehen. Das war ein Castingfehler. Zur Strafe werde ich drei Tage davon essen, zum Glück ist das ein Gericht, das in Schönheit altert.«
Daquin leert die zweite Flasche Champagner, dann entschließt er sich zu sprechen.
»Ich bin jetzt drei Tage hier, und ich habe das Gefühl, mitten im Treibsand zu leben. Ein Ermittler meines Teams hält mich an der Hand und erklärt mir, wo ich meine Füße hinsetzen darf und wo nicht, mit wem ich reden darf und mit wem nicht, und ich weiß noch nicht, ob ich ihm vertrauen kann oder nicht. Ihm zufolge ist das Drogendezernat von Marseille in der Hand der Amerikaner. Was sagst du?«
»Ja, der Druck der Amerikaner auf die französische Regierung ist sehr stark, und beim Drogendezernat von Marseille sind sie allgegenwärtig.«
»Warum?«
»Aus mehreren Gründen. Zwanzig Jahre lang war das französische Heroin in den USA eine ›success story‹. Die Amerikaner hielten es für ein hervorragendes Beruhigungsmittel und brachten es in den Gefängnissen in Umlauf. Als die Jugend der feinen Gesellschaft anfing, es in rauen Mengen zu konsumieren, fanden sie das weniger komisch. Außerdem sind die Amerikaner durch und durch protektionistisch. Nixon hat einige Freunde in der Mafia von Florida, die in Kokain machen, eine Droge, die vor der Haustür der USA hergestellt wird. Er hat sich darangemacht, ihnen das Terrain freizuräumen, indem er das französische Heroin ausschaltet.«
»Warum lässt man sie auf unserem Hoheitsgebiet einfach machen?«
»Weil sie 1945 gewonnen haben und weil de Gaulle tot ist.«
»Welche Verbindung besteht zwischen dem Krieg Zampa-Le Belge und dem Krieg der Amerikaner gegen das Heroin?«
»Die Frage wirkt einfach, ich fürchte, die Antwort ist sehr kompliziert. Zunächst hat keiner von beiden das Format eines Guérini. Le Belge versucht Geschäfte zu machen, indem er alle Überreste der French aufsammelt, die er findet. Keinerlei Zukunftsvision. Zampa ist viel vernünftiger. Er fährt mehrgleisig. Ein bisschen Drogen, viel Schutzgelderpressung und Prostitution, ganz klassisch. Und Glücksspiel. In diesem Sektor ist Nizza groß im Kommen, Zampa kontrolliert die Casinos über einen seiner Männer, Fratoni, und das Rathaus ist ihm gewogen. In Nizza hat er es zweifellos geschafft, sein Unternehmen zukunftsfähig zu machen.«
Daquin streckt die Beine aus, schließt die Augen. Zampa, das Erbe der Guérinis, Pieris Ermordung, Nizza, Casino im Palais de la Méditerranée. Kein Zufall. Aber welcher Zusammenhang? Er seufzt.
»Marseille ist eine furchterregende Stadt. Alle kennen sich, alle überwachen einander, nichts bleibt verborgen und nichts kommt ans Licht.«
»Ich sag’s mal anders: Es ist eine bemerkenswerte Stadt, was die Dichte des Geflechts ihrer sozialen Beziehungen angeht.«
Mittwochabend, Nizza
Frickx landet in Nizza aus London kommend etwa zur vorgesehenen Zeit, gegen einundzwanzig Uhr. Er hat kein Gepäck, nur einen schwarzen Lederaktenkoffer, nützlich, um seinen Auftritt als eiliger Geschäftsmann zu unterstreichen. Rasch durchquert er die Ankunftshalle des Flughafens, wendet sich mit großen Schritten Richtung Parkhaus, geht hinein, diskrete Blicke nach rechts und links, nichts Auffälliges. Vertrauen haben. Er erreicht den hintersten Gang in der Nähe der Einfahrt, sucht den großen Peugeot von Simon, der Nummer zwei bei der Somar, mit dem er verabredet ist. Er kann ihn nirgends sehen. Ein weißer Lieferwagen macht ihm Zeichen mit den Scheinwerfern. Frickx tritt näher, erkennt Simons Silhouette hinter dem Steuer. Er hat nicht seinen eigenen Wagen genommen. Warum? Misstrauisch? Er öffnet die Tür, setzt sich auf den Beifahrersitz, schließt die Tür wieder. Lebhafte Unterhaltung. Die Minuten verstreichen. Dann öffnet Frickx die Tür, stellt sich neben den Lieferwagen, beginnt sein Jackett auszuziehen. Das ist das Signal. Frickx hört den Motor eines sich nähernden Motorrads. Er redet durch die offene Tür weiter mit Simon, er muss seine Aufmerksamkeit fesseln, während er sorgsam sein Jackett über den linken Arm faltet, Geist und Körper in Alarmbereitschaft. Das Motorrad fährt dicht an der Motorhaube des Lieferwagens vorbei, ohne zu verlangsamen, der Sozius stellt sich auf die Fußrasten, feuert dreimal in Simons Richtung, die Schüsse sind stark gedämpft. Die Windschutzscheibe zerbirst, Simons Körper sinkt in Zeitlupe auf den Beifahrersitz, das Motorrad verschwindet geschmeidig.
Frickx, reglos, das Jackett überm Arm, atmet tief durch. Um ihn herum kein Geräusch mehr. Er inspiziert den Lieferwagen. Simon scheint so tot wie nur möglich, aufgerissener Mund, starre Augen, drei blutende Wunden im Brustkorb. Er holt seine Ledertasche aus dem Fußraum, schlägt die Tür zu und läuft im Slalom zwischen den Wagen hindurch bis zur Flughafenhalle. Er begibt sich zum Schalter einer Autovermietung. Eine Mercedes-Limousine wartet auf ihn. Kurs auf die Villa in Cap Ferrat. Als er den Flughafen verlässt, ist alles ruhig, der Tote im Lieferwagen wurde offenbar noch nicht entdeckt.
In der Villa ist es still, alle Lichter gelöscht. Frickx geht auf direktem Weg hoch zum Schlafzimmer im ersten Stock. Emily schläft, gestützt von einem Stapel Kopfkissen, ausgestreckt auf dem Rücken im Ehebett, ihr Gesicht ist ausdruckslos, sie sieht mitgenommen aus. Auf dem Nachttisch ein eingeschaltetes Nachtlicht neben einer Wasserkaraffe und einer Sammlung Medikamentenpackungen. Eine Frau in weißem Kittel schläft auf einem Liegestuhl am Fußende des Bettes. Das Eintreten von Frickx hat sie aus dem Schlaf hochfahren lassen.
Er stellt sich vor: »Michael Frickx, der Ehemann Ihrer Patientin. Sie wurden über mein Kommen unterrichtet, glaube ich?« Mit einer Bewegung in Richtung Bett: »Wie geht es ihr?«
Er nimmt Emilys Hand, spricht laut, als legte er es darauf an, sie