Nacht über der Prärie. Liselotte Welskopf-Henrich

Nacht über der Prärie - Liselotte Welskopf-Henrich


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und gefüllt mit Rätseln, die wie schwarze Kerne aus Fruchtkapseln hervorkommen und sich verbreiten konnten, um neue Rätsel hervorzubringen.

      Der Motor gehorchte überraschend gut. Queenie fuhr, wie sie auch zu reiten pflegte, mit leichter Hand steuernd, mit raschem Ruck, mit genau berechneter Wendung, wenn ein Hindernis auftauchte. Diesen Weg zu fahren, auf dem sich Queenie jetzt befand, bedeutete eine Art von Artistenkunst. Sie war mit vierzehn Jahren eine solche Artistin am Steuer geworden. Ohne solches Geschick konnte man von der Ranch nicht mit dem Wagen zur Schule oder zur Agentur kommen. Es war eine durchschnittliche mittlere Fähigkeit des modernen Prärie-Indianers, sagte sie vor sich hin, als ihr Ella und das Gespräch am Abschiedsmorgen des Ferienbeginns wieder einmal einfielen. Queenie gewann ihre Selbstsicherheit zurück, die sie nach ihrer Begegnung mit Joe King verloren zu haben fürchtete. Sie besaß die Fähigkeiten, die hier gebraucht wurden.

      Der Sturm heulte plötzlich auf. Es wurde finster, und das Mädchen brach alle Gedanken ab. Sie war schon zu weit von der Agentur entfernt und dem Haus des Vaters noch nicht nahe genug, um von irgendeinem Menschen Hilfe erwarten zu können. Jetzt galten nur noch der Sturm und das baumlose Land und ein bisschen Leben, das sich behaupten wollte.

      Queenie umklammerte das Steuerrad. Ihre Kräfte reichten kaum mehr aus, um es festzuhalten. Der Sturm fauchte von den Wüsten Mexikos und Arizonas bis hinauf in die Eissümpfe des kanadischen Nordens; es war ein Land wie für den Sturm geschaffen, sein Reich. Er orgelte nicht in den Bäumen; ihr klägliches Geäst war für ihn nichts als ein unwürdiges Spielzeug, das er entblätterte und brach. Mit dem Staub spielte er und mit den Wolken, er drehte sie durcheinander, dass das Untere nach oben, das Obere aber nach unten kam. Dächer warf er in die Luft und polterte mit ihnen wieder auf den Boden. Durften sie ihn hindern? Sein Bruder war der Blitz, der vom Himmel zur Erde fuhr, und er heulte gegen das Gebrüll des Donners, das nicht gewaltiger sein konnte als die Stimme des Präriesturms.

      Queenie sah den Weg nicht mehr. Das Tageslicht konnte noch nicht erloschen sein. Aber Staub und Wolken ließen es nicht mehr durchdringen. Wieder brachen Wassermassen herunter; sie trommelten auf das Dach des Wagens, die Scheiben trieften. Der Weg wurde im Umsehen ein Bach, ein reißender Bach. Er nahm Erde mit, grub sich neue Betten und lehmige Canyons bis zu einem Meter Tiefe, wusch die Erde unter den Rändern weg und spritzte unter dem Wagen. Queenie bremste, aber sie hatte sich schon zu weit gewagt im unübersichtlichen, schlüpfrigen, ausgewaschenen Gelände. Der Wagen rutschte und stellte sich schief. Er war mit einem Hinterrad in einer tiefen, glitschigen, wasserdurchspülten Furche hängengeblieben.

      Aus.

      Queenie fand sich damit ab, in der Lage, in die sie jetzt geraten war, mindestens einige Stunden aushalten zu müssen. Sobald das Unwetter vorüberging, wollte sie zu Fuß zur väterlichen Ranch laufen und – nicht zur Freude des Vaters – berichten, wo der Wagen steckte. Wenn sie des Abends nicht mit dem Bruder nach Hause kam, wie die Eltern erwarteten, so machten sich Vater und Mutter darum wahrscheinlich noch nicht viel Sorgen. Sie nahmen sicher an, dass die Geschwister vor dem Unwetter irgendwo rechtzeitig haltgemacht hatten. In einer solchen Situation nahm auch die ärmste Indianerfamilie zwei junge Menschen für eine Nacht auf.

      Es wurde Queenie erst unheimlich zumute, als der Sturm nicht nachließ, sondern mit hinterlistigen Böen und Wirbeln begann. Hin und wieder hob er den Wagen an, als ob dieser nichts weiter als eine Streichholzschachtel sei. Etwas schlug heftig gegen die Windschutzscheibe. Queenie konnte nur erraten, dass es ein großer Ast gewesen war. Der Bach auf dem Weg hatte sich vertieft, der Wagen sank weiter ein, das Wasser rauschte schon bis zur Tür herauf. Wenn Queenie nicht genau gewusst hätte, dass sie auf einem Weg gefahren war, hätte sie geglaubt, aus Versehen in einen Fluss geraten zu sein. Die Nacht war schwarz, stumpf, ohne Glimmen, ohne Schimmer. Das Wasser rauschte in dem neu gefundenen Bett, der Sturm pfiff und spielte mit sich selbst, und Queenie war allein. Ihre Füße wurden nass. Dann hob es sie, als ob eine übermenschliche Faust den Wagen mit allem, was darin war, gepackt habe. Aus Wasser und Erdfurchen hob der Sturm das Gefährt und warf es gegen einen Abhang. Queenie hatte sich zu einer Kugel zusammengerollt und den Kopf zwischen die Knie gedrückt.

      Als das Rollen, Holpern, Schlagen und Überschlagen aufhörte, rollte sie sich wieder auseinander und stellte fest, dass der Wagen auf dem Dach lag; die Räder in der Luft, wie eine auf den Rücken gefallene Fliege. Es war noch einmal alles gut gegangen. Der Sturm hätte den Wagen auch mitnehmen und irgendwo zerschmettern können. Queenie richtete sich in der neuen Lage ein. Sie hatte einige Prellungen davongetragen. Das tat nichts. Alles, was nicht unmittelbar ans Leben ging, erschien ihr jetzt schon angepasst und erträglich. Jedenfalls hatte der Sturm sie aus dem Bach herausgeholt!

      In dem Augenblick, in dem Queenie diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, schoss eine neue Flutwelle in das Prärietal hinein.

      Queenie arbeitete an dem Fenster, um aus dem Wagen, in dem sie zu ertrinken fürchtete, noch hinauszugelangen. Mit dem Griff eines feststellbaren Taschenmessers, das sie auf Reisen stets bei sich trug, versuchte sie eine Scheibe einzuschlagen, da die Kurbeln nicht funktionieren wollten.

      Zerkratzt, mit zerrissenen Kleidern, deren Fetzen nass am Körper klebten, stand sie endlich außerhalb des Wagens, bis über die Knie im Wasser. Ihr Haar flatterte im Sturm. Sie wusste nicht, wie sie sich halten sollte. Der Winddruck warf sie fast nieder, und sie musste jeden Augenblick befürchten, dass der Sturm sie so wie vorher den Wagen ergreifen und irgendwohin schleudern würde. Sie stand in der Sturmrichtung, das war gefährlich. In ein Quertal hätte sie sich retten müssen, aber nun war alles zu spät. Es blieb nichts übrig, als zu atmen, solange sie vermochte. Wenn sie einen Schritt zu machen versuchte, glaubte sie den Halt zu verlieren, selbst wenn sie sich an dem Wagen festklammerte. Der Boden unter dem Wasser war schlüpfrig und hatte Löcher. Der Sturm war zu gewaltig.

      Die Anstrengung war für das Mädchen sehr groß. Ihre Knie zitterten. Auch mit dem Rücken gegen den Sturm gewandt, konnte sie nur noch schwer atmen. Es schwindelte ihr, und sie war so erschöpft, dass ihr alles gleichgültig werden wollte. Sie dachte aber noch: Es ist feige aufzugeben. Ich will kämpfen, solange ich noch denken kann, noch denken kann … noch denken … kann … Vater … ja … Mutter … ja, ja … noch denken …»Stonehorn!« schrie sie hinaus. Er war nicht der einzige, der wissen konnte, wo sie hingefahren war und wann sie gefahren war, aber er war der einzige, von dem sie erhoffte, dass er … ja, dass er … ihr vielleicht … gefolgt … und dass er dem Sturm widerstehen …

      »Stonehorn!« Der Sturm wehte ihr das Wort vom Munde weg. Aber dann kam wirklich der, den sie gerufen hatte.

      Seine Arme packten sie, als ob sie leicht wie ein Kind sei, und sie spürte den menschlichen Körper wie das Leben selbst, das sie liebte. Er trug sie ein gutes Stück weit, sie wusste nicht, wie lange oder wohin, aber sie war so vollständig geborgen, dass sie zu denken aufhörte und kein Gefühl mehr mit einem Wort hätte bezeichnen können.

      Die Gewalt des Sturms schien nachzulassen. Der Mann hatte sie wohl in ein Seitental getragen; auch diese Vorstellung war mehr Instinkt für sie als Bewusstsein. Ihr Kopf sank zurück. Sie fand irgendeinen Halt dafür, und sie schlief ein.

      Als sie wieder erwachte, verstand sie erst nicht, wo sie war, aber sie hatte doch soviel Gefühl dafür, dass sie die Stille nicht mit einer Frage zerriss. Ihre Lider öffneten sich nur halb, und sie fand kein Licht, aber auch nicht mehr das stumpfe Schwarz. Ein Stern glänzte matt zwischen letzten Nebeln, abfließendes Wasser rauschte, der Wind strich über die Gräser, die er gepeitscht hatte. Sie lächelte, denn sie spürte jetzt, dass ihr Kopf an der Schulter eines Menschen lag. Sie wandte ihm ihr Gesicht zu, und sie sagte noch immer nichts. Aber sie spürte von neuem das Leben und dass sie nicht gestorben und nicht zwischen schmutzigen Wassern verreckt war.

      Als er sie an sich zog, sacht erst, dann mit seiner ganzen Kraft, schien ihr erfüllt zu sein, was sie verborgen vorgefühlt und in scheu gehüteten Träumen gesehen hatte, und die erste Leidenschaft ihres jungen Körpers und ihrer jungen Seele vereinten sich so mit der unbändigen Leidenschaft des Mannes, dass ihr alle Schmerzen Seligkeit wurden.

      »Inya-he-yukan«, sagte sie leise, deutlich, andächtig,


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