Aus, Äpfel, Amen (2) Ria, de Kloa 1948 bis 1951. Mia May-Esch
geht’s halt mit.“
Neugierig schauen wir zu, wie er die Glocken in Bewegung setzt und diese durchs Dorf klingen. Aber hernach schickt er uns gleich heim, denn:
„Nach dem Gebetläuten gehören Kinder heim“, meint er. Auch wir werden um diese Zeit zu Hause erwartet.
Der Steinbruch
Ich bin bei der Mama zu Hause und habe Langeweile. „Ich geh mal zu der Mutti hinter“, sage ich. Schon bin ich unterwegs. Ich hab Glück! Beate und Tante sind da! Beate kommt sofort aus dem Zimmer. Wir setzen uns auf die Stiege.
„Was mach ma denn?“
„Geh ma a bissl ins Gstockets?“, meine ich.
„Ich hab koane Schuh net. Meine san kaputt“, antwortet Beate.
„Hm, hm, was kannt ma do doa?“ (Was können wir da tun?)
Da fällt Beates Blick auf die Stöckelschuhe ihrer Mutti, die auf der Treppe stehen. „De ziag i oh!“ (Die ziehe ich an.)
Natürlich sind ihr die Schuhe um ein Gutes zu groß, aber was soll’s? Bestens gelaunt ziehen wir los. Das Gstockets ist nicht weit weg. Beate schechselt in den Mutti-Stöckelschuhen neben mir her. Schon stehen wir am oberen Rand des Steinbruchs und schauen in die Tiefe. Es ist uns verboten, in den Steinbruch zu gehen. Mama erzählt uns immer wieder die Geschichte vom Grassl-Buben, der beim Rutschen in der Kiesgrube verschüttet wurde und erstickt ist. Daran sollen wir denken. Ja, ja, das tun wir auch, aber die Geschichte ist schon so lange her. Jetzt ist das wieder ganz was anderes.
Wir stehen oben, überlegen noch, aber dann setzen wir uns an den Grasrand und lassen uns in den steilen Abhang gleiten. Schon setzt sich das Geröll mit uns in Bewegung. Mit großem Spaß geht es hinunter! Als wir lachend unten ankommen, gefällt es uns so gut, dass wir im Geröll wieder hinaufklettern und erneut runterrutschen. Noch zweimal wiederholen wir das, bis wir endlich müde und dreckig genug sind und uns auf den Heimweg machen wollen.
Da erstarrt Beate! Vom Stöckelschuh ihrer Mutti fehlt ein Absatz! Beate fängt sofort zu weinen an. Ich tröste sie. „Schaun ma halt mal, vielleicht finden wir den Absatz.“
Wir klettern nochmals im Geröll auf und ab, aber das gesuchte Objekt ist nicht mehr zu finden. Wir müssen uns wohl oder übel auf den Heimweg machen. Trotz aller Traurigkeit muss ich lachen, wie Beate neben mir ganz schebs mit einem langen und einem kurzen Fuß herschelcht.
Zu Hause wollen wir uns schnell ins Häuschen schleichen. Aber Tante steht schon mit wütendem Gesicht im Türrahmen. „Du Mistn, wo host du meine Schuah (Schuhe)?“
Eigentlich braucht sie das gar nicht mehr zu fragen, denn das sieht sie sowieso. Vielleicht erkennt sie ihre Schuhe aber gar nicht mehr, weil diese so dreckig und flach sind und mit ihren ehemaligen Stöckelschuhen keine Ähnlichkeit mehr haben. Als Tante noch dazu den fehlenden Absatz bemerkt, dreht sie ganz durch. „Mein einziges Paar Schuhe! Was soll ich jetzt anziehen?“
Weinend dreht sie sich um und geht zur Mutti ins Zimmer. Sie ist so geschockt, dass sie diesmal sogar vergisst Beate zu hauen.
Mutti schaut nach und zieht ein Paar ihrer alten Schuhe hervor. Die sind der Tante zwar etwas zu groß, aber wie Mama immer sagt:
In der Not frisst der Teufel Fliegen.
Jahresausklang
Der Herbst bricht an. Man merkt schon richtig, dass die Tage kürzer werden. Der Herbstwind weht über die Stoppelfelder. Das Laub auf den Bäumen färbt sich bunt, fällt herab und wir machen aus Blättern Drachen. Papa bastelt mit mir sogar einen aus Papier, den er an einer langen Schnur befestigt. Anschließend geht er mit mir auf die Straße und wir lassen unseren Eigenbaudrachen steigen. Papa kann schnell laufen und ich laufe lachend neben ihm her.
Die Holzfahrerei ist für dieses Jahr vorbei. Mama hat alles Mögliche eingeweckt. Einen Vorrat an Eiern hat sie in Kalk eingelegt, denn im Winter legen die Hennen weniger. Wenn man überhaupt welche kaufen kann, dann sind sie sehr teuer. Der erste Schnee fällt dieses Jahr auch bald und es geht mit Riesenschritten auf das Weihnachtsfest zu.
Seit dem Wintereinbruch ist der Papa zu Hause. Er muss stempeln, denn für Maurer gibt es zu dieser Jahreszeit keine Arbeit, aber irgendeine Beschäftigung gibt es immer. In den letzten Tagen sitzen die Frauen mit ihm zusammen und schleißen Federn. Die Bawett-Oma ist auch da. Über die Knie haben sie eine Decke gebreitet, damit der Flaum nicht so an der Kleidung hängen bleibt. Mama vermutet, der Papa und die Bawett haben was miteinander. Ich bin zwar ein völlig unbedarftes Kind, aber ich merke auch, dass die zwei unter der Decke „fusseln“, außerdem tauschen sie vielsagende Blicke aus. Der Papa trinkt auch zu viel.
Das Weihnachtsfest verläuft ruhig und ein wenig armselig, aber wir Kinder freuen uns über die Geschenke und die Weihnachtsferien, an denen wir oft Schlitten fahren dürfen. Den Jahreswechsel verbringen wir bei der Mutti und alle sind da. Mutti, Onkel Hans, Robert, Ludwig, Tante mit Beate, Mama, Papa und ich.
Es ist kaum zu glauben, dass wir alle in dem einen Zimmer Platz haben. So trudeln wir in das Jahr 1949.
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