Jahrgang 1928 - Erinnerungen. Heinz Müller

Jahrgang 1928 - Erinnerungen - Heinz Müller


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zwischen seinem Vater und dem Herrn Hauptmann letzterem versprochen. Das hieß, nach Abschluss der Schule mit 14 Jahren, im Gut als Kutscher zu arbeiten. Ein Kutscher war schon eine herausragende Stelle.

      Als ersten Jahreslohn bekam er vom Herrn Hauptmann ein Hemd, einen Kutscheranzug und ein paar Schaftstiefel. Auf den Feldern brauchte er nicht zu arbeiten, dafür musste er sich um die Pferde und den Kutschwagen kümmern. Alles musste stets geputzt und einsatzbereit sein. Auch nachts, denn oft ging es noch am späten Abend zu Gelagen in die Nachbarschaft. Im Morgengrauen musste dann der Herr Hauptmann wieder nach Hause kutschiert werden. Eine oft mühselige Fahrt mit vielen Unterbrechungen, weil der Herr stark angetrunken war. Die anschließend erforderliche Reinigung des Wagens war nicht die angenehmste Arbeit, aber die Kutsche musste blank geputzt sofort wieder zur Verfügung stehen. Robert war also ein besserer Lakai.

      Das alles gefiel ihm aber nicht und er beschloss, sich nach Ablauf des durch seinen Vater gegebenen Versprechens – also zu seinem 18. Geburtsgag – eine andere Arbeitsstelle zu suchen.

      Zu MARIÄ LICHTMESS – am 2. Februar – war es dann soweit. Das war der Tag, an dem sich die Dienstboten in der Landwirtschaft eine neue Arbeitsstelle suchen konnten. Im Februar gab es in der Landwirtschaft nicht mehr soviel zu tun und die Knechte und Mägde konnten gehen.

      In der Zeitung hatte er gemeinsam mit einem Freund gelesen, dass in Oberschlesien im Bergbau Arbeitskräfte gesucht wurden. Gemeinsam beschlossen sie, dorthin zu ziehen, um zu arbeiten. Im Steinkohlebergwerk in Kattowitz wurde er zunächst unter Tage zum Schlepper und später zum Hauer ausgebildet.

      Als Schlepper musste er die Kohlebrocken, die der Hauer zuvor abgeschlagen hatte, in Loren schaufeln und auf Gleisen zu einem Aufzug fahren. Von hier wurden die Kohleloren nach oben gezogen. Geleert kamen sie zurück in den Schacht.

      In den 20er Jahren bekam er von polnischen Bergarbeitern, mit denen er sich gut verstand, die Empfehlung, Oberschlesien zu verlassen, da es zu Aufständen kommen würde, bei denen sein Leben als Deutscher nicht mehr sicher wäre. Er folgte dem Rat und zog nach Ziebingen in Brandenburg, um hier in einem Braunkohlebergwerk als Hauer zu arbeiten. Hier lernte er seine spätere Frau Dorothea – die Dorchen gerufen wurde – kennen. Sie war auch Landarbeiterin, aber nicht beim Herrn Hauptmann sondern bei „Herrschafts“, wie es im Brandenburgischen hieß, angestellt. Bald heirateten beide und ihr erster Sohn Hans wurde geboren.

       Die Geschichten von Hans

      Und hier beginnt die eigentliche Geschichte.

      Kurz nach seiner Geburt zog die junge Familie aus Ziebingen nach Zschornegosda in der Niederlausitz. Ein Ort mit sorbischem Ursprung – wie der Name schon verrät – der später in Schwarzheide eingedeutscht wurde. Hier lebten sie vorerst im Wandelhof. Das war ein Ortsteil mit langgestreckten Reihenhäusern, in denen die ankommenden Bergarbeiter mit ihren Familien eine erste Unterkunft fanden. Es war ein Kommen und Gehen, eben ein ständiger Wandel und Wechsel in diesen Häusern. Fast alle, die hierher zogen, arbeiteten bei der BUBIAG (Braunkohlen und Brikett Industrie Aktiengesellschaft), die versuchte, tüchtige Arbeiter in ihren Betrieben zu halten.

      Sie ließ kostengünstig einfache Häuser für ihre Arbeiter bauen. So entstanden in der Umgebung Siedlungen, deren Häuser die Arbeiter erwerben konnten. Jeder Arbeiter musste dazu nach seiner eigentlichen Arbeit eine bestimmte Stundenzahl auf dem Bau als Hilfsarbeiter und Handlanger für die Maurer leisten. Der Geldwert der Häuser wurde in kleinen Raten vom Lohn abgezogen. Die eigene Arbeit am zukünftigen Haus und das System der Abzahlung schufen natürlich Bindungen zu Grund und Boden. Die Arbeiter wurden dadurch bodenständig und die Fluktuation der Fachkräfte hörte auf. Ein kluger Schachzug der BUBIAG.

      Hans feierte seinen vierten Geburtstag im neuen, aber noch nicht abgeputzten Siedlungshaus. Richtigerweise muss man aber sagen, er erlebte seinen Geburtstag, denn zum Feiern waren weder Zeit noch Geld da. Es war trotzdem feierlich, als zum Frühstück eine Kerze angezündet wurde und Hans sie schließlich ausblasen durfte. Die Mutter hatte einen Napfkuchen im neuen, frisch gemauerten Küchenherd in der neuen Küche gebacken. Da sie den Ofen und seine Tücken aber noch nicht kannte, wurde der gute Kuchen schliff. Trotzdem war er der Höhepunkt des Geburtstagsfrühstücks und wurde mit großem Appetit gegessen. Für den Geburtstag hatte Hans Mutter extra Feldblumen gepflückt und damit den Tisch geschmückt.

      Sein Vater ging zur zweiten Schicht um 14:00 Uhr zur Arbeit, vorher hatten er und seine Frau tüchtig auf dem Bau geholfen, denn bis zum Einbruch des Winters sollte der Außenputz endlich fertig sein. Der Putz musste bis dahin abgestorben, also ausgetrocknet sein, damit er durch den Frost nicht abfrieren konnte und von den Wänden wieder abfiel. Eile war also geboten, darum arbeitete die Mutter am Nachmittag allein als Hilfsarbeiter für die Maurer auf dem Bau weiter.

      Kies musste gesiebt werden, die Mörtelmischung für die Maurer zum Putzen auf die Baugerüste geschleppt werden, Wasser bereitgestellt werden und vieles mehr. Eine körperlich schwere Arbeit für eine Frau. So vergingen der September und Oktober, das Haus war nun abgeputzt und sogar eine Hofmauer schon gemauert. Aber die körperlich schwere und anstrengende Arbeit hatte Spuren hinterlassen.

      Dorchen kam ins Bergarbeiter-Krankenhaus Klettwitz. Durch die Schlepperei auf dem Bau hatte sie sich eine Unterleibserkrankung zugezogen und musste operiert werden.

      Für Hans begann eine schwere Zeit. Nun war er den ganzen Tag allein im zwar neuen aber noch fremden Haus. Beziehungen oder Freundschaften zu den Nachbarn oder ihren Kindern hatte er in der Kürze der Zeit, in der seine Familie hier wohnte, noch nicht knüpfen können. Das direkte Nachbargrundstück sollte sogar erst zu Weihnachten bezogen werden.

      Sein Vater Robert versuchte, mit seinen Arbeitskollegen die Tagesin Nachtschichten zu tauschen. So konnte er tagsüber bei seinem Sohn sein. Aber das klappte auch nicht immer.

      Für Robert wurde es immer schwerer, scheinbare Banalitäten nahmen zu. Hans und auch er selbst hatten keine Wäsche mehr zum Wechseln und was noch viel schlimmer war, Hans wurde krank. Er hatte Fieber und lag schwitzend im Bett. In der größten Not kam die ehemalige Nachbarin aus dem Wandelhof zu Hilfe.

      Arbeitskollegen von Robert, die noch in Zschornegosda wohnten, hatten ihr von Roberts schwieriger Situation erzählt. Sie kam mit ihrem Mann aus Oberschlesien und hatte noch keine Kinder. Aus eigenem Erleben wusste sie wie es ist, wenn einem das Wasser bis zum Hals steht. Hans, den sie als ein liebes Nachbarkind kennen gelernt und auch gern hatte, gab den Ausschlag. Sie kam und half.

      Zuerst sorgte sie wieder für saubere Wäsche, dabei kümmerte sie sich liebevoll um den kleinen Hans, dem es von Tag zu Tag auch wieder besser ging.

      „Die Mutter fehlt“, war ihr Kommentar. „Sie muss schnellstens wieder gesund werden.“

      In den ersten Dezembertagen war es wieder wärmer geworden und Robert beschloss, seine Frau im Krankenhaus zu besuchen. Hans bettelte, er wollte unbedingt mit zur Mutter.

      Robert gab dem Drängen nach. Er besorgte sich über einen Arbeitskollegen einen Kindersattel für sein Fahrrad, der noch am Freitagabend auf den Querrahmen des Fahrrades montiert wurde. Für Sonnabend hatte er sich eine Freistellung von der Arbeit beim Steiger besorgt, musste dafür allerdings am Sonntag zur Nachmittagsschicht antreten. Deshalb ging es am Sonnabend gleich nach dem Frühstück per Fahrrad los ins 18 Kilometer entfernte Bergmannskrankenhaus in Klettwitz.

      Die aufgehende Sonne meinte es zwar gut, aber das Wetter täuschte die beiden Radfahrer. Es war doch noch empfindlich kalt und insbesondere Hans fror an den Händen und Füßen. Um halb zehn kamen sie steif und durchfroren im Krankenhaus an. Die Visite war gerade beendet, als sie das Zimmer betraten.

      Ein „besseres“ Zimmer mit nur acht Betten, einem großen Tisch mit Stühlen und an jedem Bett ein Nachtschränkchen mit Unterfach und Schublade. Alles weiß lackiert und blitzblank sauber. Hans war beeindruckt und flog der Mutter, die sich im Bett aufgerichtet hatte, entgegen.

      Robert war in diesem Augenblick abgemeldet und blieb lächelnd an der Tür stehen, bevor er seine Frau auch in die Arme nehmen


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