Bonzentochter. Michaela Martin

Bonzentochter - Michaela Martin


Скачать книгу
die in der Pflicht zu regelmäßigen Unterhaltszahlungen stehen.

      Anita und ich verabscheuen Männer, die sich von ihren zukünftigen Ehefrauen vor der Hochzeit, zu einem Zeitpunkt, während dessen wir Frauen erfahrungsgemäß hirnlos auf Wolke sieben schweben, Blanko-Verzichtserklärungen unterschreiben lassen. Frauenloyalität wird bei uns im Büro großgeschrieben. Aber in diesem speziellen Fall drücken wir unserem Chef die Daumen, dass es ihm gelingt, Vater Schnell wieder in die Verantwortung zu nehmen, falls auch diese hoffnungsvoll gestartete Ehe vor dem Scheidungsrichter landet.

      Unsere Ängste um das finanzielle Wohlbefinden unseres Chefs haben einen Grund. Allzu präsent ist uns das Schicksal von Rechtsanwalt Heldrich, einem befreundeten Kollegen von Kains, der seine Kanzlei schloss, nachdem er bemerkte, dass jede seiner beiden Sekretärinnen am Ende eines Monats mehr Geld in der Tasche übrig hatte als er selbst.

      Er schloss die Pforten seiner Kanzlei mit den Worten: „Ich habe keine Lust, mir zwölf Stunden am Tag das Hirn zu zermartern, damit meine Frau den Rest ihres Lebens auf meine Kosten von der Selbsterfahrungsgruppe zum Friseur, zur Kosmetik, zum Fitnesskurs und nicht zuletzt zum Kochkurs der Volkshochschule pilgert, anstatt einer geregelten Arbeit nachzugehen!“

      Unseren Vorwurf, dass sein Verhalten verantwortungslos sei, weil seine Frau damit der Sozialhilfe anheimfallen werde, konterte er gelassen: „Jetzt kann meine Frau endlich die Karriere machen, die sie angeblich zugunsten der Familie vor 20 Jahren geopfert hat. Viel Spaß dabei!“

      Warum die Ehe von Heldrich gescheitert ist, wissen wir nicht. Nachdem in Deutschlands Großstädten inzwischen fast schon jede zweite Ehe geschieden wird, liegt er im Trend. Sein konsequenter Ausstieg aus dem Berufsleben allerdings gibt Anlass zur Sorge. Sollte es Schule machen, dass Deutschlands geschiedene Männer lieber in die Arbeitslosigkeit wandern, als Unterhalt zu zahlen, dann hat das nicht nur für die Ehefrauen finanzielle Auswirkungen, sondern auch für das Personal. Wenn zukünftig auch nur jeder dritte selbstständige Anwalt oder Steuerberater seine Kanzlei nach seiner Scheidung schließt, dann tummelt sich demnächst ein Heer von arbeitslosen Sekretärinnen beim Arbeitsamt. Verständlich also, dass meine Kollegin und ich schon im eigenen Interesse hoffen, dass unser Chef durch einen guten Ehevertrag sicherstellt, das Vater Schnell im Falle einer Trennung für seine Tochter aufkommt.

      Von Büroorganisation hat Kains ganz eindeutig keine Ahnung. Auf seinem Schreibtisch herrscht das kreative Chaos, obwohl wir ihm täglich die Akten bestens aufbereitet vorlegen. An uns Bürodamen liegt es eindeutig nicht, dass er immer auf der Suche nach der passenden Akte ist.

      Als Jurist ist er genial. Ich habe von ihm mehr gelernt als von allen Professoren an der Uni zusammen. Er hat die Gabe, selbst sehr komplizierte Fälle so strukturiert darzustellen, dass jeder sie verstehen kann, die Mandanten, die Mitarbeiter und vor allem auch die gegnerischen Anwälte und die Richter.

      „Wenn alle verstehen, worum es geht, dann tut man sich einfach leichter, gemeinsam eine Lösung des Problems zu finden“ lautet sein Credo und es scheint viel Wahres dran zu sein, denn der Erfolg gibt ihm Recht.

      Tatsache ist, dass ich erst seitdem ich bei Kains arbeite, fest davon überzeugt bin, dass ich mit Jura das richtige Studium gewählt habe. Nach zwei Semestern Professorenkauderwelsch hatte ich eine ernsthafte Krise. Ich war nahe daran, mein Studium hinzuwerfen. Die Professoren hatten mich so weit, dass ich davon überzeugt war, zu dumm für die Juristerei zu sein.

      Mein Vater ist gelernter Schlosser, meine Mutter hat nach dem Krieg Schneiderin gelernt. Wenn es mir gelingt, das Studium erfolgreich zu beenden, bin ich der erste Akademiker überhaupt in unserer Familie. Das erfüllt meine Eltern zwar mit Stolz, aber mein Vater hegt auch ein gewisses Misstrauen, ob sich seine Investitionen in mein Studium einmal amortisieren werden. Er ist ein glühender Verfechter der Hausfrauenehe. Deshalb geht er davon aus, dass seine drei Töchter einmal für Kinder, Küche und Kirche, die drei klassischen „K“ eben, zuständig sein werden, wie sich das für eine normale Frau der Mittelschicht in den siebziger Jahren in Deutschland gehört.

      Als ich meine Eltern davon in Kenntnis setzte, dass ich nach dem Abitur beabsichtige zu studieren, fragte mich mein Vater leicht irritiert: „Was hast du eigentlich davon, wenn du Akademikerin bist und später mit all deinen akademischen Würden ausschließlich in Alete rumrührst?“

      Ich gehe einmal wohlwollend davon aus, dass er diesen Spruch nicht böse meinte. Er sprach nur das offen aus, was die meisten Männer in den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts über die Rolle der Frau in unserer Gesellschaft dachten.

      Mein Vater hat in den 20 Jahren seiner Ehe, umgeben von vier Frauen, schon häufiger feststellen müssen, dass er in familiären und gesellschaftspolitischen Dingen eine Minderheitsmeinung vertritt. Er hat inzwischen gelernt, dass er gut beraten ist, sich Mehrheitsmeinungen im Hause zu beugen. Das heißt natürlich nicht, dass er seine Meinung korrigiert. Es zeigt nur, dass er darauf verzichtet, sie zu Hause durchzusetzen, weil er nach einem 12-Stunden-Arbeitstag zu Hause seine Ruhe will. Es ist ihm schlicht auch nicht so wichtig, ob seine Töchter studieren oder eine nichtakademische Ausbildung haben. Hauptsache sie sind glücklich und er hat seine Ruhe.

      Meine Mutter ist eine gute Verbündete ihrer Töchter. Sie ist der festen Überzeugung: „Eine Frau kann gar nicht genug lernen, wenn sie ein eigenverantwortliches, selbstständiges Leben führen will, egal in welcher Rolle“.

      Ihr Credo ist: „Wissen ist Macht“.

      Meine Mutter ist Jahrgang 1930. Sie war gerade neun Jahre alt, als der Zweite Weltkrieg begann. Ihre Heimatstadt Köln gehört zu den Städten in Deutschland, die am stärksten zerstört wurden. Als der Krieg 1945 zu Ende war, war sie 15 und hatte die Schule bereits verlassen. Ihr Vater schickte sie in ein Kölner Kaufhaus zur Schneiderlehre mit den Worten: „Da lernst du was Gescheites, denn Kleidung brauchen die Menschen immer!“ Während ihrer Schulzeit saß sie öfter im Bunker als auf der Schulbank. Ein Leben lang litt sie unter ihrer schlechten Schulausbildung. „Was kann ich schon? Ein bisschen rechnen und für einen Brief an die Verwandtschaft reicht es gerade auch noch, aber damit hört es schon auf.“

      Ihren Beruf hat sie gehasst, deshalb ist es ihr heute umso wichtiger, dass ihre drei Töchter einmal die Möglichkeit haben, einen Beruf auszuüben, den sie lieben und der sie auch noch gut ernährt.

      Während unsere Mutter eine Befürworterin einer möglichst umfassenden Schulausbildung ist, vertritt unser Vater die gegenteilige Meinung: „Das Leben lehrt die Menschen die wirklich wichtigen Dinge, nicht die Schule.“

      Diese spielt bei ihm eine eher untergeordnete Rolle. Er leidet auch nicht darunter, nur einen Volksschulabschluss zu besitzen. Er ist heute ein erfolgreicher Unternehmer, auch ohne eine höhere Schulausbildung.

      Vor dem Hintergrund dieser beiden unterschiedlichen Erziehungsmodelle ist es zu verstehen, dass mein Vater seine Investition in meine Ausbildung übersichtlich gestalten möchte. Als ich mich im September 1972 von ihm verabschiedete, um zum Studieren nach München zu ziehen, stellte er klar: „Ich hoffe, du weißt, was du tust. Denk daran, ich bezahle nur eine Ausbildung. Solltest du auf die Idee kommen, das Studium abzubrechen, musst du selber sehen, wie du weiterkommst.“

      Ich weiß zwar nicht, ob er seine Drohung wahr gemacht hätte, aber zuzutrauen wäre es ihm. Dank der motivierenden Arbeit bei Rechtsanwalt Kains muss ich allerdings die Finanzierungsbereitschaft meines Vaters für ein neues Studium und damit auch die Belastbarkeit des Familienfriedens nicht testen.

      Also verdanke ich es Kains, dass ich die Krise überwunden habe und kurz vor dem Examen stehe. Die Juristerei macht mir inzwischen sogar richtig viel Spaß. Nun besteht nur noch die Gefahr, dass ich mehr Zeit in der Kanzlei verbringe als in der Uni.

      Aber jetzt ist endgültig Schluss für heute, schließlich ist es Freitag und schon 17 Uhr.

      Ich habe weder Zeit noch Lust zu warten, bis mein verliebter Arbeitgeber sein Gespräch mit seiner Herzallerliebsten endlich beendet. Das kann bekanntlich dauern. Dieses Mal bin ich nicht bereit, Rücksicht zu nehmen. Aber den Schriftsatz muss ich noch loswerden, damit er weiß, dass ich pünktlich mit allem fertig geworden bin. Ich bin wild entschlossen, innerhalb der nächsten fünf Minuten das Büro zu verlassen. Da hilft


Скачать книгу