Aus, Äpfel, Amen (2) Ria, de Kloa 1948 bis 1951. Mia May-Esch
Natürlich mag ich beide sehr gern. Mama ist zwar immer recht streng, aber der Papa nicht.
Nochmals Papa
Wenn Mama und Papa von mir reden, dann bin ich meist „de Kloa“ oder auch die Mia oder die Ria.
Mama schaut sehr darauf, dass der Papa immer sauber zur Arbeit geht. Meine Arbeit ist, Papas Arbeitsstiefel jeden Tag auf Hochglanz zu putzen. Am Samstag badet der Papa immer. Mama holt die große Wanne ins Zimmer, macht im Kessel Wasser heiß und richtet alles zum Anziehen her. Ich habe da nichts im Zimmer zu suchen. Wenn ich reindarf, hat er mindestens eine lange Unterhose an. Aber wenn er ohne Oberhemd im Zimmer vor dem Spiegel steht und sich rasiert, sitze ich auf dem Bett, schaue zu, wie er den Seifenschaum schlägt, diesen mit dem Rasierpinsel im Gesicht verteilt und anschließend mit dem Rasierapparat die Bartstoppeln zügig entfernt. Ich lasse ihn nicht aus den Augen. Da geht er auf mich zu und schmiert mir mit dem Rasierpinsel Schaum auf die Nasenspitze. Dazu lacht er und ich lache auch.
Wenn er fertig angezogen ist, kommt noch sein russisches Birkenhaarwasser in seinen etwas spärlichen Haarbestand. Der Duft zieht durch die Wohnung. Jetzt ist er zum „Fortfahren“ fertig. Mama macht ein unglückliches Gesicht. Sie ermahnt ihn, er solle nicht so viel trinken. Aber da ist er schon draußen und schwingt sich elegant auf sein Fahrrad. Dabei hebt er das rechte Bein ganz gerade nach hinten über den Sattel. Ich schaue ihm nach, er drückt noch auf die Fahrradklingel und ist entschwunden. Mama erledigt noch Hausarbeiten und trifft Vorbereitungen für den Sonntag.
Der Papa ist immer nett zu mir. Seit kurzer Zeit hat er ein neues Fahrrad. Er geht mit mir sogar auf die Straße und bringt mir auf seinem neuen Rad das Fahren bei. Das ist gar nicht so einfach, weil die Stange hinderlich ist. Recht gut lerne ich das Fahren da nicht. Manchmal darf ich mich auch auf die Fahrradstange setzen und er fährt mit mir ein Stück durch das Dorf. Dabei lässt er dem Fahrrad freien Lauf, weicht geschickt den Steinen aus und rumpelt mit mir den Pfarrbuckl hinunter. Wir haben den größten Spaß dabei.
Einmal findet er draußen einen kranken Vogel. Diesen bringt er zu mir herein und richtet mit mir ein Nestchen her. Doch der Vogel stirbt; ich weine. Da tröstet er mich, macht im Hof ein kleines Grab und da beerdigen wir das Vögelchen. Auch wenn die Hasen Junge bekommen, zeigt er mir diese und erklärt mir alles genau. Hasenfutter zu bringen, gehört auch zu meinen Aufgaben. Dabei hilft er mir nicht. Aber das macht ja nichts!
Im Sommer treiben Kinder die Gänse und Enten zum Bach runter. Wenn die Kinder am Bach spielen, können die nebenbei im Bach schwimmen. Am Abend laufen sie schnatternd mit den Kindern wieder heim.
Mir gefällt das, aber wir haben keine Gänse und auch keine Enten.
Mein Gänschen
Da kommt die Wuni-Mutter und bringt ein kleines, gerade geschlüpftes Gänschen mit, das sich einen Fuß gebrochen hat. Mama nimmt das Gänschen auf. Der Papa macht ihm eine kleine Schiene an den Fuß. Ich gebe ihm den Namen „Gretl“.
Die Gretl überlebt. Sie hinkt zwar immer, aber ich mag sie. Papa richtet in der kleinen Ecke hinter dem Hoftürl einen kleinen Stall für sie ein. Stolz führe ich meine Gretl jeden Tag zum Bach. Damit beweise ich, dass ich auch was habe. Die Gretl läuft mir nach und hört auf ihren Namen. Sie wächst und wird schwer.
Ja, was sollen wir im Winter mit ihr machen? Ich will, dass sie im Zimmer überwintert. Das lehnt Mama ab. Als es schon Spätherbst ist, ist eines Tages die Gretl weg. Ich fange zu weinen an. Da erzählt mir Papa, er habe die Gretl nach Stammham zu den Stockingers (Hausname) gebracht, damit sie dort mit den anderen Gänsen überwintern könne. Im Frühjahr werde er sie wiederholen.
Was wirklich aus der Gretl geworden ist, erfahre ich nicht, aber ich habe sie nie mehr gesehen.
Der Pfarrbuckl
Den Pfarrbuckl mag ich auch. Im Frühjahr findet man dort schon früh Veilchen. Ostern wächst der Kren fast direkt vor dem Häuschen. Die zwei großen Lindenbäume auf der einen Seite spenden im Sommer kühlen Schatten. Da können wir schön spielen, auch wenn es ziemlich abschüssig ist.
Auf der anderen Seite scheint die Sonne fast den ganzen Tag auf den Buckl. Die Hennen scharren herum und suchen sich Futter. Sie kratzen die warme, weiche Erde auf und setzen sich hinein. Weil es hier so schön warm ist, freuen sie sich. Aus Dankbarkeit legen sie öfters ein Ei hinein, bestimmt extra für mich. Niemand achtet darauf, aber ich finde das heraus. Es ist mein Geheimnis. Jeden Tag schaue ich nach und Mama freut sich über die frischen Gaggerl. Nur die Nachbarinnen jammern manchmal, dass die Hennen in der letzten Zeit schlechter legen.
Beate und ich springen den Buckel gern rauf und runter. Auch heute mal wieder. Beate hat eine schöne, frisch gewaschene und gebügelte Trägerschürze an. Ich bin wie immer mit einer meiner unbeliebten Rüschenschürzen ausgestattet. Tante sitzt mit der Mama im Zimmer, beide unterhalten sich. Wir zwei wollen hinaus, daher fragen wir. Tante mahnt die Beate extra noch: „Pass ja auf! Du bist ganz frisch angezogen und hast dein schönes Schürzerl an!“ Natürlich passen wir auf! Wir wollen nur mal wieder ein bisschen schauen.
Aber ich will der Beate zeigen, wie gut ich den Berg runterspringen kann. Ich bin wirklich gut und mal schneller als sie. Das kann Beate nicht einfach hinnehmen. Wir stehen oben und ich mache ihr vor, wie sie springen soll. Ihr Ehrgeiz ist geweckt. Sie ist besser! Das wär doch gelacht! Sie wird noch besser hüpfen. Schon startet sie mit großen Sprüngen. Der Sieg scheint ihr sicher. Doch da stolpert sie über eine Wurzel, fällt und rutscht den Rest des Berges auf dem Bauch hinunter.
Oh Gott! Wie sie ausschaut! Sie fängt zu weinen an, denn sie fürchtet die Watschen ihrer Mutti. Wir gehen zum Bach hinunter und versuchen, den Dreck aus der Schürze zu waschen. Es hilft nichts! Da schleichen wir uns heim. Ich habe ein ganz schlechtes Gewissen, weil ich Beate zu der Springerei überredet habe.
Tante ahnt schon Böses, als sie uns so still und leise kommen sieht und als Beate voller Dreck vor ihr steht, reißen ihre Nerven. „Ja, was hab ich dir gesagt? Aufpassen! Aber du, du, du …!“ So geht es weiter. Tante kriegt sich gar nicht mehr ein. Nebenbei versohlt sie Beate. Ich will der Tante sagen, dass ich Schuld habe. Aber Tante hört gar nicht richtig zu. „Die ist doch selbst alt genug!“
Endlich hört sie auf. Beate sitzt weinend neben mir und ich weine mit.
Der Friedhof
Natürlich haben wir solche Sachen bald vergessen und gehen wieder gemeinsam auf Tournee. Wir haben so viele Plätze, wo wir uns gerne aufhalten. Robert ist schon über sieben. Er darf öfters mitkommen. Zu unseren Lieblingsplätzen gehört auch der Friedhof. Da schauen wir ins Leichenhaus, ob jemand aufgebahrt ist. Wenn es einen neuen Erdhügel gibt, begutachten wir die Blumen und Kränze.
Beim Friedhofsbrunnen steht meist eine Gießkanne. Beate und ich pritscheln mit dem Wasser, pumpen es in die Gießkanne und Robert muss aufpassen, dass die Kanne nicht überläuft. Ist sie voll, schleppen wir sie zu den Gräbern und gießen die Blumen. Keinen stört unser Aufenthalt. Nicht mal der Herr Pfarrer sagt was, wenn er durch den Friedhof zur Kirche eilt. Wir laufen auch jedes Mal zu ihm hin, greifen nach seiner Hand, machen einen Knicks und bringen unser notwendiges „Gelobt sei Jesus Christus“ vor. Dies wird von ihm mit „In Ewigkeit Amen“ beantwortet.
In der einen Ecke des Friedhofs befindet sich ein kleines Haus. Es heißt, da drin seien „Boana“ (Gebeine). Ein Stück vom Friedhof entfernt ist noch oder wieder Rasenfläche. Da steht auch ein kleiner Apfelbaum, der im Herbst voller kleiner Äpfel ist. Doch diese, wirklich wahr, ich lüge nicht, schauen nicht wie normale Äpfel aus, sondern wie aus gelbem Wachs. Mama meint, das seien Paradiesäpfel und wir sollten die nicht essen, weil der Baum auf dem Knochenfeld wachse. Niemand isst diese Früchte, aber wir tun es und sie schmecken uns.
Zur Abendstunde kommt der alte Bindervater,