Aus, Äpfel, Amen (2) Ria, de Kloa 1948 bis 1951. Mia May-Esch

Aus, Äpfel, Amen (2) Ria, de Kloa 1948 bis 1951 - Mia May-Esch


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Achter. Sie kann weiterfahren.

      Ramponiert, aber glücklich, mit dem wertvollen Geld in der Tasche, kommt sie heim. Erst mal verarztet Mama die Tante mit dem Rest Jod, den sie noch hat. Doch dann wendet sich aller Interesse dem neuen Zahlungsmittel zu. Ob und was man wohl dafür bekommen wird? Trotz ihrer Schmerzen fährt Tante am nächsten Tag in die Stadt. Sie will einfach mal schauen.

       Sie kommt zurück und erzählt von dem Wunder.

       Das Wunder der Währungsreform

      Ja, über Nacht ist ein Wunder geschehen! Alle Schaufenster sind voll! Die Geschäftsleute haben ganz hinten in ihren Lagern und Kellern nach gründlicher Nachschau nun doch noch Ware gefunden, wo vorher einfach nichts mehr zu sehen und finden war. Sogar beim Reischl in Lenting bekommt man für das neue Geld was. Auf einmal gibt es Vierfruchtmarmelade, Essig, Öl, Bratheringe und, und …

      Doch die Preise sind sehr hoch. Vieles ist für uns unerschwinglich. Das Leben bleibt also beschwerlich. Mama geht zwar äußerst sparsam mit dem Geld um, aber weit kommt sie damit trotzdem nicht.

       Vorher hatten wir Geld, aber es gab nichts zu kaufen. Jetzt gibt es viel zu kaufen, aber wir haben kein Geld. Die Leute arbeiten und werkeln und schauen trotz aller Müh und Plag voller Zuversicht in die Zukunft.

       Neue Sprachen, neue Wörter und Sprachwirrnisse in Lenting

      Zweimal in der Woche haben wir Religionsunterricht. Den Katechismus mag ich nicht so gerne, weil man da lernen muss. Aber wenn der Herr Pfarrer die „Biblischen Geschichten“ aus dem Alten und dem Neuen Testament erzählt, bin ich immer ganz hingerissen. Natürlich schildert er auch den Turmbau von Babylon. Die Leute in Babylon hatten auf einmal ganz verschiedene Sprachen und konnten sich nicht mehr verstehen.

      In Lenting wird zwar kein Turm gebaut, aber wenn sich die neuen Leute unterhalten, verstehe ich manchmal nichts oder nur einen Teil. Besonders wenn sie russisch, polnisch oder tschechisch miteinander reden (natürlich kann ich diese Sprachen auch nicht unterscheiden), bekomme ich gar nichts mit. Wo ich doch so neugierig bin und alles wissen will!

      Auch wenn sie sich auf Deutsch unterhalten, haben sie ganz andere Wörter als wir Alt-Lentinger. Ich höre plötzlich von Deka, von Kilo, vom Fleischer, von Möhren und so weiter. Sie nennen den Odel Jauche, die Brotzeit Jause oder Vesper, die Pfannkuchen Palatschinken, Kren ist Meerrettich, Tagwerk Grund ist Morgen Land, Schwarzbeeren sind Blau- oder Heidelbeeren, a Drecklache ist eine Pfütze und, und, und …

      Aber auch die Neu-Lentinger haben ihre Mühe, um unser schönes, gepflegtes Bairisch zu verstehen, auch wenn wir „Hochbairisch“ sprechen. Wenn wir reden, müssen sie schon die Ohren spitzen, denn da geht es um einen Haderlumpen, Bazi, Baderwaschl, um eine Watschn, Matz, Ratschn, es geht um Klapperl, Glupperl, es geht ums Wuzeln, Zuzeln und, und … Die Uhren gehen in Bayern schon immer anders, nämlich in Viertelstunden, halb eins, dreiviertel zwei … Ja, doch, wenn der Papa flucht, dann auf Russisch. Das hört sich ganz schlimm an. Aber langsam lernt man miteinander umzugehen. Amerikanisch hört man wenig. Wenn die Bayern schon Fremdwörter verwenden, dann französische oder jiddische. Wir haben einen Plafond, ein Portemonnaie, ein Trottoir, eine Chaiselongue. Es gibt Schicksen, wir haben Massel, toi, toi, toi, des ist koscher und, und, und … Am besten gefällt mir das Wort für Rosspollen. Rosspollen heißen Pferdeäpfel! Wenn ich das höre, muss ich immer lachen! Äpfel sind für mich immer etwas, was man essen kann. Jakobiäpfel, Bratäpfel, Lederäpfel, Straßenäpfel, aber Pferdeäpfel, na, na, da muss ich wieder lachen!

      Dann noch diese Hausnamen, die ständig zu Verwechslungen führen. Der Hennamo wird als Herr Hühnermann angesprochen, aber er heißt Kipfelsberger. Der Herr oder die Frau Gockelbauer heißen Sterler und der Wagensimmer heißt Brandl. Darüber allein könnte man schon ein Buch schreiben.

       Aber die modernen, immer aufgeschlossenen Lentinger nehmen alles mit Humor und werden auch mit dem babylonischen Problem fertig.

       Der Sommer, die Ferien und der Herbst

      Die Zeit verfliegt schnell, das Schuljahr geht zu Ende und die Ferien stehen vor der Tür. Im August begeht Mutti ihren 30. Geburtstag. Aber außer Glückwünschen, einem Strauß Wiesenblumen, einem Hefezopf und Lindes Kaffee gibt es nichts. Unsere Freizeit verbringen wir meistens draußen. Das ganze Dorf ist ein Spielplatz. Der Bach ist da, das Gstockets, wir können Häusl- und Strickhüpfen, Schussern, Kreisel und Reifen treiben. Wenn es besonders heiß ist, dürfen wir wieder an den Lukasweiher und dort baden. Auch wenn Mama meint, ich würde dreckiger heimkommen als ich hin bin. Und wenn das Wetter schlecht ist, sind wir beim Hennamo. Langweile kennen wir nicht.

      Aber wenn ins Holz gefahren wird, dann müssen Beate und ich mit. Wir werden gar nicht lange gefragt, wir haben einfach mitzukommen und fleißig zu helfen. Wenn wir mal ein Gesicht machen, dann meint Mama: „Ihr wollt eich im Winter ja auch in die warme Stube neihocka, oda vielleicht ned?“ Dagegen kann man nichts sagen. Auch wenn ein „Schwammerlwetter“ ist, muss ich einfach mit. Aber meist werden diese Arbeitstage trotzdem schöne Tage, wenn wir mit dem Wagerl durch Wald und Flur fahren und dabei lachen und singen und wenn wir vor der Heimfahrt in einer Lichtung auf Baumstämmen sitzen und uns an kaltem Kaffee und Marmeladenbroten gütlich tun.

      Einmal im Jahr bekommen wir eine größere Holzlieferung. Da fährt der Gockelbauer mit dem Bulldog hinaus und wenn wir Glück haben, dürfen wir darauf mitfahren. Daheim geht es dann weiter. Das Holz muss geschnitten und zerhackt werden. Das machen der Papa und Onkel Hans. Wenn die nicht da sind, wird diese schwere Arbeit von den Frauen erledigt. Die Holzscheitl zu einem schönen Holzstoß aufzuschlichten, das ist wieder unsere Arbeit. Mama überwacht das mit Argusaugen, damit der Stoß einen festen Stand hat und nicht einfällt.

      Wenn die Ernte reif ist und gemäht wird, geht es mit dem „Ächern“ weiter. Da ist es oft sehr heiß, der Schweiß rinnt nur so runter, wenn wir barfuß durch die Stoppelfelder gehen und uns nach jeder Ähre bücken.

       Trotz der Arbeit sind die Ferien viel zu schnell vorbei.

       Ein neues Schuljahr beginnt

      Wir haben jetzt ein neues Fräulein, das Fräulein Motzko. Die Lehrerin ist eigentlich eine Opernsängerin, die früher in Prag oder Breslau aufgetreten ist. Ihre Sangeskünste kann man leicht bewundern, denn sie singt in ihrem Zimmer im Lehrerhaus bei offenem Fenster. Das hört man über die Wiesen und den Bach bis zum Kindergarten hinüber. Sie hinkt etwas, weil sie einen kurzen Fuß hat. Sie hat rotbraune Haare, die sie in schönen Locken aufgesteckt trägt. Schon der Haarfarbe wegen mag ich sie.

      Die rote Hexenhaarfarbe haben bei den Kindern nicht viele. Bei der großen Zahl von Schulkindern gibt es bei den Buben nur meinen Bruder Ludwig und bei den Mädchen außer mir nur zwei, nämlich die P. Jutta und die Nerb Anni.

       Beate und ich sind in diesem Schuljahr wieder zusammen. Gerne gehen wir in die Schule und lernen fleißig.

       Das Rosspollenhaus

      Im Sommer bin ich mit Mama mal wieder unterwegs. Wir treffen den Herrn Dietz. Was macht er? Er sammelt Rosspollen auf! Mama und ich sind bei ihm immer auf Überraschungen gefasst. Ich schaue recht neugierig, aber ich trau mich nicht zu fragen. Schade, Mama ist nicht so wissbegierig. Hoffentlich fragt sie trotzdem. Ich stoße sie leicht in die Seite. Wirklich, das hilft!

      „Was machen Sie denn mit diesen Pollen? Brauchen Sie die für Ihre Gartenbeete?“ Mama weiß, dass die Familie draußen in den „Flüchtlingsgärten“ einige Beete hat.

      „Nein, ich brauche die Pferdeäpfel (ich muss schon wieder kichern) für unsere neuen Wohnungen, für meinen Schwager Spieß und uns.“

      Mama kommt nicht mit. „Wie?


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