Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945. Frank Baranowski

Rüstungsproduktion in der Mitte Deutschlands 1929 – 1945 - Frank Baranowski


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Zivile Aufseher führten sie täglich quer durch Göttingen zur Fabrik im Salinenweg.42 Die Phywe verzeichnete seit 1938 jährlich zweistellige Umsatzzuwächse, 1941 gar 100 %.43 1941 richtete die Phywe ein Zweigwerk im annektierten Elsass ein: „Zwecks rationeller Ausnutzung der Fertigungsräume wurden Teile der Fertigung nach Straßburg-Neudorf verlegt“.44 Auch 1942 zeigte die Firma sich mit dem Gang der Geschäfte durchaus zufrieden: „Der Umsatzrückgang, bedingt durch weitere Einschränkungen der Friedenssektoren, hat im Geschäftsjahr 1942 durch Bearbeitung vermehrter Kriegsaufgaben voll ausgeglichen werden können“. Das galt auch für die elsässische Dependance: „Das Zweigwerk Straßburg-Neudorf konnte nach Anpassung der Fertigungsmöglichkeiten an einem […] Teil der Aufgaben des Stammwerkes bereits mit größeren Lieferungen einsetzen“.45

       Fahrzeug der Phywe AG mit der Aufschrift „Jede Stimme dem Führer“, 1932?

       (Sammlung Baranowski)

      Erleichtert zeigte die Geschäftsführung sich 1942: „Eine Reihe von Spezialerzeugnissen der Vorkriegszeit ist inzwischen kriegswichtig geworden“, zudem konnten „Ende des Jahres […] weitere Aufgaben in Angriff genommen“ werden.46 Welche das waren, bedarf noch weiterer Aufklärung. Am 11. Dezember 1942 bat das Straßburger Zweigwerk in einem vom Firmengründer und Vorstandsvorsitzenden Gotthelf Leimbach unterzeichneten Brief die Göttinger Firma Lambrecht, einen mit getrennter Post zugeschickten „Zopf Haare […] auf die Dehnung genau bestimmen zu wollen“. Zwei Herren vom OKH Berlin hätten „Versuche an bei uns gefertigten Mustergeräten zur Wettersonde“ durchgeführt, bäten nun um Beprobung des Haarbüschels. Lambrecht solle es danach wieder nach Straßburg senden, aber „Meldung über die gefundenen Werte an OKH Wa Prüf 8/​III, mit Durchschlag an Phywe Straßburg“ machen.47 Folglich wurden in Straßburg nicht nur Labormöbel gebaut, sondern ebenfalls „Feuchtigkeitsaggregate“.

       Gebäude der Phywe im Groner Salinenweg, 1970er Jahre (Sammlung Karlheinz Otto)

      Möglicherweise wuchsen der Phywe auch weitere Aufgaben bei Entwicklung von Geräten zur Isotopentrennung zu. Ein im Archiv des Deutschen Museums aufbewahrtes, nach Kriegsende zunächst von den USA beschlagnahmtes Dokument hält „ca. 1942“ fest, dass sich als „unmittelbare technische Vorhaben […] Ultrazentrifugen bei den Firmen Anschütz (Kiel) und Phywe (Göttingen) im Bau“ befänden. Sie sollten sich für Uranisotope anwenden lassen und „bei Anreicherungen von etwa 7 % relativ große Mengen“ liefern.48 Die Befreiung Frankreichs und der Vormarsch der Alliierten setzen der Phywe-Expansion ins Elsass und nach Baden 1944 ein Ende: „Aus militärischen Gründen sind die wichtigsten Fertigungen des Werks Straßburg/​Els. im Oktober, die des Werks Lahr/​Schwarzwald im November mit einigen Verlusten durch Feindeinwirkung in das Zweigwerk Elgersburg/​Thür. und ein gemietetes Werk in Northeim verlagert worden“.49 Die Northeimer Außenstelle Rhume-Werkstätten GmbH baute ab November 1944 mit etwa 50 Personen Elektrobauteile und Zünder.50

      Die Sartorius Werke GmbH war ebenfalls wichtiger Zulieferer der Luftwaffe.51 1936 versorgte sie das RLM mit Fotokassetten.52 Im Oktober 1939 gelang es dem Unternehmen, einen staatlichen Großauftrag über 200 Zeitzünderzusatzgeräte zur Ausrüstung der Kampfflugzeuge Ju 88 und Do 17 einzuwerben, der sich auf 150.000 RM belief.53 Mit der Abwicklung dürfte Sartorius für Monate, zumindest bis März 1941, ausgelastet gewesen sein. Der Göttinger Rüstungsproduzent beteiligte die ortsansässige Firma Neidel & Christian als Unterlieferanten an dem Auftrag. Weitere Ausrüster, an die das RLM Teilaufträge für diese Geräte vergeben hatte, waren Rheinmetall-Borsig (Sömmerda), die Stocko Metallwarenfabrik Henkels (Wuppertal-Elberfeld), Langlotz & Co. (Ruhla) und das Glimsoma-Werk (Wiesbaden-Schierstein).54 Ansonsten stellten die Sartorius-Werke Abwurfgeräte für die Luftwaffe und Leitwerke für Bomben her.55 Ende 1944 zählte der Betrieb 920 Mitarbeiter.56 Noch Anfang April 1940 waren es weniger als die Hälfte, und lediglich 216 von ihnen arbeiteten an den Luftwaffenaufträgen.57 Im Dezember 1944 zählten 107 russische Frauen, 67 Fremdarbeiter und 25 Fremdarbeiterinnen sowie 19 Kriegsgefangene zur Belegschaft.58

       Westseite der Göttinger Aluminiumwerk GmbH, 1920er Jahre? (StadtA Göttingen)

      Die Göttinger Aluminiumwerke GmbH (Alcan) nahm zwar eine Sonderstellung ein, denn ihre Geschäftsanteile befanden sich fest in kanadischem Besitz, doch frühzeitig, bereits 1933 profitierte das Unternehmen von Aufträgen des NS-Regimes. Das Unternehmen war aus einem 1905 vom Kaufmann Gustav Löding gegründeten Kleinbetrieb hervorgegangen, der in der Burgstraße Rasiernäpfe, Haus- und Küchengeräte herstellte. 1908 verband er sich mit dem Kaufmann Carl Albrecht zum Aluminiumwerk Löding & Albrecht. Allerdings schied Löding nach einem Jahr aus, erwarb ein Grundstück in Weende und gründete am 1. Oktober 1909 die Firma „Aluminiumwerk Carl Albrecht“. Sie produzierte ebenfalls Hausrat, spezialisierte sich aber gleichzeitig auf Zieh-, Druck-, Stanz- und Kaltpressteile aus Reinaluminium für Geräte, Behälter und Apparate. Der Betrieb florierte, offenbar auch aufgrund von Rüstungsaufträgen während des Ersten Weltkriegs. Das Aluminiumwerk produzierte mit 120 bis 160 Arbeitskräften Feldflaschen, Kochgeschirre und weitere Leichtmetall-Ausrüstungsgegenstände für Heer und Marine. In großem Umfang stellte das Werk zudem Zündladungskapseln her. 1919 kehrte das Unternehmen zur Produktion von Küchengeschirr zurück, zunächst mit großem Erfolg vor allem im Auslandsgeschäft; 1923 hatte es den höchsten Exportanteil seiner Branche. Zur Behauptung am Markt und, um weiter zu expandieren, ließ Albrecht auf dem Werksgelände an der Weender Landstraße ein eigenes Walzwerk errichten. Anfang September 1924 nahm es in zwei neu gebauten Hallen den Betrieb auf. Hohe Anlaufkosten des Walzwerkes, heftige Preiskämpfe und rückläufige Exportaufträge brachten die Firma finanziell in Bedrängnis.59

       Bei Alcan vorwiegend für die Flugzeugindustrie hergestellte Sicherheitsmuttern

       (Sammlung Baranowski)

      1926 übernahmen die Gläubiger das Unternehmen, wandelten es unter Führung der Dresdner Bank Hannover am 26. Juli des Jahres in eine GmbH um; es firmierte nunmehr als Aluminiumwerk Göttingen GmbH, vormals Carl Albrecht. Im Mai 1930 erwarb die international agierende kanadische Unternehmensgruppe Aluminium Ltd. (Toronto) sämtliche Geschäftsanteile. Sie stattete ihre Göttinger Aluminiumwerke GmbH (Alcan) mit den für Ausbau und Modernisierung des Werkes erforderlichen Finanzmitteln aus und verfünffachte das Stammkapital. Trotz der ausländischen Muttergesellschaft bemühte sich das Unternehmen frühzeitig um Rüstungsaufträge des NS-Staates und führte schon ab 1933 Spezialanfertigungen für die SA aus. Zudem produzierte das Unternehmen Feldflaschen, Kochgeschirre und Einrichtungsgegenstände für Mannschaftsunterkünfte.60

      Einen großen Schritt in Richtung Kriegsrüstung tat der Betrieb 1934 mit dem Erwerb des schwedischen Patentes zur Herstellung von „Elastic-Stop-Sicherheitsmuttern“. Die Firma stellte ihre Betriebsabteilungen auf die Fabrikation dieser besonders in der Flugzeugindustrie benötigten Sicherheitsmuttern um.61 So erlangte Alcan innerhalb weniger Jahre eine Alleinstellung für deren Fertigung.62 Von 1937 bis 1941 verdoppelten sich fast die jährlichen Umsätze mit diesen Muttern. Lag ihr Anteil am Gesamtumsatz 1937 noch knapp unter 20 %, so konnte er bis 1941 auf 67 % gesteigert werden. Die Gesamtbelegschaft wuchs im gleichen Zeitraum von 534 auf 1.270 Personen.63 Die zivile Produktion trat dagegen in den Hintergrund, wurde 1939 fast ganz eingestellt. Außer Sicherheitsmuttern stellte Alcan für die Flugzeugindustrie Bleche aus Reinaluminium und Aluminiumlegierungen her.64

       Holzwarenfabrik Herlag in Lauenförde, links im Vordergrund Reste des Barackenlagers (Sammlung Baranowski)

      Der


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