Die Tote hinter der Nightwood Bar. Katherine V. Forrest
Kate. An so einem abgelegenen Ort … Man geht in eine Bar, um was zu trinken, sich mit anderen zu unterhalten, und verdammt noch mal nicht, um Schach zu spielen oder den Playboy zu lesen.«
Kate lachte, da sie wusste, dass Taylor eine Würdigung seiner geistreichen Bemerkung erwartete. Sie wusste, er würde nie verstehen, dass sie diese Bar als richtig, natürlich und in jeder Hinsicht angenehm empfand. Er wäre nie fähig zu verstehen, wie erleichternd es war, der klaustrophobischen Welt der Heterosexualität zu entkommen und an einen abgeschlossenen, privaten Ort zu gelangen, an dem es nur andere lesbische Frauen gab …
Taylor fuhr fort: »Ich glaube, was unser Barkeeper Maggie da im Sinn hat, ist gar nicht so falsch. Ein oder zwei Rowdys haben sich hier oben herumgetrieben und Dory aus lauter Jux und Tollerei den Kopf eingeschlagen.«
Kate zuckte mit den Schultern; ihr war diese Möglichkeit ebenso verhasst wie die geringe Wahrscheinlichkeit, bei solchen Fällen je die Mörder dingfest zu machen. »Kann sein, kann aber auch nicht sein«, räumte sie ein. »Wir sollten jetzt mit der netten kleinen Patton reden.«
Als Taylor ihren Namen rief, fuhr Patton herum und starrte sie an; ihr Körper wurde ganz starr.
»Wollen wir wetten«, sagte Taylor zu Kate, »sie kommt nicht her.«
»Um die Chance zu verpassen, uns zu verhöhnen? Die kommt bestimmt.«
Patton löste eine Pilotenbrille von ihrer Hemdtasche, an der sie sie festgeklemmt hatte, setzte sie auf, nahm eine Zigarette aus dem Aschenbecher auf der Bar und steckte sie sich in den Mund. Sie vergrub beide Hände in den Hosentaschen, glitt vom Barhocker und schlenderte gemächlich herüber. Sie stieß den vierten Stuhl an Kates Tisch zur Seite und schob mit demselben Fuß den anderen Stuhl genau zwischen Kate und Taylor. Ohne die Hände aus den Taschen zu nehmen, ließ sie sich auf dem Stuhl nieder und legte den rechten Fuß auf das linke Knie. Von ihrem Mundwinkel stieg der Zigarettenqualm auf, und sie betrachtete Kate durch ihre Spiegelbrille.
Ohne sich mit Vorreden aufzuhalten, fragte Kate sie: »Was können Sie uns über die junge Frau sagen, die tot da draußen liegt?«
»Nichts.« Die Asche fiel auf das Vorderteil ihres blaukarierten Hemdes. Ihre Sonnenbrille glitzerte in der Barbeleuchtung.
»Wie lange haben Sie sie gekannt?«
Patton blickte für einige Augenblicke zur Decke hoch. »Vielleicht ein Jahr«, sagte sie.
Kate lehnte sich zurück und betrachtete sie in Ruhe; sie musterte das kurzgeschorene blonde Haar, soweit es unter der Matrosenmütze sichtbar war, die dünnen, scharfen Gesichtszüge, die straffe weiße Linie des Mundes. Der Adidas-Joggingschuh, den Patton auf ihrem Knie platziert hatte, begann im Takt zu wippen, als folge er einem Rhythmus, den sie im Geiste hörte.
»Um welche Zeit sind Sie vom Platz aus hier angekommen?«, fragte Kate.
»Zur gleichen Zeit wie alle anderen«, ließ Patton undeutlich aus der Gegend um ihre Zigarette vernehmen, während der Joggingschuh sein Wippen verstärkte.
»Wann war das?«
Patton zuckte die Schultern.
»Schulterzucken sagt uns leider nichts«, sagte Kate gelassen. »Wollen Sie uns damit sagen, dass Sie nicht antworten werden oder dass Sie es nicht wissen?«
Patton grinste, nahm eine Hand aus der Tasche und die Zigarette aus dem Mund. »Ich weiß es nicht.«
»Haben Sie irgendetwas Ungewöhnliches bemerkt, entweder auf dem Platz oder später hier?«
Erneutes Schulterzucken. Als Kate sie kalt ansah, grinste sie wieder. »Ich weiß es nicht«, sagte sie.
Jetzt redete Taylor. »Haben Sie eine Ahnung, womit Dory ihr Geld verdiente?«
»Sie war Atomphysikerin«, sagte Patton.
Kate und Taylor sahen sie schweigend an.
»Vielleicht sollte ich Ihnen das buchstabieren«, sagte Patton. »A-t-o- …«
»Patton«, sagte Kate und klappte ihr Notizbuch zu, »wir unternehmen den aufrichtigen Versuch, herauszufinden, wer das Leben einer noch sehr jungen Frau ausgelöscht hat.« Sie entnahm ihrem Notizbuch eine Visitenkarte und legte sie vor Patton hin. »Wenn Sie mit Ihrem Gehabe fertig sind, wenn Ihnen klar wird, dass das, was heute Abend hier geschehen ist, ein klein wenig wichtiger ist als Ihre Meinung von sich selbst, rufen Sie uns an.«
Patton saß da und sah Kate an. Ihre Augen hinter der Sonnenbrille waren unsichtbar, ihr Mund unbeweglich.
»Und jetzt verschwinden Sie«, sagte Kate.
»Sie haben kein Recht, mich herumzukommandieren.«
»Diese Bar gehört offiziell zum Bereich des Tatorts. Und im Übrigen dürfte sie normalerweise jetzt kaum noch geöffnet sein. Ich bin gerne bereit, einen Polizeibeamten zu holen, um Sie hinauszubegleiten.«
»Darauf könnt ich wetten.« Patton erhob sich. Sie ignorierte Kates Karte, kehrte den beiden Detectives den Rücken zu und marschierte zurück zur Bar.
»Mein Kompliment«, sagte Taylor. »Ich selbst hatte Polizeiterror erwogen.«
Kates Lächeln war dünn. »Ed, wir sollten jetzt den Gerichtsmediziner kommen lassen.«
»Das denke ich auch. Ich mach das schon, Kate. Ich sollte überhaupt draußen mit Hansen arbeiten. Du kommst hier vielleicht ohne mich besser voran.«
»Das möchte ich bezweifeln, aber mach ruhig«, sagte Kate. »Mich können sie auch nicht leiden.«
»Möglich, aber da das hier ’ne Frauenbar ist … ich hab so das Gefühl, hier liegt noch mehr in der Luft.«
Die Anwesenheit des Mannes Taylor in dieser Bar, dachte Kate, behagte ihr ebenso wenig wie den anderen Frauen.
Taylor hievte sich hoch und ging zur Tür der Nightwood Bar. Patton folgte ihm, wobei sie mit einem Joggingschuh über Taylors Fußspuren wischte, trappelte und schrubbte, als wollte sie jeden einzelnen seiner Schritte ausradieren. »Ein Mann!«, rief sie. »In unserer Bar! Igitt!«
Als Taylor stehen blieb und sich kopfschüttelnd zu Kate umwandte, beugte Patton sich vor und flüsterte ihm etwas zu. Er zog seine Krawatte zurecht, schüttelte wieder den Kopf und machte seinen Abgang aus der Nightwood Bar.
Patton polierte mit ihrem Ärmel den Türknopf. »Igitt«, murmelte sie erneut, dann öffnete sie die Tür und verschwand in der Nacht.
Kapitel 3
Kate rief Tora zu sich an den Tisch. Die Chicana-Frau zog den Stuhl zurück, setzte sich und verschränkte die Arme über ihrem roten Baseballhemd. Sie wickelte ihre Beine so eng umeinander, dass ihre Fußknöchel eine Art Knoten bildeten. Dann sah sie Kate aus abweisenden braunen Augen an. Nein, sie hatte Dory Quillin nicht besonders gut gekannt. Nein, sie hatte auf dem Platz nichts Auffälliges bemerkt. Ja, sie war gegen halb sechs in der Bar angekommen, zusammen mit allen anderen. Nein, sie hatte nichts Ungewöhnliches gesehen oder gehört. Nein, sie wusste sonst nichts mehr über Dory Quillin zu sagen, auch nichts darüber, warum das geschehen war.
Kate fiel Harry Johnstone ein, ein in Ehren ergrauter Sergeant, der sich zu Beginn ihrer Polizeikarriere mit ihr angefreundet hatte. »Dreißig Jahre Bulle«, hatte er ihr auf seiner Pensionsfeier zugeflüstert; sein Arm lastete schwer auf ihrer Schulter, seine Augen waren vom vielen Trinken und endgültigen Abschiednehmen gerötet. »Für was? Für ’n Arsch. Die Leute hassen uns. Sie lieben uns, wenn sie uns brauchen. Ansonsten aber geben sie einen Scheißdreck auf uns.«
Noch nie hatte Kate dieses instinktive Zurückweichen vor einer uniformierten Gestalt mit Dienstabzeichen und Pistole so gut verstanden. Das lag nicht unbedingt an der gesetzlich sanktionierten Befugnis zu töten oder Menschen zu Krüppeln zu schlagen, sondern an der Macht, die Leben Einzelner zu zerstören, ihnen ihren Wert zu nehmen, sie mit lebenslangen Narben zu versehen. Die Macht, Menschen zu verhaften, impliziert die Möglichkeit, sie aus Willkür, Brutalität oder