Der Teufel von Köpenick. Horst Bosetzky

Der Teufel von Köpenick - Horst Bosetzky


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aufbringen wollte, für Geld getan hat.«

      »Richtig!«, rief Litzenberg. »Und wenn Sie mir jetzt noch den Namen des Täters sagen, verkürzen wir Ihre Anwärterzeit um die Hälfte.«

      Franzke lachte. »Nichts leichter als das! Ich tippe mal auf N. N.«

      »Treffer! Aus Ihnen kann noch mal was werden, Franzke.«

      Mochte es für die altgedienten Kommissare auch Routine sein, Heinz Franzke fand das alles überaus aufregend.

      Nach einer Kurtisane oder Hetäre sah die Rolland nicht gerade aus. Ihre Strümpfe waren nicht von verführerischen Strumpfbändern gehalten worden, sondern links von einem dünnen Gummiband und rechts von einem Bindfaden. Auch ihr schwarzblaues Kleid sah ärmlich aus. Die rote Wolljacke, die sie darüber getragen hatte, war abgenutzt und wies Mottenlöcher auf. Am rechten oberen Jackenaufschlag steckte ein Parteiabzeichen der NSDAP.

      Einerseits freute das Franzke, andererseits erfüllte es ihn mit ungeheurer Wut. Vielleicht hatte einer von der Rotfront die Rolland erschlagen. Heinz Franzke schwor sich, nicht eher zu ruhen, bis er den Täter gefasst hatte. »Mathilde Rolland, wir rächen dich!«, flüsterte er.

      Im offenen Mittelfach des Schreibtisches lagen Sturmabzeichen und ein Wimpel mit Hakenkreuz, wie man ihn an Autos und Fahrrädern anbrachte, sowie die Mitgliedskarte Nummer 637 643, ausgestellt am 16. Oktober 1930 in München.

      Sogar München, dachte Franzke, alle Achtung.

      Nun wurde all das, was auf dem Schreibtisch herumlag, Stück für Stück unter die Lupe genommen.

      »Im Portemonnaie kein Geld«, sagte Litzenberg. »Natürlich, der Freier hat ja auch nicht bezahlt. Dafür zwei Ausweise: einer für die Leihbibliothek, der andere für das Amtsgericht Neukölln.«

      »Da soll sie angeblich mal gearbeitet haben«, fügte Albrecht hinzu. »So die Wirtsleute.«

      Litzenberg zeigte auf eine Butterstulle, die auf der Schreibtischplatte lag. »Franzke, was sagt uns das?«

      »Da sie nicht angebissen ist, muss der Besuch überraschend gekommen sein.«

      Der Kriminalkommissar war nicht ganz zufrieden. »Ja, aber was kann es noch bedeuten?«

      »Dass sie die Stulle für ihren Besuch geschmiert hat, der aber nicht mehr zum Essen gekommen ist.«

      »Sehr schön, Franzke!« Litzenberg roch an der Stulle. »Die teure Butter und keine Margarine, hm!« Er wusste selber nicht so genau, wie das einzuordnen war. »Vielleicht hat sie ihn verwöhnen wollen. Also doch kein Freier, sondern ein Liebhaber. Einer von denen hier vielleicht.« Er zeigte auf die Photographien eines Reichswehrsoldaten und eines anderen jungen Mannes, die neben einer Hindenburg-Büste auf dem Schreibtisch standen.

      »Kann es nicht auch sein, dass beide gleichzeitig hier waren?«, fragte Franzke.

      Albrecht schüttelte den Kopf. »Dann hätte sie zwei Butterbrote geschmiert.«

      Litzenberg lachte. »Der eine hatte keinen Hunger.« Er sah Franzke an. »Wie kommen Sie denn darauf, dass beide hier gewesen sein könnten?«

      »Na, weil hier Skatkarten liegen, und das geht nur richtig zu dritt.«

      »Sie könnte ja auch mit den Wirtsleuten gespielt haben«, wandte Albrecht ein.

      Litzenberg winkte ab. »Die sind doch gleich, nachdem die Rolland einzogen ist, verreist. Sehen wir mal weiter!«

      Das taten sie. Sie fanden Notenblätter, die mit handschriftlichen Anmerkungen der Rolland versehen waren und darauf schließen ließen, dass sie selber Klavier gespielt hatte, und einen Stapel Briefe.

      »Was haben wir denn da?«, rief Litzenberg, als er einen Aschenbecher aus durchsichtigem Glas entdeckt hatte. »Einen herrlichen Fingerabdruck! Von der Größe her ganz bestimmt der eines Mannes. Na bitte!«

      Man machte sich daran, mit den Eheleuten Zeitz zu sprechen und die Nachbarn zu befragen. Zwei von ihnen hatten einen fremden Mann am 21. Februar die Treppe heraufkommen sehen und konnten ihn recht gut beschreiben. Als man ihnen die Photos der beiden Männer zeigte, die bei der Rolland auf dem Schreibtisch standen, schlossen sie aus, dass es einer von denen gewesen war.

      Als sie wieder an den Tatort zurückkehrten, sagte ihnen Erich Zeitz, dass ihm inzwischen noch etwas eingefallen sei. »Beim Umzug, da haben dem Fräulein zwei Männer und eine Frau geholfen, und da kann ich mich erinnern, dass die Frau zu einem gesagt hat, als sie das Klavier hochgetragen haben: ›Mehr nach rechts!‹ Daraufhin hat der Mann geantwortet: ›Jeht nich, ick heiße Lincke, ick kann nur nach links.‹«

      Das war ein Ansatzpunkt, und als sie die Einwohnerkarteien durchsahen, hatten sie schnell den Mann gefunden, der es sein konnte: Heinz Lincke, ein junger Schlächter aus der Elbestraße. Er kam auch deshalb in Frage, weil Mathilde Rolland vorher ganz in der Nähe, in der Kaiser-Friedrich-Straße, gewohnt hatte.

      Litzenberg und Franzke machten sich auf den Weg in die Elbestraße. Genau in der Mitte zwischen dem Neuköllner Schifffahrtskanal und der Sonnenallee fanden sie Lincke in einem Mietshaus. Er wohnte noch bei seinen Eltern und war arbeitslos.

      »Det se umjebracht worn is, hab ick schon jehört. Traurig, wa? Woher ick die Hilde kenne? Na, aus de Partei. Erst war ick inne KPD, aba bei die Nappsülzen, da war ja nischt zu holen, dann bin ick in die NSDAP und inne SA. Jetroffen ham wa uns alle in unsam Sturmlokal, Kaiser-Friedrich-Straße 25. Und letzten Sonnabend, da hab ick die Hilde beim Ziehen jeholfen.«

      Franzke verstand das nicht. »Beim Ziehen?«

      »Beim Umziehn! Da isse ja von hier weg inne Friedelstraße. Die Marianne Intek, det war ihre Freundin, der Bruda von der und icke, wir drei, wir ham ihre Sachen inne Friedelstraße jebracht.«

      Litzenberg nickte. »Und Sie waren dem Fräulein Rolland auch sonst sehr verbunden?«

      Lincke grinste. »Und wie! Aba ick hab et umsonst bei ihr bekommen. Und inne Friedelstraße ham wa jleich det neue Bett einjeweiht.«

      »Und dann sind Sie gegangen?«

      »Ja, um viere bin ick weg, ick hatte noch ’n Einsatz. Fragen Se bei uns int Sturmlokal. Außerdem war se um fünf noch mit eenem andern verabredet. Eena, der ma, als wa die Klamotten nach ohm jetragen ham, schon anjequatscht hatte, uff da Treppe.«

      Franzke glaubte Lincke. Es gab nicht den geringsten Grund für ihn, die Rolland umzubringen. »Niemand schlachtet das Huhn, das ihm die schönsten Eier legt«, sagte er zu Litzenberg.

      »Ganz meine Meinung!«

      Sie ließen sich von Lincke eine Beschreibung des Unbekannten geben: zwischen 25 und 30 Jahre alt, etwa 1,75 Meter groß, schlank, sportliche Figur, mittelblondes langes und glatt nach hinten gekämmtes Haar, längliches Gesicht mit hervorstehenden Wangenknochen, helle Stimme, ein bisschen weiblich. Bekleidet mit einer Joppe und langen dunklen Hosen. In der Hand eine Aktentasche.

      Als sich dann herausstellte, dass die Fingerabdrücke auf dem Aschenbecher von Lincke stammten, waren die Ermittler enttäuscht.

      Blieb der Hinweis auf die NSDAP. Franzke und Litzenberg behagte es gar nicht, dass der Mörder der Rolland womöglich in ihrem eigenen Milieu zu suchen war, aber Dienst war Dienst, und so kamen sie nicht umhin, im Sturmlokal Kaiser-Friedrich-Straße 25 Nachforschungen anzustellen.

      Dort trafen sie auf einen früheren Nachbarn der Rolland, einen gewissen Franz Pitarski, der ihnen erzählte, dass die Ermordete viel für die Partei geschrieben hatte und eine fanatische Anhängerin gewesen war. »Wie ich die Mathilde kennengelernt habe? Durch die Partei, ich bin auch Nationalsozialist und sogar Zellenführer. Da muss ich regelmäßig Parteigenossen aufsuchen und ihnen Nachrichten bringen. Und die Beiträge kassieren. Die Hilde, das war eine intelligente Frau, aus der hätte noch was werden können. Erst war sie beim Amtsgericht Neukölln beschäftigt als Justizangestellte, glaube ich, dann im Wohlfahrtsministerium in der Leipziger Straße.«

      »Und warum hat sie da aufgehört?«, wollte Franzke wissen.

      »Aufgehört?«


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