Aus, Äpfel, Amen (2) Ria, de Kloa 1948 bis 1951. Mia May-Esch
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Mia May-Esch
AUS, ÄPFEL, AMEN!
BUCH 2
Ria, de Kloa
Engelsdorfer Verlag
Leipzig
2016
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detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.
Copyright (2016) Engelsdorfer Verlag Leipzig
Alle Rechte bei der Autorin
Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)
Vorwort
Eigentlich will ich gar nichts mehr schreiben, weil ich mich so kraftlos finde. Aber Melitta, meine Freundin, bearbeitet mich, und von ihrer Tochter Nina habe ich diesen schönen, gebrauchten Laptop erhalten, mit dem ich jetzt bequem arbeiten kann und der mich dazu verführt, doch noch ein wenig weiterzuschreiben.
Im ersten Teil meiner Niederschrift habe ich meine Erinnerungen bis 1947 aufgeschrieben. Nun will ich die Schreiberei also fortsetzen.
Nochmals, ich will nicht behaupten, dass meine Erinnerungen zeitlich, politisch und örtlich genau richtig liegen, denn es sind Erinnerungen eines Kindes beziehungsweise jetzt einer nicht mehr jungen Frau. Ich spreche auch nicht alle wichtigen Ereignisse der jeweiligen Jahre an, sondern nur Dinge, die in meinem Leben für mich von Bedeutung waren. Vielleicht war vieles damals für mich wichtig, ist aber im Laufe der Jahre in Vergessenheit geraten.
2009
Sommer 2009 … Noch oder wieder krank
Mein 70. Geburtstag liegt nun schon einige Monate zurück. Bei vielen meiner Gratulanten, Bekannten und auch Freunden bin ich in der Zwischenzeit wieder mehr oder weniger in Vergessenheit geraten oder aber zumindest wieder in den Hintergrund getreten. Die rosarote Brille, die ich an und auch noch nach meinem Geburtstag eine Zeit lang trage und die mir alles, auch die dunkelsten Wolken, in zarten Farben erscheinen lässt, lege ich wieder ab.
Kaum habe ich meine Wunderbrille in einer Seelenfalte versteckt, drängen sich geballte dunkle Wolken wieder in mein Gemüt, werfen Schatten darauf und drücken meine Stimmung in eine depressive Phase. Ich muss die rosa Brille doch wieder hervorholen.
In meinem jugendlichen Alter von siebzig Jahren habe ich noch ganz andere Vorstellungen. Greifen meine Finger schon wieder nach der rosaroten Brille? Ja! Ja! Ich weiß! Ich nehme zwar meinen Lieblingsplatz im Bett ein, aber es geht mir überhaupt nicht gut! Wenn ich das Gegenteil behaupten will, ist das einfach gelogen! Werde ich am Telefon gefragt, wie es mir geht, sage ich einfach, es gehe mir gut, weil ich nicht die Kraft habe, meinen wirklichen Zustand zu erklären.
Die Augen fallen mir zu und meine Gedanken wandern zurück in die Kindheit.
Auch dieser Teil meiner Niederschrift handelt von meiner Geschichte. Der Geschichte
der Mia, der (roten) Feder
der Ria, der Kloan (der Kleinen)
Und wie geht es jetzt weiter?
1948
Das Jahr 1948 mit wichtigen Ereignissen
Das Jahr 1947 geht nach den in meinem ersten Buch geschilderten Ereignissen eigentlich gut zu Ende. Das Weihnachtsfest ist nicht so üppig, der Jahreswechsel ruhig; die Familie ist zufrieden. Der Winter dauert nicht so lange und es beginnt früh zu leinen (tauen).
Papa wieder zu Hause
Nach der Entlassung 1947 aus der russischen Kriegsgefangenschaft und seiner Heimkehr findet sich Papa wieder gut zurecht. Er genießt das wiedergewonnene Leben in der Heimat, auch wenn dieses bescheiden verläuft. Einige Male muss er jedoch in die Gemeindekanzlei, die von zwei Kriegsversehrten, dem Herrn Modauer Karl und dem Herrn Meier, verwaltet wird. Der Papa nimmt mich immer mit. Da höre ich, wie sie ihm Fragen stellen. Wo genau er im Krieg gewesen sei, wo in der Gefangenschaft, was er noch alles wisse, welche Männer gefallen und welche noch in der Gefangenschaft seien. Papa gibt zwar gewissenhaft Auskunft, aber ich merke, dass er nicht gerne über diese Zeiten spricht.
So weit es möglich ist, wird er von Mama verwöhnt. Er ist der Herr im Haus; er verdient den Lebensunterhalt oder bekommt im Winter Stempelgeld. Das Bett im Zimmer steht natürlich nur für ihn bereit. Mama schläft auf dem Sofa in dem kleinen Flur. Wenn es schneit, treibt der Wind, wie auch im Dachkammerl bei der Mutti, den Schnee durch die schlecht schließende Tür bis vor das Bett. Beim Aufstehen stehen wir barfuß im Schnee.
Wenn Besuch im Dachkammerl übernachtet, müssen Beate und ich „zu Hause“ schlafen. Für Beate bedeutet dies, dass sie die Nächte in der nassen, kalten und finsteren Wohnung mit den eisigen Wänden bei ihrer Mutti verbringen muss. Ich schlafe zusammen mit Mama auf dem schmalen Sofa im Flur. Ich liege an der Wand; wenn Mama sich umdreht, muss ich das auch tun, denn sonst reicht der Platz überhaupt nicht.
Papa hat wieder seine schlanke Figur. Das Wasser ist weg. Er hat auch schon einen schweren Malarieanfall hinter sich. Jetzt im Winter hat Papa keine Arbeit, er geht zum „Stempeln“. Dazu muss er jeden Montag nach Kösching, um sein Stempelgeld abzuholen. Nun hat er ein altes Herrenfahrrad. Damit kommt er überall gut hin, auch nach Kösching. Das ist sehr wichtig, denn wer nicht kommt, kriegt auch nichts! Ohne Stempel kein Geld!
Und sonst?
Mein kleiner Bruder Ludwig hat immer noch seinen Gschwoilltlkopf (runder Kopf). Nach wie vor hat er keine Lust, viel zu reden. Den Kindergarten besucht er jedoch gerne.
Robert ist seit dem Herbst 47 in der ersten Klasse der Schule. Er ist ein blasser, nervöser Kerl, der manchmal sehr jähzornig ist. Aber gegen uns zwei große Mädchen ist er immer auf verlorenem Posten.
Beate ist in der zweiten Klasse. Sie ist schnell in die Höhe geschossen und mir sogar etwas über den Kopf gewachsen. Ich schätze, zu meinen Gunsten: „I bin net kleaner ois wia du, sondern genauso groß ois wia du (als wie du).“ Wir stellen uns Rücken an Rücken und Beate stellt siegreich fest: „Sigst as, i bin greßer ois wia du.“ (Ich bin größer als wie du – bayrische Grammatik löst alle Probleme von „wie“ und „als“.)
Ich, die Glückliche, bin in der dritten Klasse und gehöre nun, 1948, zu den Kommunionkindern.
Das Hochwasser
Der Winter neigt sich dem Ende zu, das Wetter wird milder, es leint und das eigentlich schnell. Dadurch kommt es, wie fast jedes Jahr, zu Hochwasser. Bei den Meiers, wo die Tante wohnt, stürzt das Wasser die Bergstraße vom Gstockets her, vorbei an Pöschel, Birkner und Nerb herunter. Der schmale Lentinger Manterinbach tritt draußen im Seebach schon über seine Ufer und füllt die breite Senke fast bis zur Kriegsstraße aus. Auch in der Schwemme, wo sonst an Samstagen die Pferde gewaschen und gestriegelt werden, breitet sich der Bach ins Uferlose aus. Die Gerners können das Haus nicht mehr verlassen und in einem Sautrog, der als Boot dient, wird die Frau Gerner an Land ins Trockene gebracht.
Ich in meiner Neugierde – oh, das ist das falsche Wort, denn neugierig bin ich nicht, sondern