Der Teufel von Köpenick. Horst Bosetzky

Der Teufel von Köpenick - Horst Bosetzky


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stinkt es immer«, murmelten einige.

      »Wo kommt das her?«, fragte Dr. Glinka.

      »Vom Lehrertisch«, sagte Franzke.

      Jeden anderen hätte Dr. Glinka nun zusammengestaucht, aber Franzke war sein bester Schüler. Der war nie aufmüpfig. Dem konnte er doch keine unlauteren Motive unterstellen. Als er sich nun auf dem Lehrertisch umsah, entdeckte er die Jauchespritzer und kam auch schnell dahinter, dass im Tintenfass noch etwas anderes schwappte als nur Tinte. »Wer war das?«

      Schweigen.

      Franzke blickte zu Boden, konnte aber an sich halten. Sich jetzt zu melden hielt er für unklug. Sein Plan sah anderes vor.

      Als sich auch nach einigen Minuten keiner gemeldet hatte, holte Dr. Glinka den Rektor und erstattete sozusagen Anzeige gegen unbekannt.

      Der Rektor war ein eingefleischter Reformpädagoge und hatte immer wieder überlegt, wie er Dr. Glinka wohl loswerden könne. Die Jauche war ihm nun ein willkommener Anlass, mit dem anderen Tacheles zu reden. »Es tut mir leid, Herr Kollege, aber einmal muss es ja sein, dass Ihnen jemand die Wahrheit sagt, in Ihrem ureigensten Interesse.«

      »Was für eine Wahrheit?«, fragte Dr. Glinka.

      »Dass Ihre Atemluft für Ihre Mitmenschen eine gewisse olfaktorische Belästigung darstellt.«

      Dr. Glinka fuhr auf. »Wollen Sie damit sagen, dass ich Mundgeruch habe?«

      »Ja!«

      Das Gespräch, das die beiden anschließend noch führten, wurde immer erregter und endete damit, dass Dr. Glinka den Schuldienst quittierte und einen leitenden Posten in einem großen Wörterbuchverlag übernahm – mit einem Einzelzimmer.

      Der Rektor fand am nächsten Vormittag in seiner Post einen anonymen Brief, in dem geschrieben stand, dass der Schüler Heinz Franzke dem Lehrer Dr. Glinka Jauche ins Tintenfass geschüttet hatte. Geschrieben hatte den Brief Franzke selber, und zwar auf der Schreibmaschine seines Onkels.

      Als Franzke ein volles Geständnis abgelegt hatte, jubelte die ganze Klasse und wählte ihn, den Tyrannenmörder, anschließend zum Vertrauensschüler.

      Die Strafe fiel gering aus, denn zum einen hasste der Rektor alles Denunziantentum, und zum anderen war er Franzke insgeheim zu großem Dank verpflichtet, hatte er sich doch durch dessen Missetat endlich von Dr. Glinka trennen können.

      Von nun an allerdings bekam Heinz Franzke keine ganz so guten Noten mehr, denn die übrigen Lehrer legten Dr. Glinka gegenüber, sosehr sie ihn auch gehasst hatten, sozusagen posthum eine Solidarität an den Tag, mit der Franzke nicht gerechnet hatte.

      Wenn er später einmal gefragt wurde, warum er nicht Staatsanwalt geworden sei, sondern »nur« Kriminalbeamter, dann hing das sicher mit der Aktion »Jauchefass« zusammen und konnte als Dr. Glinkas spätere Rache verstanden werden. Aber noch war es nicht so weit. Walter Franzke, der Vater von Heinz, war in Kalisch zur Welt gekommen, einer Kreisstadt in der preußischen Provinz Posen, hatte einige Zeit Agrarwissenschaft in Breslau studiert und war dann als Gutsverwalter nach Pilchowitz gegangen, einem Dorf in der Nähe von Kattowitz. Erst normaler Soldat an der Ostfront, hatte er sich bei Kriegsende der Marine-Brigade Erhardt angeschlossen und in dessen Freicorps im Baltikum gekämpft. Bis zum Leutnant war er aufgestiegen, dann hatte man ihm im Verlaufe des Kapp-Putsches sein linkes Knie zerschossen. Was tun mit einem steifen Bein? Die Reichswehr hatte ihn als »Krüppel« ausgemustert, und der Gutsherr hatte schnell verkauft, als sich abzuzeichnen begann, dass die Versailler Siegermächte weite Teile Oberschlesiens den Polen zuspielen würden. Nach einigem Hin und Her in Berlin hatten ihm seine alten Kameraden schließlich zu einem kleinen Lokal in der Steglitzer Albrechtstraße verholfen, dem »Heimatstübchen«. Hier nun konnte er nach Gutdünken herrschen. Und das Geschäft lief gut, kamen doch zu den normalen Gästen regelmäßig auch Mittelsmänner der Organisation Consul.

      Heinz Franzke bewunderte seinen Vater. Schneidig war er, trotz seines Hinkefußes, und kommandieren konnte er wie kein Zweiter. Entweder man hatte diese Gabe, oder man hatte sie nicht. Walter Franzke hatte sie. Sich ihm zu fügen hieß immer, das Richtige zu tun und auf der Siegerstraße zu sein. Seine Feinde nannten Walter Franzke einen Herrenreiter, doch das empfand er als Ehrung. Er war alles andere als ein tumber Landsknecht und konnte die Zeichen der Zeit viel besser lesen als die meisten Intellektuellen in den Redaktionen und Hörsälen, und wenn er sagte »Kinder, wartet nur ab, unsere große Zeit wird noch kommen«, dann hatte das einiges Gewicht, und sein Sohn sah ihn durchaus als Propheten.

      Heinz Franzkes Mutter, Ida mit Vornamen, war ihrem Mann mehr Dienerin als Ehefrau. Schon als Magd auf seinem Gut, zuständig für das Kühlen der Milch, hatte sie ihn angehimmelt und war ihm willig gefolgt – erst ins Heu, dann vor den Traualtar. Immerhin. Er konnte sich keine bessere Mutter für die vielen Kinder wünschen, die er zu zeugen beabsichtigte. Fünf waren es geworden, und Heinz war das jüngste. Außerdem war Ida die Schönste weit und breit gewesen, und auch heute noch kamen viele Männer ins »Heimatstübchen«, um sich den nötigen sexuellen Appetit für zu Hause zu holen. Daneben war Ida Franzke eine glänzende Köchin.

      Heinz hatte keine besonders enge Bindung zu seiner Mutter. Bei fünf Kindern konnte die Ration an Liebe und Zuwendung, die jeder Einzelne bekam, ohnehin nicht groß sein, aber er hatte das Gefühl, dass sie ihn geradezu hasste. Vielleicht lag es daran, dass er diese etwas überhebliche Art an sich hatte, diese Arroganz des Gebildeten allen dumpfen Menschen gegenüber, und seine Mutter verstand von Politik, Kunst und Kultur nur wenig, und die Briefe, die sie schrieb, wenn sie überhaupt welche schrieb, wimmelten von Fehlern. Die Glucke, die er sich immer gewünscht hatte, die wärmende und alles umfassende Mutter war sie auch nicht. Wenn sie ihn nur einmal so gestreichelt hätte wie ihre Katze oder ihren Hund!

      Dabei versuchte er durchaus, der Mutter zu gefallen, indem er viel im Haushalt half und das erledigte, wozu sie keine Zeit mehr fand, zum Beispiel Jagd auf die Getreidekäfer zu machen, die sie seit kurzem in der Küche hatten. Wenn die Beamten vom Lebensmittelaufsichtsamt die bei ihnen entdeckt hätten, wäre sicher der Teufel los gewesen, und womöglich hätte man die Schließung des »Heimatstübchens« angeordnet.

      Franzke nahm sich eine Lupe und ging auf die Jagd. Die Käfer waren etwa drei Millimeter lang und so schmal wie ein dicker Bleistiftstrich. Wenn sie entdeckt wurden, dann stellten sie sich häufig tot, und oft hatte er schon ein Teeblatt zerdrückt und in seiner Liste vermerkt. Darum also die Lupe. Immer auf der Suche nach Brotkrümeln, aber auch Nusssplittern, wie sie in der Schokolade steckten, streiften die Tierchen umher. Riss er die Schranktüren auf, verharrten sie entweder und hofften, für einen toten Gegenstand gehalten zu werden, oder aber sie krabbelten los und flitzten in Richtung irgendeiner Ritze. Aber bevor sie ihm entkommen konnten, hatte er sie bereits mit dem rechten Zeigefinger erwischt und genüsslich zerquetscht. Es war ein lustvolles Gefühl, die Welt von Ungeziefer zu reinigen. Ein jeder Käfer ergab einen Strich auf seiner Liste. Sein Rekord lag bei dreißig Stück am Tag, und er hoffte, noch auf fünfzig zu kommen. Sie mussten irgendwo hinter den Schränken ein Nest haben, jedenfalls fehlte es nie an Nachschub. Manchmal ließ er, obwohl es ihm schwerfiel, einen Tag verstreichen, um dann am nächsten eine größere Ausbeute zu haben.

      »Morgen kommt der Kammerjäger«, sagte sein Vater.

      »Nein, bitte nicht!« Franzke fürchtete um den Verlust seiner Lieblingsbeschäftigung. »Ich schaff das schon alleine.«

      Das war zu einer Zeit, als er Joseph Fouché, den französischen Polizeiminister, bewunderte. Der war 1793 nach Lyon geschickt worden, wo es einen Aufstand gegen die neuen Herren gegeben hatte. Man wollte den König wiederhaben. Um die Gegenrevolution niederzuschlagen, ließ Fouché an die 1600 Todesurteile vollstrecken und bekam dafür den Namen mitrailleur de Lyon, der Schlächter von Lyon.

      Das imponierte Franzke. Man musste alles ausmerzen, was die Ordnung störte. Diese Gedanken bewegten ihn auch, als er in der Zeitung las, dass in der Gegend um den Schlesischen Bahnhof herum, insbesondere im Luisenstädtischen Kanal, immer wieder Leichenteile gefunden wurden. Ein Frauenmörder trieb dort sein Unwesen. Mit seinen Freunden Werner Rosinski und Lothar Lemke diskutierte er das lang und breit.

      »Wer


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