Als Lehrer in Gotha/Thüringen 1950–1990. Heinz Scholz

Als Lehrer in Gotha/Thüringen 1950–1990 - Heinz Scholz


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Sitzungen des Elternbeirates teilnehmen. Meist diente diese Teilnahme dem Informationsaustausch. Manchmal wurde dabei eine aktuell notwendige Hilfeleistung besprochen. Auch Zusammenkünfte von Mitgliedern der SED-Partei-Gruppen von Patenbetrieb und Schule waren geplant, wurden aber nur selten verwirklicht …

      Ohne jetzt näher darauf einzugehen, will ich nur kurz anmerken, dass diese Patenschaftsbeziehungen in den 60er Jahren weiter ausgebaut wurden, indem auch zwischen „Sozialistischen Arbeitsbrigaden“ aus dem Patenbetrieb und Schulklassen Patenschaftsbeziehungen aufgenommen werden mussten. Noch enger und wichtiger wurde die Zusammenarbeit Patenbetrieb – Schule, seitdem mit Einführung des Unterrichtsfaches „Unterricht in der sozialistischen Produktion“ ESP/​UTP (1959) die Schüler im Betrieb praxisbezogen unterrichtetet wurden. Ich will an anderer Stelle darauf näher eingehen.

      Wie schon aus einigen meiner Ausführungen zu ersehen, sollten wir Lehrer, vor allem wir Genossen Lehrer, uns als Staatsfunktionäre verstehen. Gemäß dem „Klassenauftrag“ hätten wir im Unterricht wie im außerunterrichtlichen Bereich auf Kinder und Eltern ideologisch „aufklärend“ einzuwirken.

      Das Verb „aufklären“ und der Begriff „Aufklärungseinsatz“ gehörten zur politischen Sprache der 50er Jahre. Es gab „Aufklärungslokale der Nationalen Front“, eingerichtet in irgend einem Parterre-Haus im Wohnbezirk, außen und innen mit Transparent und Plakaten gekennzeichnet. Man holte oder lud Leute herein, um sie „aufzuklären“ und sie „zu überzeugen“! Dort wie überall galt es, „klare Köpfe“ zu schaffen und das „bürgerliche Bewusstsein“ aus „den Köpfen zu treiben“.

      In solchen Aufklärungs-Pamphleten oder Zeitungstexten war gewiss manche politische Einschätzung oder beschriebene Entwicklung halb wahr oder irgendwie nicht ganz falsch. Doch man bekam keine Chance, „Erklärtes“ öffentlich kritisch zu hinterfragen, ehrlich darüber zu diskutieren oder sich von absurden Behauptungen zu distanzieren. Man sollte einfach die penetrant aufgesagte „Wahrheit“ verstehen und als „gesetzmäßig“ und „wissenschaftlich“ belegt anerkennen. Diese „Aufklärung“ und „Überzeugungsarbeit“ war nichts anderes als purer Gesinnungszwang. Der „Bürger“ musste dem aufdringlichen propagandistischen Funktionärsredner gefügig zuhören, war dem politischen Gelärm des Rundfunks und den endlosen ZK-Berichten in den Zeitungen ausgesetzt, wurde zu befohlenen Demonstrationen und Versammlungen kommandiert und zu Resolutionsunterschriften und zu heuchlerischen Bekenntnissen genötigt. Das alles war so grell, so schreiend, so primitiv, dass es Augenblicke oder Tage gab, wo ich glaubte, es nicht mehr ertragen zu können.

      Andererseits war ich zufrieden mit meiner Tätigkeit als Lehrer. Ich fühlte mich beruflich an richtiger Stelle, nahm meine Arbeit ernst, sah mich bestätigt durch Respekt und Sympathie bei Schülern und Eltern, fühlte mich auch wohl im Kollegium und unter gleich gesinnten Freunden und wollte – selbst wenn ich jetzt anstrengender und länger arbeiten musste als früher in meiner Mechanikerwerkstatt – wirklich gern Lehrer bleiben. Ich wollte auch bereitwillig beim Aufbau einer demokratischen sozialistischen Gesellschaft mitarbeiten und akzeptieren, dass selbstverständlich zur Sicherung von zivilem Recht, von staatlich-gesellschaftlicher Ordnung und sozialer Gerechtigkeit entsprechende Gesetze sowie notwendige ethische Normen gelten müssen. Doch die Willkür dieser absoluten politischen Diktatur, die die Gewaltanwendung gegen andersdenkende Menschen als gesetzmäßig und legitim erklärte und ungeschoren ausübte, schreckte mich zurück und ließ mich nicht zur Ruhe kommen. Gerade ich als Genosse der SED, mittendrin im untersten Machtgetriebe, glaubte zu erkennen, dass dieser politische Gesinnungsterror nicht nur voreiligen Übergriffen kleiner Gernegroße entsprang. Hinter solchen Funktionären auf niederer und mittlerer Ebene stand befehlend und kalt fordernd die zentrale Macht Ulbrichts und seines Politbüros. Von oben herab, mit der Moskauer Machtzentrale im Rücken, hat man unbarmherzig die „sozialistische Revolution“ vorangetrieben – ohne Rücksicht auf das natürliche Freiheits- und Rechtsbedürfnis der Menschen.

      Die nach dem Juniaufstand 1953 vorübergehend aufkommende Hoffnung auf zunehmende Liberalisierung mit mehr Achtung vor dem Menschen hielt sich unsicher für zwei drei Jahre. Innerhalb der Partei merkte ich bald, dass der von der SED-Führung ausgerufene „Neue Kurs“ lediglich zur augenblicklichen Beruhigung der aufgeregten Lage und zur strategischen Vorbereitung weiterer harter „revolutionärer“ Kampagnen dienen sollte.

      Diese Frage stellten sich viele Menschen, die damals in der DDR, in den 50er Jahren, unter dem harten SED-Regime litten oder unzufrieden waren. Und man weiß heute, dass bis zum Mauerbau 1961 annähernd 3 Millionen Deutsche aus der Sowjetischen Besatzungszone bzw. DDR in den westlichen Teil Deutschlands übergewechselt waren. Manche waren geflohen, weil sie sich gefährdet fühlten oder wussten, andere sind weggegangen, weil sie für sich und die eigenen Kinder keine Perspektive sahen, viele sind einfach „abgehauen“, weil sie die Mangelwirtschaft satt hatten und sich „drüben“ ein besseres Leben in materiellem Wohlstand erhofften.

      Jedes Jahr, am Ende der Sommerferien, wenn wir Lehrer uns zur Vorbereitungswoche auf das neue Schuljahr in der Schule versammelten, fragte man sich: Na, wer wird diesmal fehlen?

      In der Zeit von 1953 bis 1956 waren es drei Kolleginnen, (Kolln. B., Kolln. K., Kolln. S.), die unsere Schule und die DDR verlassen hatten. Bis 1959 kamen noch zwei Kollegen dazu (Kolln. H. u. Koll. Sch.). Ähnliches spielte sich an anderen Schulen ab. – Problematisch war, dass der Stundenplan der Schule kurz vor Beginn des Schuljahres wieder umgebaut werden musste und für die weggegangenen Lehrer nicht gleich Ersatz geschaffen werden konnte. Manchmal musste noch in einer Lehrerkonferenz unter Anwesenheit eines Schulinspektors der jeweilige „Fall“ ausgewertet werden. Dabei wurde vom versammelten Kollegium erwartet oder gar verlangt, sich „geschlossen“ von dem zum Klassenfeind übergelaufenen „Verräter“ zu distanzieren. Durch diese Fluktuation bei uns in den Schulen wie auch in Industriebetrieben und medizinischen oder wissenschaftlichen Einrichtungen sind beste Fachkräfte verloren gegangen.

      Natürlich habe ich mir – wie viele andere ebenso – die Frage gestellt: Solltest du auch nach drüben gehen? Meine Frau und ich, wir hatten darüber lange nachgedacht und uns im Jahre 1955 dazu entschlossen. Ich will erzählen, wie wir zu einer solchen Entscheidung gelangten und sie dann doch nicht umgesetzt haben:

      Da muss ich wieder meinen Freund Eberhard von der Fachschule nennen. Er war, 1950 in Greiz als Lehrer eingesetzt, schon 1952 von da nach dem Westen gegangen und in Frankfurt/​M wieder als Lehrer tätig geworden. Wir standen in Briefverbindung, und er redete mir zu, ihm ins Hessische zu folgen. Ins sozialdemokratische Hessen zu gehen, das gefiel mir schon. Doch ich, nicht so unabhängig wie er, zögerte, da mittlerweile familiär gebunden. Meine Frau und ich, wir hatten 1951 geheiratet, erwarteten 1954 unser erstes Kind. Im Oktober 1952 hatten wir zwar nach unentwegten Bemühungen eine Wohnung zugewiesen bekommen, doch eigentlich nur eine Behelfswohnung, als Untermieter bei drei alten Damen: zwei Zimmer, mit Küchen- und Badbenutzung, schlechtem Ofen und sehr kalt im Winter. Also kein trautes Heim, eher ein unbehagliches Provisorium! Auch in dieser Hinsicht hofften wir „drüben“ auf Besseres. Wir überlegten im Laufe eines Jahres, ob wir es wagen sollten. Ohne klare Aussichten blieb es doch ein Weg ins Ungewisse! Natürlich waren wir nach der Geburt unseres Sohnes im April 1954 wieder mehr auf unser hiesiges Familienleben konzentriert.

      Schließlich erschien es mir günstig, erst einmal in den „Westen“ zu fahren, um mich dort umzusehen. Im Zuge des „Neuen Kurses von Partei und Regierung“ nach 1953 durften die Bürger der DDR in die Bundesrepublik reisen. Man bekam bei der Polizeidienststelle den Personalausweis gegen einen Reiseausweis umgetauscht. In den Sommerferien 1954 waren viele junge Leute unterwegs. Ich ließ mich mitziehen. Mit dem Fahrrad machte ich mich auf und radelte hinüber ins Hessische. Zur Erkundung sozusagen. Hinter der Grenze bei Herleshausen, bei einer Rast, schraubte ich meinen Dynamo auf und holte den darin versteckten 5-Mark-Schein heraus, den mir mein Onkel im Brief geschickt hatte. In einem Dorfgasthaus konnte ich für 3 Mark übernachten und am nächsten Tag weiterfahren. Es war eine interessante und abenteuerliche Fahrt. Am Rande einer Kleinstadt


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