Lieber guter Weihnachtsmann, schau mich nicht so böse an. Susanne Rüster

Lieber guter Weihnachtsmann, schau mich nicht so böse an - Susanne Rüster


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der mit majestätischen Buchen und einer dichten Haselnusshecke bewachsen ist. In dieser Hecke ist ein Durchgang, den er ja schon für seine Beobachtungen nutzt. Diese Lücke will er noch besser nutzen und einen persönlichen Besuch vorbereiten. Im Park schlendert er, wie in Gedanken versunken, unter den Buchen auf und ab und beobachtet die Fenster der Klinik. Keiner der Patienten scheint sein Spannerhobby zu teilen. Brav gehen wohl alle zu ihren zehrenden Anwendungen. Der erste Frost lässt die Blätter unter seinen Füßen knacken. Uwe Pfeifer schlüpft durch die Hecke und überquert eine kopfsteingepflasterte Straße. Der Wind lässt Plastikbecher und Papiertüten um seine Beine tanzen, dann steht er vor dem Reihenhäuschen. Das Küchenfenster, durch das er so oft gespäht hat, liegt wenige Meter vor ihm. Sein Mut verlässt ihn. Was wird geschehen, wenn die schöne Nachbarin ihn für einen Einbrecher hält?

      Der Zufall kommt ihm zu Hilfe. Eine Windböe schleudert einen trockenen Ast mit einem lauten Krachen gegen das Küchenfenster. Die junge Frau kommt erschreckt aus dem Haus gelaufen.

      „Nur keine Aufregung“, ruft er und schwingt seine Fülle über den niedrigen Gartenzaun, wobei seine Gelenke bedenklich knirschen. Behände, wie ein Gummiball, hüpft er durch den kleinen Vorgarten und zerrt den Ast in Richtung eines Komposthaufens. Die Frau sieht seinem Treiben zu und versucht ihre Bluse über die Schenkel zu ziehen. Pfeifer lächelt verbindlich, reicht ihr seine Hand und stellt sich vor.

      „Pia Vogel“, erwidert sie verwirrt.

      „Es wird gleich zu schneien beginnen, ziehen sie sich lieber etwas über.“

      Dankbar nimmt sie diesen Rat an, eilt ins Haus. Mit einem dicken Wollpullover und einem Schlabberrock kommt sie zurück und streckt die Hand nach dem Ast aus, den Pfeifer noch immer umklammert.

      „Wenn Sie eine Säge haben, mache ich ihn schnell klein.

      „Mein Mann wird im Werkzeugkasten vermutlich eine haben. Ich schau mal nach.“

      Was, ein Mann? Seit fast einer Woche nimmt er am Leben der Pia Vogel teil und hat noch nie ein männliches Wesen gesehen. Sich auf einen Herrn Vogel einzustellen, damit hat er nicht gerechnet.

      Pia Vogel reicht ihm einen Fuchsschwanz.

      Pfeifer bückt sich und beginnt den Ast zu zersägen.

      „So, das hätten wir“, ruft er, nachdem er ihn in kamingerechte Stücke zerlegt hat. Mühsam richtet er sich wieder auf und unterdrückt ein Stöhnen. Die ungewohnte Anstrengung hat ihm den Schweiß auf die Stirn getrieben. Er räuspert sich.

      „Wenn Sie vielleicht ein Glas Wasser hätten?“

      Pia steht betreten neben ihm, weiß nicht so recht, was sie mit dem fremden Helfer anfangen soll. Pfeifer geht aufs Ganze.

      „Wissen Sie, eine Tasse Tee wäre schön bei diesem Wetter.

      „Ich wollte mir gerade einen Earl Grey aufgießen.“

      „Prächtig, dann mache ich ja keine Umstände.“

      Kurz darauf sitzt Pfeifer an dem gedeckten Küchentisch, den er so viele Male sehnsüchtig beobachtet hat.

      Pia Vogel öffnet eine Keksdose, deren bunten Aufdruck er bereits kennt, und zaubert aus dem Küchenschrank weiß bepuderte Windbeutel.

      Uwe Pfeifer fühlt sich so wohl wie lange nicht und ist endlich wieder mit sich und der Welt versöhnt. Er lässt die Köstlichkeiten auf der Zunge zergehen und verdreht vor Wonne die Augen.

      „Ganz vorzüglich“, sagt er zu seiner Gastgeberin, die ihn freundlich mustert. Während er sich die zweite Tasse Tee eingießen lässt, ermahnt er sich zu einer Plauderei, denn oft ist er unfähig, ganz zwanglos ein Gespräch zu beginnen. Was soll er sagen oder fragen. Er hofft, dass ihm etwas einfällt, und dann hat er wieder eine Idee. „Einen schönen Garten haben Sie. Man sieht das auch bei diesem Novemberwetter, wenn die Natur vor dem Winter zu schlafen beginnt.“

      Und dann, als wäre der letzte Satz von Uwe Pfeifer ein ‚Sesam-öffne-dich‘ gewesen, beginnt Pia Vogel zu reden. Sie spricht von der Arbeit, die ein noch so kleiner Garten macht. Er hätte es ja selbst erlebt, denn Äste würden bei jedem Windstoß von den alten Bäumen geweht. Sie erzählt von Besuchern, die sie am Tag der ‚Offenen Berliner Gärten‘ begrüßen konnte, auch von ihrer Kindheit auf einem Bauernhof bei Lübars, von Nachbarn und von Hunden, die überall hinpinkeln, und streunenden Katzen, die ihr die Vögel vertreiben.

      Pfeifer genießt es. Eine Antwort wird nicht erwartet. So kann er sich ganz ungeniert dem Genuss der verbotenen Nürnberger Lebkuchen hingeben und lauscht versonnen ihrem Redefluss. Ihr berlinischer Akzent hat etwas Vertrautes.

      Jäh schreckt er auf, als ein Kuckuck krächzend aus einer Uhr hervorschnellt und sechsmal seinen Ruf ertönen lässt.

      18.00 Uhr! Zu dieser Zeit wird in der Klinik die sehr übersichtliche Mahlzeit serviert.

      „Wir haben uns verplaudert. Ob ich wohl morgen wiederkommen darf?“

      „Gern“, gibt sie ohne Zögern zur Antwort. Pfeifer verabschiedet sich, wählt wieder den Weg über die Straße durch die Hecke und schleicht, nun in der Dunkelheit, zurück in die Klinik.

      Am folgenden Tag steht er pünktlich um 16.00 Uhr vor Pia Vogels Haus. Von seinem Frühstückstisch hat er das kleine Tannengesteck mitgenommen.

      „Wie hübsch“, sagt sie.

      Der Tisch, diesmal im Wohnzimmer, ist schon gedeckt. Es gibt Kaffee, dazu einen guten Cognac und Uwe Pfeifer weiß es schon, er hat die Nachbarin am Vormittag beobachtet, Apfelkuchen mit Sahne. Pia Vogel schenkt Kaffee ein, setzt sich ihm gegenüber und schweigt. Wieder überlegt Pfeifer krampfhaft, was er sie fragen kann.

      „Vermissen Sie eigentlich den Bauernhof und die Tiere mit denen Sie aufgewachsen sind?“

      Mit dieser Frage hat er ins Schwarze getroffen. Sie lehnt sich in ihrem Sessel zurück, lässt ihren Blick in die Ferne schweifen, und beginnt zu erzählen. Pfeifer lauscht ihren Erinnerungen, für ihn eine melodiöse Tischmusik, die seine Mahlzeit, später serviert sie ihm noch gefüllte Schinkenröllchen mit Melonenstücken und Käse, dezent begleitet.

      Wieder meldet der krächzende Kuckuck die Stunde des Klinikabendbrotes. Wie selbstverständlich verabschiedet er sich diesmal mit den Worten: „Dann bis morgen.“

      Am nächsten Tag kann er es kaum erwarten, denn er hat Pia Vogel wieder beobachtet, hat gesehen, wie sie für ihn kocht. Sie ist ein Geschenk des Himmels. Seine Pfunde scheinen sie nicht zu stören, im Gegenteil, sie ist dabei, sie zu vermehren. In seinem Hungermartyrium erscheint sie ihm als eine Fee mit einem übergroßen Füllhorn.

      „Ich habe eine Überraschung für Sie“, begrüßt Pia ihn geheimnisvoll. „Sie können sie erriechen.“

      Pfeifer, der kein Spielverderber sein will, zieht geräuschvoll die Kochdüfte durch die Nase ein und stellt sich unwissend.

      „Gulasch?“, fragt er, obwohl er den saftigen Braten schon vor der Linse gehabt hat.

      „Fast richtig, und was gibt es dazu?“

      „Vielleicht Pilze?“

      Pia Vogel klatscht in die Hände. „Sie sind ein Feinschmecker!“

      Sein Blick schweift durch den Raum und bleibt auf einem Bild mit einem Männerkopf hängen. „Ihr Mann ist wohl selten zu Hause?“, fragt er.

      Sie schweigt und Pfeifer läuft es plötzlich eiskalt über den Rücken, die falsche Frage am richtigen Ort. Er sieht alle Köstlichkeiten im Kühlschrank verschwinden und sich selbst wieder an der widerlichen Brühe in der Klinik nippen. Pia Vogel blickt ihm fest in die Augen.

      „Ich bin froh, dass Sie mir diese Frage stellen. Mein Mann und ich führen keine Ehe mehr. Er hat eine Freundin, die ganz schlecht kocht. Darum kommt er jedes Wochenende zu mir, räumt den Kühlschrank aus, nimmt alle Lebensmittel, auch meine gebackenen Kuchen, mit zu dieser neuen Frau.

      „Hmm“,


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