Der Fall Griechenland. J. Köper
Programm besticht auch die für den Staatshaushalt Verantwortlichen in Griechenland. Mit einem Schlag sind sie nicht nur alle Probleme mit ihrer notorisch schwachen Landeswährung los, die zwar im Inneren alle Geldfunktionen verrichtet, dabei aber und im Vergleich zu anderen Währungen beständig an Wert verliert. Mit dem Euro eröffnet sich ihnen vor allem auch unmittelbar der Zugang zu der Geschäftssphäre, in der Drachmen eine äußerst marginale Rolle spielen: Als Euro-Standort ist Griechenland für die Geschäfte der großen europäischen Finanzkapitale von gleichem Interesse wie alle anderen auch. Wenn von denen Geschäfte in Euro für lohnend erachtet werden, wird auch aus dem griechischen Zipfel der Euro-Zone eine Geschäftssphäre der Banken und Geldhändler und kommt Kapital ins Land.
Der griechische Staat jedenfalls setzt ganz darauf, dass der Eintritt in die Euro-Zone einschließlich der ihm auferlegten Maßnahmen zur Begrenzung von Inflationsrate, Haushaltsdefizit und Schuldenstand den erwünschten Effekt nach sich zieht und der Kapitalmarkt der EU sich als Finanzquelle für seinen kapitalistischen Fortschritt ausnutzen lässt. Und in einer Hinsicht wird er nicht enttäuscht: Auch griechische Staatsschulden gelangen in den Genuss des Kredits, den der gesamteuropäische Wirtschaftsraum verbürgt, auch in dem Land wachsen die einheimischen Banken, lassen sich ausländische nieder und verdienen an allen Geldgeschäften, die im Standort laufen. Ein Aufschwung im Finanzsektor ist der erste gewichtige Posten, der sich in den griechischen Wachstumsziffern niederschlägt. Ein zweiter ist unter der Rubrik Dienstleistungen zu verzeichnen, die nach einer Welle der Privatisierung und dem erfolgreichen Verkauf von Hafen- und Telefongesellschaften, Raffinerien, Werften, Kasinos und Küstenstreifen an ausländische Investoren eröffnet wird. Ansonsten aber ist, was das Wachstum in der produktiven Abteilung der Ökonomie betrifft, wiederum nur Fehlanzeige zu vermelden. Zur attraktiven Anlagesphäre für ausländisches Kapital, das von dort aus sein Geschäft betreibt und darüber die ökonomische Basis des staatlichen Wirtschaftens mit Geld stärkt, entwickelt sich Griechenland auch unter der Regie des Euro nicht. Vielmehr fangen die großen europäischen Handelsketten mit der gewachsenen zahlungsfähigen Nachfrage nur das an, was ihnen ihr Gewerbe gebietet: Sie nutzen sie mit ihrem konkurrenzlos billigen Angebot für sich aus und erledigen die noch vorhandenen Überbleibsel der traditionellen Kleinbetriebe und Handeltreibenden.
Nach zehn Jahren Euro-Wirtschaft in Griechenland hält der Zentralbankchef bilanzierend Rückschau auf die Vorteile, die dem Land aus seiner Mitgliedschaft in der Währungsunion erwachsen sind, indem er die Nachteile aufzählt, die bei einem Ausstieg aus dieser Union zu gewärtigen seien. Ihm zufolge bewahrt der Euro Griechenland vor
„einem Anstieg der Kosten der Importe und damit der Inflation aufgrund von Abwertungen; einer unglaubwürdigen Geldpolitik, im Vergleich zur Glaubwürdigkeit der Europäischen Zentralbank, und damit einem Anstieg der Inflationserwartungen; der Erwartung weiterer Abwertungen, was zur Erhöhung der Risikoprämien für das Land führen würde; einem Anstieg der Nominalzinsen aufgrund der genannten Faktoren, was zu höheren Kosten des öffentlichen Schuldendienstes führen und die Haushaltsanpassung unterminieren würde, so dass Ressourcen anderen, produktiveren Feldern entzogen würden; ... einer Verschuldung in Euro als ausländischer Währung, so dass jede Abwertung der eigenen Währung gegenüber dem Euro die Schuldenlast erhöhen würde.“ (Financial Times, 22.1.10)
Was der Mann an Vorteilen einer weiteren Mitgliedschaft im Euro-Club aufzählt, sind Symptome der Konkurrenzunfähigkeit der griechischen Nationalökonomie: Wenn bei der Alternative eines neuen eigenen, allein auf die nationale Wirtschaftskraft gegründeten Kreditgelds ausschließlich die Frage von Belang ist, mit welchen Abwertungsraten gegenüber dem derzeit als Landeswährung genutzten Euro zu rechnen wäre, wie viel mehr an Zinsen gezahlt werden müsste, um einer neuen Drachme überhaupt zu irgendeinem Wechselkurs zu verhelfen, und wie unverhältnismäßig viel von einem solchen Geld aufzuwenden wäre, damit die Nation sich noch die Importe kaufen kann, von denen sie lebt: Dann findet in dem Land eine Akkumulation kapitalistischen Reichtums, die dem Volk durch Benutzung einen Lebensunterhalt zukommen lässt und der Nation zu internationaler Zahlungsfähigkeit verhilft, definitiv nicht statt. Wenn bei höheren Zinslasten für den Staatshaushalt der Wegfall unentbehrlicher „Ressourcen“ für kapitalistisch produktive Geschäftsfelder droht, dann gibt es solche produktiven Sektoren nur als staatliches Projekt – also überhaupt nicht. Wenn der Übergang zu einer eigenen Währung die auf Euro lautende Schuldenlast der Nation unabsehbar steigen ließe, dann hat die sich längst in eine Verschuldung hineingewirtschaftet, der ihre Wirtschaftskraft endgültig nicht mehr gewachsen ist. Das ganze Ergebnis der langjährigen Teilnahme am Binnenmarkt und an der Währungsunion ist eine Unmasse Kredit, die das Land sich mit seiner alten Drachme nie hätte leisten können, die es sich als anerkannter Euro-Schuldner doch hat leisten können – und die der nationale Kapitalismus, den das Land damit zustande gebracht hat, in keiner Weise zu rechtfertigen vermag.
An diesem Missverhältnis allein liegt es aber gar nicht, dass der griechische Schuldenberg jetzt unhaltbar geworden ist.
2.
Der Bankrott Griechenlands ist, was seinen aktuellen Grund und seine imperialistische Bedeutung angeht, die Quittung des Finanzgewerbes an die Euro-Staaten für den Aufwand zu seiner Rettung und ein Offenbarungseid über den unauflöslichen Widerspruch der Währungsunion und ihres Geldes.
Den Kodex für Haushaltsdisziplin, den die Euro-Staaten sich zur Wahrung der Güte ihres Geldes in einem eigenen Stabilitätspakt verordnet hatten, setzen die europäischen Führungsnationen im Gefolge der Finanzkrise für sich außer Kraft. Natürlich nicht förmlich und offiziell, auch nicht durch Tricks bei der Buchhaltung, wie man sie den Griechen zur Last legt, sondern schlicht und ergreifend praktisch. Derart „systemnotwendig“ ist für sie ihr Banken- und Finanzwesen und derart unbedingt scheint ihnen dessen Rettung geboten, dass sie bei den Finanzmitteln, die sie den Banken zur Fortführung von deren Geschäften in den Rachen werfen, alle fein austarierten Relationen, die die Solidität ihrer alten wie neu aufgelegten Schulden verbürgen sollen, für sich einfach nicht gelten lassen. Auch wenn es manchmal nur Bürgschaften sind, für die die Staaten einstehen, und der Verkauf mancher billig erworbener Aktienpakete wieder „Geld in die Staatskasse“ bringt: Unsummen von Euro-Beträgen sind bereits in die Rettung der notleidenden Branche geflossen. Wie viel demnächst für denselben Zweck noch nötig sein wird, ist unbekannt, folglich das nächste Objekt der allergrößten stabilitätspolitischen Sorgen, zu denen noch hinzukommt, dass auch die kostspieligen Konjunkturprogramme für die zusammen mit der Finanzabteilung in der Krise steckende „Realwirtschaft“ ihre erwünschte Wirkung schuldig bleiben. Da werden dann nicht nur in der Europäischen Zentralbank und den diversen nationalen Dependancen ernste Befürchtungen wach, „die Zukunft des Euro“ betreffend, und nicht bloß in den Wirtschaftsredaktionen der Zeitungen wird darüber spekuliert, wann mit dem ersten Inflationsschub zu rechnen ist und wie hoch der ausfallen mag: An allererster Stelle sind die finanzkapitalistischen Akteure selbst, die mit so großem Aufwand gerettet werden, auf dem Sprung, auf Grundlage dieser Daten die Risiken der Geschäfte neu zu kalkulieren, mit denen sie verdienen wollen und zur Beförderung des marktwirtschaftlichen Gemeinwohls auch unbedingt sollen. Und auf deren Kalkulationen kommt es entscheidend an: Wie sie ihre Anlagen in Euro im Vergleich zu anderen spekulativ bewerteten Risiken hochrechnen und denen hochgerechnete Erträge gegenüberstellen und wie sie sich auf Basis ihrer spekulativen Berechnungen dann entscheiden, ob sie und in welchem Maß – das sie mit „Risikoprämien“ sogar zu beziffern vermögen – weiter auf die Stabilität dieses supranationalen Geldes vertrauen wollen: Von all dem hängt die Antwort auf die besorgte Frage nach dessen Zukunft praktisch ab.2) Und eine kleine Teilantwort ist aktuell unterwegs: Die kritische Begutachtung der Staatsschulden Griechenlands, die das Land zum Offenbarungseid zwingt, ist die erste Manifestation der spekulativen Prüfung der immensen Kreditmassen, die die großen Euro-Staaten zwecks Rettung des Kreditsektors und ihres Geldes geschaffen haben, durch eben diesen Kreditsektor.
Der testet sein Vertrauen in die Haltbarkeit des von den Staaten aufgeblähten Euro-Kredits, und er geht dabei sachgerecht differenzierend vor. Nämlich so, wie die Konstruktion der Gemeinschaftswährung es vorgibt: Bewertet werden die Staatsschulden, die allesamt auf gleichermaßen harte Euro lauten und in diesem Sinne auch Anerkennung