Jahrgang 1928 - Erinnerungen. Heinz Müller

Jahrgang 1928 - Erinnerungen - Heinz Müller


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servierte Mittagsmahl unterbrochen wurde. Robert wollte genau wissen, wie es seiner Frau nach der Operation ging und welche Schmerzen sie noch hatte. Hans aber konnte gar nicht aufhören, von den Neuigkeiten im und am Haus zu erzählen.

      Er berichtete auch von der Tante Huworeck aus Wandelhof, die sich um ihn und auch um die schmutzige Wäsche gekümmert hatte. Er berichtete lang und ausführlich, sehr zum Leidwesen seines Vaters, der wusste, wie eifersüchtig seine Frau werden konnte und der er doch jede Aufregung ersparen wollte.

      Robert war froh als er sah, wie seine Frau lächelnd den Redefluss ihres Sohnes unterbrach und dafür aus der Schublade des Nachtschränkchens eine mit Schnittkäse belegte Weißbrotstulle hervor zauberte. Robert hatte ja den Besuch angekündigt und sie konnte deshalb für ihren Sohn diese Stulle extra vom Frühstück aufheben, um ihm damit eine Freude zu bereiten.

      Das war voll gelungen. So etwas Feines hatte Hans bisher noch nicht gegessen. Er kam zu dem Schluss, wenn es so feine Sachen zum Essen gab, konnte es im Krankenhaus nicht so schlimm sein, wie ihm das die Tante Huworeck erzählt hatte.

      Robert erkundigte sich bei einem Arzt nach dem Gesundheitszustand seiner Frau und musste betrübt zur Kenntnis nehmen, dass sie eventuell erst Anfang des neuen Jahres aus dem Krankenhaus entlassen werden könnte. Nach der Operation waren Komplikationen aufgetreten die erst noch abgeklärt werden müssten. So vergingen drei oder vier Stunden, viel zu viel für einen Krankenbesuch, aber viel zu wenig für die Besucher.

      Die Kranke durfte aber nicht überlastet werden und Robert musste an die Heimfahrt denken, denn er wollte ja noch bei Tageslicht zu Hause ankommen. Der Abschied fiel allen schwer, aber Robert versprach seiner Frau, dass sie Weihnachten nicht allein im Krankenhaus ist und er sie zusammen mit Hans wieder besuchen wird.

      Dorchen hatte beim Eintreffen ihres Besuches besorgt und erschrocken zugleich die froststarren kleinen Hände ihres Sohnes in ihre Hände und unter die Bettdecke genommen, um sie zu erwärmen.

      In Erinnerung daran beschloss sie, sofort für Hans ein Paar Handschuhe und auch eine Mütze als Weihnachtsgeschenk zu stricken.

      Die Krankenschwestern halfen bei der Besorgung von Stricknadeln und Wolle. Sie waren beeindruckt von der Willensstärke dieser Frau, die sie Schmerzen vergessen ließen und sogar im Bett liegend strickend für ihren Sohn zu sorgen.

      Dorchen wollte unbedingt Weihnachten zu Hause bei der Familie sein und nicht bis zum nächsten Jahr im Krankenhaus bleiben. Bei jeder Visite sprach sie deswegen die Ärzte an, die schließlich einwilligten, sie am 23. Dezember nach Hause zu entlassen. Sie wollte damit die Familie überraschen und Weihnachtsgeschenke brachte sie auch mit. Die Handschuhe und eine Mütze für Hans und einen Leibwärmer für Robert waren gestrickt. Die Schwestern, die sich mit ihr auf die Überraschung freuten halfen, die Geschenke in fein bedrucktes Weihnachtspapier einzupacken.

       Weihnachten

      Der mit Ungeduld erwartete 23. Dezember kam. Die Entlassungspapiere und eine Überweisung an den weiter behandelnden Hausarzt waren geschrieben. Nach dem Mittagessen stand der Krankenwagen bereit zur Abfahrt. Schnell noch von den Ärzten und Schwestern verabschiedet, die ihr die Daumen drückten und frohe Weihnachten mit ihrer kleinen Familie wünschten. Sie freuten sich mit ihr auf die Überraschung, die sie ihrem Sohn und Ehemann bereiten würde.

      Doch es kam alles ganz anders. Das Wetter war umgeschlagen, es war weihnachtlich weiß geworden. Doch nicht nur die Pracht des Schnees war beeindruckend, auch die Glätte der Straßen. Sie brachte dem Krankenhaus neue Patienten.

      So kam es, dass der Krankenwagen auf eisglatter Straße vor einem Bahnübergang nicht zum Halten kam und mit dem in diesem Augenblick vorbeifahrendem Triebwagen der Deutschen Reichsbahn zusammenstieß. Im Krankenwagen waren neben dem Kraftfahrer drei Patienten, die aus dem Krankenhaus entlassen wurden und sich darauf freuten, Weihnachten mit ihren Familien zu verleben. Der Kraftfahrer verstarb am Unfallort, stand am nächsten Tag in der Zeitung, und die drei Patienten kamen schwer verletzt sofort wieder zurück ins Klettwitzer Krankenhaus.

      Keine freudige, sondern eine böse und traurige Überraschung für die Familien. So auch für Hans und Robert, denen die Schwester Marianne aus dem Krankenhaus noch am gleichen Abend die traurige Nachricht überbrachte. Sie brachte auch die gestrickten Weihnachtsgeschenke von Dorchen mit, die man aus dem zertrümmerten Auto gerettet hatte. Der Schwester, welche die Vorfreude von Dorchen, aber auch ihre Mühe und Fleiß bei der Anfertigung der Weihnachtsgeschenke miterlebt hatte, standen bei der Übergabe Tränen in den Augen. Hans schlief schon und Robert, der so schnell nicht aus der Fassung zu bringen war, schluckte und kämpfte auch mit feuchten Augen.

      Das waren keine frohen Weihnachten. Robert holte am Nachmittag des 24. schnell noch eine kleine Kiefer aus der nahen Schonung und schmückte sie unbeholfen und notdürftig. Darin hatte er keine Übung, denn in den Jahren zuvor hatte das immer seine Frau gemacht. Hans sollte aber doch eine kleine Freude haben.

      Die Handschuhe und die Mütze legte er neben den gekauften Pfefferkuchen und einen kleinen Schokoladenweihnachtsmann unter den Baum.

      Es wurde ein kalter Winter. So oft es an den Wochenenden ging, besuchte Robert seine Frau im Krankenhaus. Hans musste das Haus hüten, für ihn war bei diesem Wetter die Fahrradtour zu kalt. Roberts Arbeitskollegen halfen ihm beim Wechseln der Schichten, damit er Sonnabend frei hatte, um seine Frau besuchen zu können und die Weihnachten eingezogenen Nachbarn passten auf Hans auf.

      Dorchen hatte Glück, dass sie bei dem Unfall im Krankenwagen nicht zerquetscht worden war. Ein Schädelbruch, Rippenbrüche und die Lädierung des Beckens waren aber schwere Verletzungen, die abermals Zeit zur Heilung brauchten.

      Das Beste für Robert und Hans waren die Nachtschichten, die um 22:00 Uhr begannen und früh um 6:00 Uhr beendet waren. Da konnten beide gemeinsam Frühstücken, Mittagbrot und zu Abend essen. Nach dem Frühstück holte Robert bis zum Mittag seinen Nachtschlaf nach und danach war Hausarbeit angesagt. Jetzt erst merkte er, was seine Frau alles geleistet hatte, um den Haushalt in Ordnung zu halten. Sie fehlte den beiden Männern sehr.

       Hans der Geschichtenerzähler

      So vergingen der Januar und Februar. Der ungewöhnlich warme März ließ den Schnee tauen und die ersten Schneeglöckchen ihre Blüten entfalten. Das war die Zeit, in der Hans den ganzen Tag allein im Hause war, denn immer klappte es mit den Nachtschichten seines Vaters auch nicht. Die Nachbarkinder kamen und spielten auf dem Sandhaufen vor dem Küchenfenster. Ihr Lachen und Toben weckte Hans aus seiner Traurigkeit, aber er konnte nicht mit ihnen spielen, denn die Wohnung war verschlossen.

      Er kletterte auf den Küchentisch, der direkt vor dem Fenster stand und öffnete das Fenster. So konnte er sich mit den Kindern unterhalten. Aber nach einer Stunde wurde den Nachbarskindern kalt und sie verschwanden wieder. Wieder war er allein und tief traurig. Am nächsten Tag war es wieder so, diesmal hatte sich Hans aber etwas ausgedacht. Er erzählte Helmut, Gerda, Elli und dem kleinen Manfred – alle vom Nachbargrundstück – eine Geschichte, so wie er sie oft von seiner Mutter gehört hatte.

      Damit sie recht gruslig und spannend wurde, dichtete er noch einiges dazu. Den Kindern gefiel das. Fernsehen gab es noch nicht und ein Rundfunkempfänger war zu teuer, den gab es auch nicht. Für die Kinder war das eine willkommene Abwechslung und sie freuten sich auf den nächsten Tag, an dem Hans eine neue Geschichte erzählen wollte.

      So ging es die ganze Woche weiter und die Phantasie von Hans im Erfinden neuer Geschichten fand vorerst kein Ende. So wurde er frühzeitig zum Erzähler und diese Gabe setzte sich fort bis zur Schulzeit und auch später danach.

      Die Tage wurden wieder kälter und es regnete Tag und Nacht. Die Kinder kamen nicht mehr zum Sandhaufen, um zu spielen und sich Geschichten anzuhören. Schon nach 16:00 Uhr wurde es dunkler und der Regen prasselte an das nun geschlossene Küchenfenster.

      Da klopfte es energisch an die Haustür. Eine fremde, furchteinflößende tiefe


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