Der Fall Griechenland. J. Köper
ein Geschäft verzichten – weil sie davon ausgehen und auch ganz locker davon ausgehen können, dass die Regierungen, mit denen sie ihr spekulatives Geschäft treiben, eher die Überlebensmittel ihres Volkes dezimieren als eine Gefährdung der Geschäftsgrundlagen des Finanzkapitals zulassen.
Drittens nämlich lässt eine moderne demokratische Staatsmacht sich von allen Interessen „erpressen“, denen sie den Rang eines Sachzwangs zugesteht, sie also dazu macht; aber von ihrem Volk ganz sicher nicht. Schon deswegen nicht, weil ein demokratisch gefestigtes Volk alles andere im Sinn hat, als seine Obrigkeit zu erpressen – geschweige denn mit der Skrupellosigkeit, die die wahren Nutznießer des wahren hoheitlichen Nationalismus an den Tag legen. Das gilt auch für die protestierenden Griechen: Der Politik die Geschäftsgrundlage zu kündigen, kommt ihnen nicht in den Sinn. Sie protestieren im Gegenteil für ihre Nation, die sich von der EU und der Euro-Spekulation so schön abhängig gemacht hat. Zwischen die Notlage, in der das Land sich befindet, und die Nöte, die die Regierenden ihrem Volk vermehrt in Aussicht stellen, setzen sie ein ganz großes Gleichheitszeichen: Als Griechen sollen alle, seien sie Rentner, Tagelöhner oder Regierungschef, gegen die auswärtigen Erpresser zusammenstehen. Ein solcher Volksprotest ist eine einzige patriotische Bereitschaftserklärung: Wenn es dem großen Ganzen dient, ist man zu Opfern bereit.
Da brauchen die Zuständigen ihrem Volk die programmierten Notstands- und Verelendungsmaßnahmen bloß noch richtig zu verdolmetschen.
PS
Dem deutschen Volk braucht man anscheinend gar nichts groß zu verdolmetschen. Den freischaffenden Wortführern der demokratischen Öffentlichkeit des Landes reichen jedenfalls ein paar Hetztiraden über mediterrane Faulheit, und schon ergreift das Publikum Partei. In der Sache für die Sache seiner Chefs, Wirtschaftsführer, Spekulanten, Politiker, EU-Machthaber. In der Vorstellung gegen „die Griechen“, die nichts Besseres als eine ordentliche Verelendung verdienen. Mit so einer Mischung aus Gemeinheit und Ignoranz hält ein braves Volk offenbar besser aus, was seine Chefs mit ihm so alles anstellen, damit es gar nicht erst so weit kommt wie in Griechenland.
1) Näheres dazu im nächsten Kapitel, S. 29
2) Zu der in den folgenden Kapiteln thematisierten Rolle des Finanzkapitals, den Eigenheiten des finanzkapitalistischen Geschäfts, seiner systemischen Bedeutung sowie insbesondere zum Verhältnis von Finanzkapital und Staat sei auf das in Kürze erscheinende Buch: Das Finanzkapital verwiesen.
© GegenStandpunkt 2015
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