Eden. D. J. Franzen

Eden - D. J. Franzen


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führen, die an Galgenständern neben den Betten der Schwangeren stehen. In dem Labor sitzt ein Mann in einem weißen Kittel und lauscht konzentriert den Worten eines anderen Mannes mit tiefschwarzen Haaren, der in einen dunklen Anzug gekleidet ist. Schließlich nickt der Mann in dem weißen Kittel und lächelt. Er greift sich mehrere Ampullen aus einem Schrank und zieht nach den Anweisungen des Anderen eine bestimmte Mischung der Wirkstoffe in mehrere Spritzen. Dann geht der Mann im weißen Kittel in das Zimmer mit den schwangeren Frauen und spritzt die Mischung in die Infusionsbeutel.

      Der Mann in dem dunklen Anzug beobachtet das Geschehen und lächelt zufrieden.

      Und? Was willst du mir mit dieser Liste meiner Taten sagen oder zeigen, Schwester?

      »Du warst es, der schon seit Urzeiten den Großen und Mächtigen Dinge ins Ohr geflüstert hat, die angeblich ihre Macht vergrößern würden. Du warst es, der dafür sorgte, dass es solche Wesen wie Bane gibt. Du hast mit deinen Einflüsterungen dafür gesorgt, dass solche Kinder wie Tom, Melanie oder Gabi geboren wurden. Körperlich behindert, aber mit Fähigkeiten, die den Unsrigen gleichen. Du hast die Ideale der Alten verraten. Und jetzt, nach all den Jahrhunderten, den unzähligen Spinnennetzen deiner Intrigen und Einflüsterungen, deiner Manipulationen und deiner Hinterlist, soll ich dir vertrauen? Vielleicht warst ja sogar du es, der die Forscher und Geldgeber auf die Idee brachte, dass das Virus des ewigen Lebens eine perfekte Waffe gegen alle ihre Feinde wäre?«

      Moment! Das Virus haben die Menschen ganz alleine in einer total isolierten Gegend am Fuße des Kilimandscharo gefunden!

      »Und wer hat ihnen die Manipulationen an dem Virus eingeflüstert, deren Folgen wir jetzt erleben? Sitzt dein Hass auf die normalen Menschen so tief, dass du erst zufrieden bist, wenn die Welt eine tote Kugel ohne jegliches Leben ist? Auch du bist ein Mensch, Gabriel. Zwar einer mit unglaublichen Fähigkeiten, aber dennoch ein Mensch.«

      Schweigen im Nimbus. Eine Minute, eine Stunde, eine Ewigkeit lang.

      Du hast recht, Schwester.

      »Ich glaube dir nicht.«

      Was soll ich denn tun, damit du mir glaubst?

      »Ich weiß es nicht.«

      Und wenn wir versuchen, deine kleinen Pilger zu finden? Vielleicht benötigen sie Hilfe? Könnte ich dir so beweisen, dass ich es ernst meine, wenn ich sage, dass ich meine Taten bereue?

      Nachdenkliches Schweigen.

      »Gut. Wir werden sie suchen, und wenn sie Hilfe brauchen, versuche wir zu helfen.«

      Danke, Schwester. Du wirst sehen, ich habe mich verändert.

      »Ich frage mich, ob ich diesen Entschluss nicht irgendwann bereuen werde.«

      ***

      Jörg war müde und er spürte jede einzelne Unebenheit des breiten Feldwegs, über den sein Fahrer den Jeep gerade lenkte. Die Müdigkeit und der Stress der letzten Tage führten dazu, dass Jörg sich wund fühlte. Nicht körperlich, sondern geistig. Vor allem die Notwendigkeit des ständigen Zweidenk, wie Frank es so passend getauft hatte. Um bei einer Kontrolle ihrer Gedanken durch den Major nicht aufzufallen, waren Jörg und Frank dazu gezwungen, intensiv an etwas anderes zu denken, während sie miteinander redeten oder eben in Gedanken Pläne schmiedeten. Es war ermüdend die dazu notwendige Konzentration aufrechtzuerhalten. Ermüdend, aber überlebenswichtig. Der Major hatte seine Armee angetrieben und bis zum Äußersten gefordert. Ohne Rast hatte er Tag und Nacht hindurch seine Truppe vorrücken lassen. Sie hatten einen weiten Bogen um das Gebiet der Neyetalsperre gezogen und waren teils auf Schleichwegen, teils auf Landstraßen vorwärts marschiert, getrieben vom eisernen Willen des Majors, der das tote Köln so schnell wie irgend möglich erreichen wollte. Voraustrupps räumten mithilfe der nie ermüdenden Zombies und der menschlichen Sklaven Hindernisse aus dem Weg, die sie mit den Lkw des Tross niemals hätten passieren können. Einmal hatte Jörg mitten in der Nacht, während er einen der Aufräumtrupps befehligte, eine Ahnung gehabt. Er glaubte in seinem Kopf eine Stimme zu hören, die ihn vage an Tom erinnerte. Die Gedanken des Jungen - wenn er es denn wirklich gewesen war und keine Einbildung, die auf der Erschöpfung Jörgs basierte – waren voll auf einen Kampf ausgerichtet. Für den Bruchteil einer Sekunde sah Jörg vor seinem geistigen Augen Köpfe platzen, gierige Klauen und den Ausschnitt einer schrecklichen Schlachtszene. Nur mit Mühe hatte er sich zusammenreißen und wieder auf seine Aufgabe konzentrieren können. Trotzdem hatte er danach ständig an Sandra denken müssen und sich gefragt, wie es ihr ging. Die erste Frau, die ihm wirklich etwas bedeutete, und dann wurden sie so brutal auseinandergerissen. In diesem Augenblick hatte Jörg sich nach einer Flasche Schnaps und einem ruhigen Plätzchen gesehnt. Frank hatte ihn in dieser Nacht merkwürdig angesehen. So etwas wie Wissen hatte in seinem Blick gelegen, aber Jörg hatte ihn bisher nicht darauf angesprochen.

      Jörg tauchte aus seinen Gedanken auf und sah zu dem Frank, der neben ihm reglos auf der Rückbank des Jeeps saß. Er schien ebenfalls in Gedanken versunken zu sein. Aus dem Augenwinkel beobachtete Jörg den Totlebenden und sinnierte darüber, wie verrückt die ganze Situation doch war.

      Da saß er jetzt, ein ehemaliger Hauptmann der nicht mehr existenten Luftwaffe der Bundeswehr, neben einem Wesen, das weder richtig tot noch wirklich lebendig war. Die echten Toten bleiben aber auch nicht tot, oh nein! Sie standen als seelenlose Fressmaschinen wieder auf, um die Lebenden zu jagen. Und ausgerechnet dieses Mischwesen da neben ihm, dieser totlebende Mann, den nur wenig von den anderen Zombies trennte, war einer seiner engsten Vertrauten geworden. Ein Verbündeter in der Planung, gegen den Major und seinen neuen Liebling Gabi, die ebenfalls beide Totlebende waren, zu rebellieren. Und um dem Ganzen noch die Krone aufzusetzen, besaßen der Major, Frank und Gabi Fähigkeiten, die zu früheren Zeiten eher wie Erfindungen für B-Movies aus der Ramschecke einer Videothek gewirkt hätten. Jörg schnaufte kopfschüttelnd ein leises Lachen, als ihm die wahre Tragweite der Realität plötzlich mit aller Kraft ansprang. Eine Epik, die sogar einem Shakespeare ein anerkennendes Lächeln ins Gesicht gezaubert hätte.

      »Alles okay?«, fragte Frank ohne den Kopf zu drehen.

      »Ja. Alles okay. Mir ist nur gerade bewusst geworden, wie sehr sich die Welt auf den Kopf gestellt hat. Alles, was einst abgedrehte Fantasie war, ist jetzt Realität. Wandelnde Tote, PSI-Kräfte, eine epische Suche … und ich mittendrin, als ein Teil dieses ganzen Schauspiels. Ich frage mich, was als Nächstes kommt, was der große alte Drehbuchautor da oben noch so alles für mich und die Rolle die ich darstelle, geplant hat.«

      Frank drehte den Kopf und sah Jörg nachdenklich an. In seinen Augen funkelte etwas, das Jörg nicht richtig deuten konnte.

      »Hm. Vielleicht ist der da oben gar kein Drehbuchautor?«, frage der Totlebende. »Was, wenn der da oben nichts weiter ist, als ein spinnerter Schreiberling, der in seiner Freizeit mit einem guten Single Malt oder literweise Kaffee an seinem Schreibtisch sitzt und abgefahrene Märchen für Erwachsene schreibt?«

      Ein Grinsen schlich sich in Jörgs Mundwinkel. »Na ja, er wird ja irgendwann zu einem Ende kommen müssen, oder?«

      Frank grinste jetzt ebenfalls und zwinkerte Jörg zu. »Und was wäre ein passendes Ende eines Märchens über die letzten Musketiere des Königs?«

      »Sie retteten die Königin und lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende«, sagten die beiden ungleichen Männer absolut synchron, so als wäre der Dialog von ihnen vorher einstudiert worden. Dann brachen sie in schallendes Gelächter aus. Es tat Jörg gut, für einen kurzen Moment einfach nur herumzualbern und zu lachen. Vielleicht wären er und Frank in einem anderen Leben schon früher Freunde geworden. Jörgs Lachen ebbte langsam ab. Waren er und Frank denn Freunde? Waren sie nicht vielmehr Verbündete, die nur ein gemeinsames Ziel verband? Eine Zweckgemeinschaft, die sich in Nichts auflösen würde, sobald sie ihr gemeinsames Ziel erreicht hatten? Auch Franks Lachen erstarb allmählich. Er sah wieder nach vorne und schien wie vorher in eine Art Trance zu verfallen. Jörg atmete tief durch und zog sich wieder in seine nachdenkliche Betrachtung der aktuellen Situation zurück. Und er begann zu sinnieren, über die Toten und die Lebenden und fragte sich wie das unbekannte Land aussehen mochte, in das sie alle gleichermaßen segelten. Die Zukunft.

      ***


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