Stoner McTavish. Sarah Dreher

Stoner McTavish - Sarah Dreher


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schicken welche. Geschäft, unser. Du erinnerst?« Sie lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Sieh mal, Liebes, warum lässt du mich nicht einfach eine Tour für sie buchen? Ich könnte es so arrangieren, dass man nie wieder etwas von ihnen hört oder sieht.«

      »Es würde ja doch nicht klappen.«

      »Nach acht Jahren Erfahrung mit dem Verlieren von Gepäck sollten wir doch wohl imstande sein, deine Familie verschwinden zu lassen.«

      »Das kann ich nicht«, sagte Stoner. »Ich hätte viel zu viele Schuldgefühle.«

      »Du brauchst keinen Finger zu rühren! Sag nur ein Wort zu mir, ich kümmere mich um alles, und wir brauchen es nie mehr zu erwähnen. Ich habe Beziehungen.«

      »Mafia?«

      »Die Heerscharen der Finsternis erwarten meine Befehle.« Marylou wandte sich wieder ihrem Schreibtisch zu.

      Das ist doch alles lächerlich. Normale einunddreißigjährige Frauen verbringen nicht ihre Zeit damit, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, wie sie mit ihren Eltern zurecht- oder von ihnen wegkommen können. Normale einunddreißigjährige Frauen zerbrechen sich den Kopf über Ehemänner (beziehungsweise das Fehlen derselben), Karrieren, Kalorien, Beziehungskrisen, Badezimmereinrichtungen, die Saugkraft der Nässepuffer in Papierwindeln, Doppelkinne, Intimsprays, Schweißgeruch und ungewollte Schwangerschaften.

      »Worüber brütest du denn da?«, fragte Marylou.

      »Doppelkinne.«

      »Hast du eins?«

      »Ich glaub nicht.«

      »Ich?«

      »Nein.«

      Marylou seufzte. »Fein, würde es dir etwas ausmachen, dich um diese Bustour nach Tanglewood zu kümmern? Wir haben ihnen Previn versprochen, und was werden sie kriegen? Linda Ronstadt.«

      »Vielleicht merkt es niemand.«

      »Bei fünfunddreißig Musikliebhabern muss es einer merken.«

      Voll Überdruss langte Stoner nach dem Tanglewood-Katalog. »Du bist dir doch im Klaren, was das bedeutet? Es bedeutet fünfunddreißig Telefonate!«

      »Sechsunddreißig. Besser, du sprichst erst noch mal mit den Veranstaltern.«

      Stoner verglich den Katalog mit ihrem Kalender. »Es ist Previn. Guck!«

      Marylou spähte über ihre Schulter. »Das ist der Katalog vom letzten Jahr, Liebes.«

      »Gütiger Himmel«, sagte Stoner und warf ihn von sich, »müssen wir denn alles aufheben, was über unseren Schreibtisch geht?«

      »Ich nicht, Kumpel. Du bist hier diejenige, die alles fürs Archiv aufbewahren will.«

      »Na ja, man kann ja nie wissen.«

      Vielleicht hat Marylou recht. Vielleicht ist Verliebtsein das, was ich brauche. Gott weiß, wie sehr ich irgendetwas brauche. Ich bin ruhelos, gelangweilt, entscheidungsunfähig und ein Feigling. Gut, ich war schon immer ein Feigling. Und vielleicht hier und da auch mal ein wenig entscheidungsschwach. Aber nicht so. Oder doch? Herrje, nicht einmal darüber bin ich mir im Klaren.

      Zwei Jahre. Das ist nicht sehr lange, oder? Es tut nicht mehr weh. Aber wenn es nicht mehr wehtut, warum will ich mich dann auf keine Frau mehr einlassen? Weil ich keine getroffen habe, auf die ich mich hätte einlassen wollen, ganz einfach. Ich beschließ doch nicht einfach, dass ich mich auf etwas einlassen will, und gehe los und such mir eine aus, wie eine frische Zucchini. Man schreibt nicht einfach »Liebe« auf den Einkaufszettel und saust los zum nächsten Flirtkeller, Himmel noch mal! Ich habe kein Interesse, und damit gut. Das ist doch kein Film hier, das ist das Leben. Und im Leben gibt es ja wohl noch andere Dinge als nur Liebe.

      Nenne drei. Also gut, es gibt Arbeit. Sogar Freud hat das zugegeben. Liebe und Arbeit. Und es gibt … es gibt … es gibt … die Red Sox. Red Sox! Ich finde Baseball nicht mal amüsant! Der drohende nukleare Holocaust. Na also, das ist doch etwas, worin ich wirklich verstrickt werden könnte. Ha, es macht einen richtig froh, am Leben zu sein, wenn man daran denkt.

      Worein ich mich jetzt wirklich verstricken sollte, ist Linda Ronstadt in Tanglewood. Sechsunddreißig Telefonate? So schlimm kann es nicht werden. Nichts könnte so schlimm werden. Oder doch?

      ***

      »Jetzt reicht’s«, sagte Marylou mit Nachdruck. »Wir machen den Laden dicht für heute.«

      Stoner sah auf. »Wie spät ist es denn?«

      »Viertel nach drei.« Marylou schloss den Wachspapierdeckel der Schachtel ihrer Dreischicht-Biskuittorte mit dem Ausdruck der Endgültigkeit.

      »Das können wir nicht machen.«

      »Wir sind selbständig.«

      »Warum?« Stoner ging zu Marylous Schreibtisch hinüber und pappte den zugeklappten Deckel mit einem Stück Klebeband fest.

      »Weil wir mit niemand anders auskommen.« Marylou starrte die Schachtel an. »Herr im Himmel, du hast aber auch einen Perfektionstick.«

      »Warum machen wir zu?«

      »Du brütest. Das ist schlecht fürs Geschäft. Man erwartet von uns, dass wir hemmungslosen Spaß und die Romantik des Reisens in ferne Länder versprühen.«

      »Du kannst mir viel erzählen. Ich weiß nicht mal, wann du zum letzten Mal außerhalb der Stadt warst.«

      »1973 war ich oben am Kap.«

      »Unter Zwang.«

      »Nein, mit dem Bus.«

      »Du besuchst nicht mal deine Mutter, dabei sind es nur zwei Stunden bis Wellfleet.«

      »Reisen«, sagte Marylou bedeutungsvoll, »ist geschmacklos. Wenn du es schick findest, von Sandflöhen durchgekaut zu werden, besuch du doch meine Mutter.«

      »Du siehst deinen Vater von April bis Oktober nicht.«

      Marylou fegte die Krümel von ihrem Schreibtisch. Einige davon schafften es, im Papierkorb zu landen. »Max ist vollständig glücklich mit seinen Seealgen und seinen organischen Düngemitteln.«

      »Seealgen sind organische Düngemittel.« Stoner warf einen finsteren Blick auf die Krümeln am Boden. »Willst du sie da liegen lassen? Vielleicht locken sie Ratten an.«

      »Prima!«, rief Marylou. »Ratten wären angenehmere Gesellschaft als du.« Sie griff nach Stoners Hand. »Meine liebe alte Freundin«, sagte sie sanft, »du weißt, wie gern ich dich hab. Aber deine Launen sind grauenhaft.«

      Stoner ließ den Kopf hängen. »Tut mir leid.«

      »Was ist denn los mit dir?« Sie wartete einen Moment. »Los, raus damit, Stoner.«

      »Ich … ich hab Angst.«

      »Wovor?«

      »Was, wenn sie nun hier sind?«

      »Deine Eltern?«

      Stoner nickte.

      »Ach, Liebes, sie können dir doch gar nichts tun. Du bist über einundzwanzig!«

      »Und eine missratene Aussteigerin.«

      »Du bist keine Aussteigerin«, sagte Marylou bestimmt. »Die Kesselbaums lassen sich nie mit Aussteigerinnen ein.«

      Stoner musste lachen. »Ihr Kesselbaums seid doch selber geborene Aussteiger.«

      »Genau deswegen lassen wir uns nicht mit Aussteigerinnen ein«, sagte Marylou und schloss ihre Schreibtischschublade ab. »Das wäre zu viel des Guten, man muss irgendwo Grenzen setzen.« Sie ließ den Schlüssel in ihre Brieftasche gleiten. »Kommst du, oder soll ich dich hierlassen, um den Nachtwächter zu erfreuen?«

      ***

      Sie erreichten das alte Haus oberhalb des Parks. Die Luft hing über der Stadt wie regungsloses Wasser.


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