So war es in der DDR und nicht anders. Gerd Leonhardt
das „Beratungsgespräch“ beendet. Meinen Beruf als Pelztierzüchter konnte ich kurz nach Beendigung der Lehre nicht mehr ausführen, weil dieser Betrieb geschlossen wurde. Den Nutrias und Nerzen hatte es scheinbar auch nicht gefallen, denn sie rissen entweder reihenweise aus oder wurden gestohlen. Zumal es viele Beschwerden hagelte, da sich gegenüber die volkseigene Brotunion befand. Nun zeigte sich im ganzen Bezirk Karl-Marx-Stadt keine Möglichkeit, meinen erlernten Beruf weiterzuführen. Nach zwei bis drei Arbeitsstellen bewarb ich mich bei den städtischen Theatern als Bühnentechniker, auch „Kulissenschieber“ genannt. Hier kam wieder etwas „Wärme“ in meinen Körper, denn ich konnte fast jeden Abend kostenlos im Opernhaus sein. Es war mehr die klassische Musik, die mich bewog diesen Schritt zu tun, mehr als Kulissen hin und her zu schieben. Die Beatmusik konnte ich erst einmal an den Nagel hängen, da ich annähernd jedes Wochenende im Opernhaus Dienst hatte. Es gab aber ein Hauptdepot für die beiden Theater, wo sämtliche Dinge für das Musiktheater, das Schauspiel und die Requisite aufbewahrt wurden. Dort setzte ich mich die nächsten fünf Jahre fest. Zur gleichen Zeit wurde die „Singakademie Karl-Marx-Stadt“ gegründet, ein Amateur-Chor mit etwa 160 Mitgliedern. Der Chorepetitor war gleichzeitig Leiter des Opernchores, in welchem ich sofort dabei war und für den Kammerchor herausgepickt wurde. Mit dem ganzen Chor führten wir viele berühmte Chorwerke auf. Von Orffs „Carmina burana“ bis Händels „Messias“ wurde die ganze Bandbreite durchgequirlt. Ich versuchte die Möglichkeit auszuloten, beruflich so schnell wie möglich in die Sangeskunst einzusteigen. Obgleich ich hin und her gerissen wurde zwischen Oper und Beat. Ich nahm Privatgesangsunterricht. Dieser war für mich kostenlos, da ich sozusagen im „Betrieb“ arbeitete und mit der Maßgabe studierte, als Chorist in drei bis vier Jahren eingestellt zu werden. Diese Möglichkeit war in der DDR gegeben, falls das entsprechende musikalische, sängerische und „politische“ Niveau vorhanden war. Bei letzterem musste ich etwas „vorspielen“, was jedoch normal war. Genau dieses Verstellen fiel mir schwer. Ich hielt besser den Mund!
In der Oper war die sozialistische Ausrichtung ebenfalls zu sehen und zu spüren. Als man im Jahr 1965 die „Aida“ inszenierte, wurde der Einmarsch der Wehrmacht in Österreich nachempfunden. An den Portalen stand mit Eichenlaub und in Goldschrift zu lesen: „Kanonen statt Butter“. Überall gab es Leute, die entweder alles noch marschmäßiger aufziehen oder mit einer Inszenierung Protest ausdrücken wollten. Genauso wie am „Deutschen Theater“ in Berlin. Hier trat 1963 der Intendant zurück, weil das Stück „Die Sorgen und die Macht“ von der Kulturkommission verboten wurde. Und dies in jenem Theater, welches nach dem Krieg am 07.09.1945 als erstes wieder eröffnet wurde. Es gab viele derartiger Dinge, die aber größtenteils unter den Tisch gekehrt wurden, falls sich eine Möglichkeit dafür bot.
1968 und der von der „Links-Partei“ vergessene Einmarsch in die CSSR
In den Staaten des „Warschauer Vertrages“ wurde ein jedes mit der sowjetischen Eisenhand geregelt. Sämtliche „Regierungen“ in den „Bruderstaaten“ waren Lakaien und Speichellecker Moskaus, mit Abstrichen gegenüber Albanien und Jugoslawien, denn Tito hatte seinen Krieg selbst gewonnen. Ihren Frust, dass alles nicht so gelang, wie man es sich laut Marx und Engels vorgestellt hatte, luden diese Roten Faschisten bei den Bürgern ab. Logisch, dass es ab und zu wieder einmal „Ärger“ geben würde. So geschah es auch 1968. Zufälligerweise drehte man in Prag einen Film über den Zweiten Weltkrieg, dazu wurden 20 Panzer amerikanischer Herkunft gebraucht. Diese fuhren dann aus Bayern auch in die tschechischen „Barrandov“-Filmstudios. Manche Funktionäre hatten jenen Einsatz schon als den verfrühten „Prager Frühling“ verstanden. Dubcek, der neue Vertreter Moskaus, wollte seinem Volk etwas mehr Freiheit und wirkliche Demokratie anbieten, und er meinte es ernst. Das Resultat: Wir mussten im August des Jahres 1968 mit den anderen „Bruderarmeen“ in die Tschechoslowakei einmarschieren, um den „Imperialismus“ abzuwehren. Mehrere Wochen lang wurden im Kreis Marienberg (Oberes Erzgebirge) große Truppenkontingente der NVA und der Sowjetarmee zusammengezogen. Als Grund gab man an, dass „Konterrevolutionäre Elemente“ gemeinsam mit der NATO einen Überfall auf die Bruderländer beabsichtigen. Genau jenem Streben sollte „vorgebeugt“ werden. Während unsere Truppen sich etwas „arrogant“ zeigten und zurückhielten, ließen die Russen die Sau raus. Sämtliche Wälder der Region waren voll mit russischem Dung und der „Prawda“. Wir kamen später dort an, und die „Iwans“ marschierten als erste rein. Ich wähle bewusst dieses Schimpfwort im Zusammenhang mit dieser Intervention! Im Süden gingen schon die Ungarn über die Grenze. Wir waren etwas danach dran. Die russischen Einheiten der Rückwärtigen Dienste bildeten eine LKW-Schlange, die Fahrzeug an Fahrzeug von Karl-Marx-Stadt bis nach Prag reichte – und dies in beide Richtungen. Nein, das waren keine Divisionen, sondern ganze Armeen, welche einmarschierten. Die sowjetischen Panzer fuhren durch mehrere Dörfer kerzengeradeaus und durchbrachen viele Häuser einfach so und ohne jegliche Rücksicht. Wer sich in den Weg stellte – und derer gab es viele – wurde ohne zu zögern überrollt. In Bärenstein sahen wir die ersten Resultate. In der gegenüberliegenden Stadt Weipert stand mit übergroßen Buchstaben auf mehreren Dächern zu lesen: „1938 Hitler – 1968 Ulbricht!“ Uns wurde es, bis auf wenige Ausnahmen, speiübel. Zu diesen Verbrechern wollte ich nicht gehören, denn Jahre später haben wir zu einen Blasmusikorchester in Nejdek, früher Neudek, sehr gute freundschaftliche Verbindungen aufgebaut. Sie haben uns auch mehrere Dörfer gezeigt, wo diese Truppen einst durchfuhren. Zum ersten Mal seit Bestehen der Mauer war ich froh, wieder in der DDR zu sein! Meine Wut auf das Militär war unvorstellbar. Verständlich, denn mein Vater musste auch für einen verbrecherischen Krieg sein Leben hergeben.
Der überaus beliebte Dubcek wurde nach Russland bestellt und abgesetzt. Wenige Jahre früher hätten die Sowjets mit solchen ehrlichen freiheitsliebenden Menschen, wie Dubcek einer war, die Todesstrafe verhängt. Für ihn installierte man den Kommunisten Husak, den großen „Freund“ Honeckers. Wie sagt doch der zynische Philosoph? „Der Krieg ist ein Nebenprodukt der Friedenskunst.“ Aha! Siehe „Bush Junior“!
Die Arbeit und die Kunst
Inzwischen hatte ich ein neues Instrument „entdeckt“, nämlich die Bassgitarre. Gleichzeitig absolvierte ich ein Teildirektstudium für Bass und Tuba. Bass in Dresden und Tuba beim Ersten Bassisten im Opernhaus Karl-Marx-Stadt.
Im Jahr 1969 sang ich am Opernhaus in Karl-Marx-Stadt vor, wurde aber nicht engagiert. Zwar sagte man mir:“Sie haben ausgezeichnet gesungen ...“, doch es ist so „Tradition“, wer nicht direkt von der Schule kommt, fällt erst einmal durch. Ein Jahr später bekam ich meinen Vertrag, und hier gleich als Chorsolist.
Ich hatte Glück, da ein sehr guter erster Tenor an die „Komische Oper“ nach Berlin gehen durfte. So wurde ich, zum Neidwesen verschiedener Kollegen, in allen Inszenierungen an dessen Stelle gesetzt, und diese war meistens ganz vorn.
„Unsere“ Gastarbeiter!?
Im östlichen Teilstaat gab es genügend Arbeit für alle. Die Löhne wurden tief gehalten und demzufolge immer und überall Arbeitskräfte gesucht. Das Dilemma begann etwa im Jahr 1964. Viele neue und große, staatlich bezahlte Wohnungen wurden gebaut. Die meisten zwar in Ostberlin, doch der Rest kam auch nicht schlecht weg. Die meisten Betriebe in und um Chemnitz waren oder wurden wieder aufgebaut. Nur vielen Werken fehlten ausreichend Mitarbeiter. So entschloss sich die nicht gewählte Regierung der DDR, aus den befreundeten Staaten Arbeiter zu rekrutieren. Zuerst wurden Verträge mit Ungarn abgeschlossen, um für eine bestimmte Zeit Bürger dieses Landes bei uns arbeiten zu lassen, da es dort weniger Arbeit gab.
Die ehemalige Gießereifirma „Krautheim“ in Borna bei Karl-Marx-Stadt suchte seit langem viele Mitarbeiter. Hier kamen nun die ersten ungarischen Bürger an, junge Männer im Alter zwischen 20 und 30 Jahren. Kurzerhand baute man für sie, in der Nähe des Betriebes, eine große Baracke für etwa 50 bis 60 Personen, und die Sache schien gelaufen. Weit gefehlt! Allen Ungarn hatten die „Herrschaften“ in Ostberlin ein höheres Gehalt versprochen als den Einheimischen, und dies auch gehalten. Wenige Zeit später gab es Krawall. Durch einen Freund von mir, der dort arbeitete, erfuhr ich alles brühwarm. Es wurde eine Versammlung in der großen Betriebskantine anberaumt. „Die Ungarn kriegen mehr Geld als wir“, so lautete der