Planetenschleuder. Matthias Falke

Planetenschleuder - Matthias Falke


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hatte neben Reynolds Platz genommen, während sich Jennifer und Laertes auf der gegenüberliegenden Seite des Halbrunds zwei gravimetrische Sessel suchten. Die Anwesenheit des Philosophen wirkte auf uns alle versöhnend. Er repräsentierte eine überpersönliche Vernunft, die uns die Albernheit unserer kleinen Eifersüchteleien bewusst werden ließ.

      Für einige Zeit kehrte Schweigen ein. Jeder drehte sein Glas in den Händen, starrte in die ölige, giftgrüne Flüssigkeit, die darin schwappte, und hing seinen Gedanken nach. Die MARQUIS DE LAPLACE, verstümmelt und entstellt, trieb lautlos auf ihrer Bahn.

      »Sind wir das wirklich«, fragte Reynolds nach einer Weile. »Ich meine gerettet und in einem Zustand, den man als sicher betrachten könnte.«

      Seine Worte verhallten. Die Ruhe änderte ihre Färbung; aus der besinnlichen Stille wurde ein eisiges Schweigen. Aber er hatte natürlich recht. Niemand wusste, was sich in diesem Augenblick vielleicht schon wieder in den unberechenbaren Weiten jenseits unserer Schutzhülle zusammenbraute.

      Da weder Wiszewsky noch Rogers geneigt schienen, das Wort zu ergreifen, räusperte Frankel sich und hob zu einer umständlichen Entgegnung an.

      »Ich wage zu behaupten, dass wir das sind«, sagte er. »Der Reaktorblock wird gegenwärtig an das Heck herangeführt und wieder angekoppelt, sodass unser Schiff in einigen Stunden seine Integrität wiedererlangt haben dürfte. Ein Enthymesis-Explorer wird auf unsere Anweisung hin stets außerhalb der Hangars bleiben und in geringem Abstand neben dem Mutterschiff positioniert.« Er hüstelte gekünstelt. »Falls kurzfristige Maßnahmen nötig werden sollten. Ähm. Gegenwärtig ist das die Endeavour. Wir werden Ihnen Ihren Schichtplan noch mitteilen.«

      Ich schwenkte mein Glas in der hohlen Hand. Als nächstes, da war ich mir sicher, würde er die Einsetzung einer Kommission verkünden, die die Vorfälle zu untersuchen und ein Bericht abzufassen habe.

      »Wir haben außerdem«, fuhr er fort, »mehrere Robotdrohnen mit Antimaterie-Granaten bestückt. Sollten sich weitere Objekte nähern, dürften wir in der Lage sein, uns ihrer zu erwehren.«

      »Wie ist die Vorwarnzeit?«, fragte Reynolds. Es kam wie aus der Pistole geschossen und deklassierte Frankels Bericht zu einer einzigen Rechtfertigung. Das schien auch der stellvertretende Leiter der Planetarischen so zu empfinden, jedenfalls setzte er einen indignierten Gesichtszug auf.

      »Die Drohnen sind in unter zwei Minuten abschussbereit. Sie sind selbststeuernd und können auch nach Abschuss noch umprogrammiert werden.«

      »Und das Deepfield«, hakte Reynolds unbarmherzig nach.

      »Was die Vorfeldaufklärung betrifft«, entgegnete Frankel beleidigt, »so sind wir, einige improvisationsbedingte Einbußen abgerechnet, wieder auf dem Stand ...«

      »Sie wurde schon einmal unterlaufen«, stellte Reynolds fest. »Selbst wenn wir die ursprüngliche Leistungsfähigkeit zu 100 Prozent wiederherstellen, gibt uns das keine Garantie.«

      Frankel starrte ihn böse an. Er war ein Bürokrat, der die Kritik an einem Missstand persönlich nahm, selbst wenn dieser sein eigenes Leben gefährdete.

      Dr. Rogers hatte der Auseinandersetzung mit regungsloser Miene zugehört. Jetzt hob er mahnend die Hand.

      »Sie haben natürlich recht, meine Herren ...« Das »Sie« war Unfug, wie alle Rhetorik, aber darüber mussten wir jetzt hinwegsehen. »Tatsache ist«, wandte er sich an Wiszewsky, »dass wir bis jetzt keine Erklärung dafür haben, wie der erste Meteorit unserer Vorfeldüberwachung entgehen konnte.«

      »Dann kann sich ein solcher Impakt also jederzeit wiederholen?«

      Laertes war der einzige, der auch in einem Gespräch der beiden obersten Autoritäten unaufgefordert das Wort nehmen konnte.

      »Im Prinzip schon«, räumte Rogers ein, »allerdings ...«

      »Wir sind jetzt gewarnt und haben unsere Aufmerksamkeit verstärkt«, glaubte Frankel seinem Chef zu Hilfe kommen zu müssen.

      Rogers schüttelte ihn ab wie eine lästige Fliege, die sein graues Haupt umsummte.

      »Die Automatik schläft niemals«, knurrte er vor sich hin. »Auch wenn wir die Posten verstärken, die Abschirmung erhöhen und Raketen bestücken, können wir nicht ausschließen, dass sich ein solcher Vorfall wiederholt.«

      Er ignorierte den schräg hinter ihm sitzenden Laertes ebenso wie Frankel zu seiner Rechten, sondern sprach ausschließlich mit dem Commodore. Dieser richtete sich in seinem tiefen Sessel auf und zog die Stirn in Falten.

      »Das ist schlecht«, sagte er zerstreut. »Dann sind wir weiterhin verwundbar.«

      Er stieß die Komarowa, die sich an seine Seite geschmiegt hatte, plötzlich von der Armlehne wie ein Schoßhündchen, das ihm die Hand nass gemacht hat. Svetlana setzte ein Schmollmund auf und stakste mit langbeinigen Schritten um seinen Thron herum. Sie stützte sich auf die Rückenlehne und sah mit vorgeschobener Unterlippe über ihn hinweg.

      »Dann sollten Sie«, fuhr Wiszewsky fort, »schnellstmöglich überprüfen, ob der Einschlag auf ein Versagen unseres Deepfields zurückgeht ...«

      »Das haben wir bereits getan«, antwortete Rogers. »Wir haben die Aufzeichnungen x-mal gegengecheckt. Die Systeme arbeiteten einwandfrei.«

      »Dann gibt es keine wissenschaftliche Erklärung«, sagte der Commodore, der manchmal ein bisschen rasch bereit war, sich der Resignation zu überlassen. »Wie konnte ein massereiches Objekt so plötzlich und so dicht vor unserer Nase auftauchen?«

      »Allerdings«, setzte Rogers den unterbrochenen Satz fort, »allerdings registrierten die Instrumente eine geringfügige Anomalie.«

      Ihm war anzumerken, dass sich etwas in ihm sträubte, das weiter auszuführen. Offenbar verfügte er über Informationen, die er in keinen Zusammenhang bringen konnte und die er sich vorzutragen scheute. Dabei fürchtete er nicht den Vorwurf, dem Kommandanten des Schiffes wichtige Details vorenthalten zu haben. Über derlei Beweggründe war er erhaben. Aber als militärisch geschulter und faktenorientierter Wissenschaftler war er gewohnt, Spekulationen zu meiden und sie solange zurückzuhalten, bis sie sich erhärtet hatten.

      »Was meinen Sie mit Anomalien?«, fragte Wiszewsky.

      Mir gegenüber beugte Jennifer sich vor und stemmte das Kinn in beide geballte Fäuste. Ihre Augen wurden groß und rund. Reynolds zog die Brauen hoch und setzte eine skeptische Miene auf.

      »Wir können uns die Daten bisher nicht erklären ...«

      Rogers wand sich wie ein Praktikant, der dem Projektleiter beichten muss, dass er ein Reagenzglas zerdeppert hat.

      »Dem ersten Asteroiden, der sich wenige tausend Kilometer vor unserem Bug, nun ...« – er rang nach Worten wie ein Ertrinkender nach Luft – »nun, förmlich materialisiert hat, ging ein Impuls voraus.«

      »Was für ein Impuls«, hakte Reynolds sofort ein. »Ein EMI?«

      Jennifer und Laertes warfen einander einen Seitenblick zu. Ich spürte, wie sich etwas Kaltes auf meinen Nacken legte.

      »Ein elektromagnetischer Impuls«, wimmerte Lambert. »Sie meinen, wie er bei Kernwaffen auftritt?«

      »Eine Thermische Bombe?«, rief Jennifer aus

      Aber Reynolds schüttelte nur den Kopf. Er war in tiefes Nachdenken versunken.

      »Wir haben nichts von einer derartigen Explosion bemerkt«, beeilte Rogers sich anzumerken. »Es handelte sich auch weniger um einen elektromagnetischen Impuls, denn um einen ...« Er stockte abermals.

      »Herrgott Rogers«, entfuhr es Wiszewsky, der für gewöhnlich eher durch Langeweile als durch Ungeduld auffiel. »Nun mal heraus mit der Sprache!«

      »Entschuldigen Sie, Sir«, sagte Rogers, der sich zusammenreißen musste. »Aber ich trage ungern Theorien vor, bei denen es sich noch nicht um bewiesene Erkenntnis handelt.« Er gab sich einen Ruck und sah seinen Kommandanten offen an. »Wir glauben eher«, sagte er mit abgestützter


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