Der Teufel von Köpenick. Horst Bosetzky
will ich. Es darf nichts Schwaches und Zärtliches an ihr sein. Das freie, herrliche Raubtier muss erst wieder aus ihren Augen blitzen.
Auf der anderen Seite aber war er feinnervig und kreativ wie ein jüdischer Intellektueller, obwohl er diese Gruppe hasste wie keine zweite. Dazu kam eine außergewöhnliche formale Intelligenz, die er sich vor allem in den langen Schachpartien gegen seinen Onkel erworben hatte. Hoch aufgeschossen war er und schlank, und seine Gesichtszüge konnte man asketisch nennen. Das lag daran, dass er viel trainiert hatte und auf den Mittelstrecken fast Berliner Meister geworden wäre. Seine Wirkung auf Frauen war groß, und was dieses Thema betraf, da hätte er ebenso, wie es Joseph Goebbels am 15. Juli 1926 getan hatte, in sein Tagebuch schreiben können: Jedes Weib reizt mich bis aufs Blut. Wie ein hungriger Wolf rase ich umher. Und dabei bin ich schüchtern wie ein Kind. Ich verstehe mich manchmal selbst kaum.
Mit der nationalsozialistischen Bewegung war er schnell in Berührung gekommen, denn sein Vater hatte nicht nur eine niedrige Parteinummer, sein Lokal in der Steglitzer Albrechtstraße war auch ein beliebter Treffpunkt von SA und NSDAP geworden. Bald hatte Heinz Franzke beschlossen, im Spiel des Lebens auf diese Karte zu setzen. Ordentliches Mitglied in der NSDAP konnte er allerdings erst mit dem Erlass vom 29. Juli 1932 werden, denn bis zu diesem Zeitpunkt war preußischen Staatsbeamten die Mitgliedschaft in der NSDAP untersagt gewesen.
Nach dem Abitur, abgelegt 1927, hatte er begonnen, Jura zu studieren, war aber des trockenen Tons schnell überdrüssig geworden und hatte beschlossen, in die Berliner Kriminalpolizei einzutreten. Den Volkskörper von verbrecherischen Elementen zu reinigen war für ihn von ungeheurer Wichtigkeit. Ohne Zögern erklärte er, dass ein Mann wie Ernst Gennat für ihn im gesellschaftlichen Gefüge denselben Rang einnähme wie Robert Koch oder Rudolf Virchow. Die einen eliminierten jene Bakterien und Viren, die darauf aus waren, Menschen zu töten, der andere brachte Mörder zur Strecke, Lebewesen also, die schon getötet hatten und nichts anderes verdienten als das berühmte »Kopf ab!«. Auch als eine Art Kammerjäger sah er den Kriminalbeamten, denn beide Berufsgruppen hatten Ungeziefer zu bekämpfen und gegebenenfalls auch auszurotten. Spürte er, dass einem Gesprächspartner dieser Vergleich zu drastisch erschien, dann bezeichnete er sich als Arzt, insbesondere als Chirurg. Abtöten und herausschneiden, was Leben und Gesundheit gefährdet – das sei die Aufgabe eines Kriminalbeamten.
Es war also zu Beginn der dreißiger Jahre ein loderndes Feuer in ihm entfacht worden, und wer weiß, welche Karriere er noch gemacht und welchen Verlauf sein Leben sonst genommen hätte, auch nach 1945, wenn er nicht mit einem Menschen aus einer ganz anderen Ecke der Gesellschaft zusammengetroffen wäre: mit Bruno Lüdke, dem »doofen Bruno«. Aber noch war es nicht so weit. Noch war er Kriminalanwärter, also eine Art Lehrling, und hatte den Kriminalkommissaren Albrecht und Litzenberg bei der Aufklärung des Falles Mathilde Rolland Hilfsdienste zu leisten. Da Litzenberg heimlich Parteigenosse war, konnte sich Franzke von diesem eine besondere Förderung erhoffen. Später jedenfalls. Nach der Machtergreifung.
Nach Ende des Ersten Weltkrieges hatte es eine erhebliche Professionalisierung der Berliner Kriminalpolizei gegeben. So etwa war eine systematische Auswertung von Fingerabdrücken eingeführt worden, man hatte mit ballistischen Untersuchungen begonnen, eine neue Mordinspektion und die weibliche Kriminalpolizei waren geschaffen und im Jahre 1927 ein Institut für Polizeiwissenschaft in Charlottenburg gegründet worden. Schon am 1. Juni 1925 hatte das Landeskriminalamt, das LKA, seine Arbeit aufgenommen.
Die Kripo, im Polizeipräsidium am Alexanderplatz angesiedelt in der Abteilung IV, lehnte es strikt ab, sich mit politischen Angelegenheiten zu befassen, und kooperierte anfangs auch nur widerwillig mit der politischen Polizei, der Abteilung IA, und der Schutzpolizei. Man war eben der Adel.
Die Kriminalkommissare im Morddezernat der Abteilung IV standen in dem Ruf, die besten in Deutschland zu sein. Dies beruhte auf den Leistungen einzelner Beamter wie Ernst Gennat, Ludwig Werneburg, Otto Trettin oder Dr. Erich Anuschat.
Nur wenige jüngere Beamte, die aufsteigen wollten, und einige ältere Beamte, die zu sehr unter ihren Enttäuschungen litten, fanden sich in der nationalsozialistischen Zelle der Kripo zusammen. Ein Mann wie Dr. Rudolf Braschwitz hatte, um sich bei seinen jeweiligen Vorgesetzten beliebt zu machen, erst der DDP, der Deutschen Demokratischen Partei, und der SPD angehört, ehe er 1933 Mitglied der NSDAP wurde. Zu groß war der Einfluss von Ernst Gennat, der zwar ein ziemlich unpolitischer Mensch, aber »demokratisch bis auf die Knochen« war, wie seine Kollegen zu berichten wussten.
Gennats politischer Gegenspieler war der Emporkömmling Otto Busdorf, Sohn eines Dorfbäckers und Polizeispitzel in der Kaiserzeit. Um seine Beförderung zum Kriminalrat voranzutreiben, trat er erst in die SPD ein und näherte sich dann, als dies nicht fruchtete, 1931 der NSDAP mit kleinen Geldspenden.
Die Nationalsozialisten taten alles, um die Berliner Kriminalpolizei zu unterwandern. Einen großen Schritt auf diesem Wege schafften sie im Dezember 1932, als es ihnen bei den Wahlen zum Beamtenausschuss des Polizeipräsidenten gelang, alle sieben Sitze zu erringen, die für die Vertreter der höheren Kriminalbeamten reserviert waren. Die NS-Kandidaten um den Kriminalrat Alfred Mundt sowie die Kommissare Erich Liebermann von Sonnenberg und Arthur Nebe erhielten jeweils etwa 75 Prozent der abgegebenen Stimmen.
Es gab drei wesentliche Gründe für die Berliner Kriminalbeamten, sich der NSDAP anzuschließen oder wenigstens auf sie zu setzen. Zum einen glaubten sie, dass der Weimarer Rechtsstaat sie in ihrer Arbeit behinderte und das neue Regime ihnen mehr Chancen zur Durchsetzung rigoroser Maßnahmen gegen das organisierte Verbrechen geben würde. Zweitens steckten sie, wenn sie Kommissare waren, im Beförderungsstau und konnten kaum damit rechnen, im bestehenden gesellschaftlichen System jemals befördert zu werden. Und drittens gehörte ein erheblicher Teil von ihnen der zwischen 1890 und 1900 geborenen »jungen Frontgeneration« an, die am Weltkrieg beziehungsweise den Aktionen der Freikorps teilgenommen hatte und stramm antirepublikanisch eingestellt war.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahre 1933 übernahm Erich Liebermann von Sonnenberg die Abteilung IV. Er war es auch, der für die Einführung nationalsozialistischer Methoden sorgte und eine große Säuberungsaktion einleitete. Insbesondere wurden SPD-Mitglieder aus der Abteilung IA auf Posten versetzt, auf denen sie mit Politik nichts zu tun hatten, andererseits wechselten viele Kriminalbeamte, an ihrer Spitze Arthur Nebe, zur Gestapo in die Prinz-Albrecht-Straße. Nebe sollte dann 1935 zur regulären Kriminalpolizei zurückkehren und Chef der gesamten preußischen Kriminalpolizei werden. NS-Anhänger, die nicht in die Gestapo übernommen wurden, entschädigte man durch ansehnliche Beförderungen. Nur Otto Busdorf fiel nicht nach oben.
Rein technokratisch gesehen, verlor die Abteilung IV nach den politischen Ereignissen von 1933 nichts von ihrer Qualität, zumal Ernst Gennat bis zu seinem Tode am 21. August 1939 im Polizeidienst verblieb.
Noch aber, im Februar 1932, wurde Preußen von Otto Braun regiert, einem Sozialdemokraten, und der Berliner Oberbürgermeister hieß Fritz Elsas und war Mitglied der DDP.
Heinz Franzke staunte, wie groß das Zimmer war, das die Rolland gemietet hatte. Das mussten knapp dreißig Quadratmeter sein. Da war sogar Platz für ein Klavier. Die linke Ecke des Zimmers wurde von einem Kachelofen ausgefüllt, bis zum Fenster folgten dann auf dieser Seite des Raumes ein Tisch mit einem Stuhl und ein Paneelsofa, über dem ein üppiger Spiegel angebracht war. Rechts vom Fenster standen das besagte dunkelbraun gebeizte Klavier, ein Bett, ein Kleiderschrank, ein kleiner Schreibtisch und ein Schließkorb. Vervollständigt wurde die Einrichtung von einem Wäscheständer, der links neben der Tür an der Wand zum Korridor aufgebaut war. Neben der Waschschüssel, die mit trübem Seifenwasser gefüllt war, lagen Kamm und Bürsten. Eine Parfümflasche war umgefallen.
»Fällt Ihnen etwas auf?«, fragte Litzenberg.
Franzke musste nicht lange nachdenken. »Ja, das Bett! Das ist völlig unberührt.«
»Im Gegensatz zu dieser Dame hier.« Albrecht zeigte auf die Leiche. »Die wird es nicht mehr sein. Die Wirtsleute sagen, dass sie, kaum war sie eingezogen, schon Herrenbesuch gehabt hat und die Geräusche eindeutig gewesen seien.«
»Was schließen wir daraus?«, fragte Litzenberg den Kriminalanwärter, wobei er gleichzeitig seinen Blick bedeutungsvoll durch das Zimmer