Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945. Frank Baranowski
gehörten. Konstruktionszeichnungen lägen bereits vor; von jedem Gerät sollte zunächst nur ein Muster hergestellt und bis zum 30. April 1945 ausgeliefert werden. Die Grona GmbH habe bis Ende März 1945 über den Fortgang der Arbeiten Bericht zu erstatten.150 Vordruckpumpen wie die fünf in Auftrag gegebenen stünden auf der Wunschliste des Reichsforschungsrates an vorderster Stelle, ebenso eine Hochdruckwaage und ein spezielles Ringfederkolbenmanometer, das für den Dauerbetrieb und besonders hohe Drücke – zunächst für 15 t/cm – ausgelegt werden sollte.151
Gerlach intervenierte immer wieder bei anderen Stellen für Bertholds Grona GmbH,152 traf zugleich aus eigener Zuständigkeit die Firma begünstigende Entscheidungen. Nach dem fehlgeschlagenen Versuch der S & B-Konzernleitung erreichte ihn im thüringischen Stadtilm, dem Verlagerungsort der HWA-Versuchsanstalt Kummersdorf, ein ‚Brandbrief‘ Bertholds vom 19. März 1945. Der Grona-Direktor wollte seine Aussagen vom 15. März bestätigt haben, wollte Klarheit, welche Arbeiten seiner Firma unter das „Führernotprogramm“ vom Januar 1945 fielen, das Prioritäten der Waffenherstellung in allerletzter Minute setzte. „Es ist in hohem Maße wahrscheinlich, dass ein erheblicher Teil auch unserer Hochdruckentwicklungsarbeiten unter dies Programm – im Interesse der Munitionsherstellung – fallen“, suggerierte Berthold. Er sah sogar „in gewissem Umfange freie Hand, Arbeiten ausführen zu lassen, sofern dieselben nach unserem Urteil für die Kriegsführung wichtig sind“. Für neun Hochdruckgerätschaften wollte Berthold explizit die Genehmigung, drei Manometer von 6,3 t bis 16 t/cm2 Druck, zwei Pressen von 6,3 t bis 25 t/cm2, zwei entsprechend ausgelegte Ventile, eine Druckwaage und eine Pumpe für je 15 t/cm2.153 Gerlach erteilte die erbetenen Genehmigungen postwendend. „Diese Entscheidung ist von mir endgültig gefällt und der Kriegswirtschaftsstelle des Reichsforschungsrates bereits mitgeteilt“, 26.000 RM habe er „für das laufende Etatjahr“ beantragt, antwortete Gerlach aus München am 28. März 1945, nunmehr als „Konzentrationsbeauftragter des Reichsministers für Rüstung u. Kriegsproduktion“.154
Bertholds gewundene Ausdrucksweise in dem Brief, sein dreimaliger Ansatz: die Frage, was unter das Programm fiele, der Hinweis, freie Hand für weitere Arbeiten zu haben, und der konkrete Antrag auf Genehmigung der neun Geräte, legt nahe, dass es um mehr ging als um die eher unverfänglichen Zusatzaggregate. Vielleicht war Berthold in dem auf eine Vereinbarung zielenden Fachdialog des Januars 1945 mit Prof. Wever vom KWI für Eisenforschung ehrlicher, wenn er von einem Hochdruckgefäß und von Probekörpern spricht, die wechselseitig hergestellt und beprobt werden sollen.155 Auf jeden Fall meldet Wever dem KWG-Präsident Albert Vögler direkt an dessen Dortmunder Anschrift, bei Grona seien Werkstoffschwierigkeiten aufgetreten, derentwegen die Firma sich jetzt an sein KWI für Eisenforschung gewandt habe.156 Karlsch berichtet, die Göttinger Firma habe „einen hoch geheimen Auftrag – die Herstellung von Hochdruckkörpern“ gehabt, den sie mit „vierzig hoch qualifizierten Ingenieure(n) und Techniker(n) mit der höchsten Dringlichkeitsstufe“ betrieben habe.157
Beleuchtet wurde, ob die Grona GmbH Beziehungen zu naturwissenschaftlichen Instituten der Göttinger Universität unterhielt, ob diese vielleicht sogar ursächlich für die Ansiedlung der Magdeburger Entwicklungsabteilung in Göttingen waren. Aber derartige Querverbindungen ließen sich nicht feststellen. Zu untersuchen wäre, ob die Marineforschung nicht ein gemeinsamer Nenner war. Schon die Hochdruckabteilung der Magdeburger Mutterfirma Schäffer & Budenberg hatte nach Basset-Lizenz erbaute „erste Geräte an das Oberkommando der Marine“ geliefert.158 Das von Richard Becker geleitete Göttinger Institut für theoretische Physik hatte einen Schwerpunkt bei Marineaufträgen, ebenso das Schulers für angewandte Mechanik. Die um den Physiker Otto Haxel 1943 in Dänisch-Niehof gebildete Forschungsgruppe des Marinewaffenamtes war – eng begleitet von Walther Gerlach – mit der Entwicklung nuklearer Hohlladungs-Sprengkörper am weitesten gediehen. Die in Berlin-Wannsee angesiedelte Forschungsabteilung FEP III des Marineoberkommandos hatte der Korvettenkapitän und Göttinger Mathematik-Ordinarius Helmut Hasse Ende 1941 aufgebaut und seither geleitet. Er hielt sich regelmäßig in Göttingen auf, nahm die Leitung des Mathematischen Institutes wahr. In dessen Räumen richtete er im Herbst 1943 eine Forschungsstelle für Höchstdruckphysik ein.159
Norbert Schappacher160 bestätigt die Nutzung der Institutsräume für Forschungsarbeiten des OKM „auf dem Gebiet der Hochdruckphysik“, hält sie aber „mindestens teilweise für eine Scheinbelegung, mit der anderweitige Forderungen abgewiesen werden konnten“. Ansonsten nennt er für Hasses Forschungsgruppe die Beschäftigung mit Verfolgungskurven. Ein privater Marineforscher veröffentlicht ein Organigramm des Marinewaffenamtes, in dem sehr viel konkreter die „Marineforschungsstelle für Höchstdruckphysik in Göttingen unter ObRegRat Dr. Claus“ als Unterabteilung von Hasses Forschungsabteilung FEP III aufgeführt ist.161 Die hier formulierten Ergebnisse zeigen, wie sehr es noch gilt, lose Enden der Entwicklung nuklearer Hohlladungswaffen in Göttingen und um die dortige Firma Grona GmbH miteinander zu verknüpfen.
Nach dem Einmarsch amerikanischer Truppen nach Göttingen am 8. April 1945 trachtete Berthold, die unversehrt gebliebenen Fabrikanlagen für eine Fortführung der Produktion zu erhalten. Zunächst tat er alles, um die Fabrik gegen eine Plünderung durch befreite Zwangsarbeiter – displaced persons – zu sichern. Noch harrten die im ehemaligen Zwangsarbeiterlager unmittelbar hinter der Fabrik untergebrachten Franzosen, Russen und Polen ihres Heimtransports und hielten sich für Ausbeutung, Leid, Entbehrungen und Misshandlungen schadlos. Tag und Nacht ließ Berthold die Gebäude bewachen, bis die amerikanische Militärbehörde Anfang Mai 1945 die Insassen des Lagers verlegen ließ.162 Das Magdeburger Stammwerk war zerstört, eine Rückführung der Göttinger Dependance kam daher nicht in Frage. S & B war unentschieden, was mit seiner Grona GmbH geschehen sollte: sie abstoßen oder aber weiterbetreiben wie die werkseigenen Verlagerungsbetriebe Oda-Werke bei Blankenburg und die Niederlassung in Wegeleben?163
Für eine Fortsetzung der Firmentätigkeit in Göttingen mussten auf jeden Fall neue Räume gefunden werden, denn das Gebäude Groner Landstraße 55 war lediglich bis Kriegsende angemietet, und der Besitzer, Vermieter und vorherige Nutzer Willy Schöneis beanspruchte es, um dort seine Textilfabrik wieder zu eröffnen.164 Im Juni 1945 verlangte er die Räumung der Immobilie. Durch die Wirren des Kriegsendes war die Grona GmbH von dem Kapitalfluss der Muttergesellschaft abgeschnitten, so dass Mitte Juli 1945 ein Mietrückstand von 7.500 RM, nach Schöneis’ Auffassung sogar von 8.500 RM, aufgelaufen war.165 Bis zum 2. Juli 1945 hatte Grona eine Teilfläche von 196 qm und bis zum 17. Juli weitere 276 qm geräumt, doch Schöneis verlangte umgehend die Rückgabe der gesamten Immobilie. Es war schnellstmöglich Ersatzraum zu schaffen. Schöneis hatte inzwischen den Maschinenpark mit einem Vermieterpfandrecht belegt. Am 23. August 1945 verständigte sich Berthold mit ihm auf eine verbindliche Räumung bis zum 30. September 1945 und eine Abstandssumme von 20.000 RM, gestellt über eine Bankbürgschaft, zur Abgeltung sämtlicher Ansprüche aus dem Mietverhältnis.166
Berthold war in der Göttinger Industrie-Szene gut vernetzt, und so fand er eine Ersatzunterkunft bei der Firma Josef Schneider im Vorort Weende. Anfang August 1945 begann er damit, die Maschinen auf dem Firmengelände in einer Baracke, teils Holz, teils gemauert, aufzustellen.167 Die primitiven Werkstatträume waren sofort verfügbar, verursachten nur geringe Mietkosten und boten eine gewisse Sicherheit, „da sie sich in nächster Nähe eines solide organisierten Betriebes auf dessen Grundstück“ befanden.168 Offenbar hatte Berthold den Umzug aus eigener Verantwortung und ohne Rückendeckung aus Magdeburg unternommen, denn am 4. Oktober 1945 erhielt er von dort die Weisung, die Grona GmbH aufzulösen und den Geschäftsbetrieb einzustellen.169 Berthold allerdings hatte andere Vorstellungen, wollte den „Betrieb zwar nicht als wissenschaftliches Laboratorium, aber wohl als kleine Fabrikationsstätte und als Entwurfsbüro in Gang“ halten.170 Anfang Oktober hatte er bereits einen „Massendrehauftrag in Pressstoffteilen mit angemessener Verdienstspanne angenommen“.171
In den folgenden Monaten entbrannte ein heftiger Kampf um das ‚technische Vermächtnis‘ der Firma. Im Westen hatten die Engländer reges Interesse an den Forschungsergebnissen, im Osten bot die Magdeburger Firmenleitung das know how den Russen zur weiteren Nutzung an. Beide Lager versuchten, der Spezialmaschinen und der Unterlagen habhaft zu werden. In einer persönlichen Unterredung vom 22.