Lebe. Deinen. Traum.. Johannes Grassl

Lebe. Deinen. Traum. - Johannes Grassl


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noch einen Nutzen für andere zu schaffen, leben wir unser Potenzial. Wir stellen die Weichen, unsere verfügbare Lebenszeit wirksam auszuschöpfen, und schwingen uns wie der Adler in neue Höhen auf.

II. EIN BILD DER ZUKUNFT MALEN

       Was nicht ewig ist, ist auf ewig veraltet.

      C. S. Lewis

      Menschen, die in der Palliativmedizin arbeiten, berichten immer wieder von den Gedanken der Patienten, die den Tod vor Augen haben. Fragt man diese Menschen, was sie rückblickend auf ihr Leben am meisten bereuen, kommen häufig die folgenden Antworten:

      Ich wünschte, ich hätte …

      1. mehr meine Träume gelebt anstatt die Erwartungen anderer.

      2. nicht so viel gearbeitet.

      3. mehr meine Gefühle zum Ausdruck gebracht.

      4. mehr Zeit in meine wichtigsten Beziehungen investiert.

      5. öfter verrückte Dinge getan.

      Traurig, aber wahr: Friedhöfe sind die reichsten Plätze unseres Landes. So viele unerfüllte Träume, Sehnsüchte und Lebenspläne liegen dort begraben. Zu viele Menschen, die gelebt wurden, statt selbst zu leben. Zu viele Menschen, von denen man dachte, dass sich die Welt ohne ihren dauerhaften, selbstaufopferungsvollen und selbstverständlich ehrenwerten Einsatz nicht weiterdrehen würde – und siehe da, sie dreht sich doch.

      Der Italiener Bruno Bozzetto produzierte einen Zeichentrickfilm, der schon fast fünfzig Jahre alt, aber in seiner Thematik und Eindrücklichkeit aktueller denn je ist. Bezeichnenderweise gab er diesem Werk den Titel „Leben in einer Schachtel“.2 In den sieben Minuten dieses Kurzfilms geht es um das Leben eines durchschnittlichen Otto-Normal-Bürgers von der Wiege bis zur Bahre. Die Geschichte beginnt mit der freudvoll erwarteten Geburt des neuen Erdenbürgers. Ein neues Lebensbuch wird geöffnet und wartet darauf, in vielen verschiedenen Farben und Formen gestaltet zu werden. Schon bald aber nimmt das Leben den für so viele von uns typischen Verlauf. Die Zeit der Kindheit zeigt der Film noch mit vielen farbigen Sequenzen. Diese farbigen Szenen stehen für die Träume und die Sehnsucht nach Freude, Glück und Freiheit im Leben des Jungen. Der farbige Schmetterling, der ihm auf dem Weg von zu Hause in die Schule begegnet, lässt das kleine Männchen zu träumen beginnen von einer Welt voller Farbe, gleich einem blühenden Garten, in dem es viel zu entdecken gilt. Jäh wird er jedoch aus diesen Träumen gerissen, als ihm seine gewissenhafte Mutter, ihn vom Fenster aus beobachtend und dabei auf ihre Armbanduhr deutend, nachruft, sich gefälligst zu beeilen und seinen Pflichten nachzukommen. Die Farben verflüchtigen sich, und der triste Alltag nimmt seinen Lauf.

      Dieses Muster zieht sich durch, von der Schule über die Universität bis zum Berufsalltag, immer seltener unterbrochen von immer kürzer werdenden farbigen Sequenzen, die sich jedes Mal aufgrund der jeweiligen Umstände und zu erfüllenden Pflichten schnell in Luft auflösen. Die farbige Traumphase erlebt noch einmal ein kleines Zwischenhoch, als sich das Männchen verliebt, bald darauf heiratet und mit den besten Absichten, sich jetzt mehr Zeit für seine Träume und Sehnsüchte zu nehmen, eine Familie gründet – nur um wenig später festzustellen, wieder im alten Fahrwasser gelandet zu sein. Der kurz darauf geborene Sprössling erleidet schon bald das gleiche Schicksal, das Lebensmuster wird – unterschiedlich gefüllt, aber mit den gleichen Leitplanken und Treibern – von Generation zu Generation weitergereicht.

      Das Pendel zwischen Arbeitsplatz und Zuhause bewegt sich im Film nun immer schneller, nimmt dem Männchen zunehmend die Luft zum Atmen und Träumen, bis es schließlich, vom Herzinfarkt getroffen, nach einem getriebenen Leben auf dem Friedhof landet. Hier endlich, leider erst, als es zu spät ist, hat das Männchen Zeit für seine Träume – die Szene wandelt sich in Farbe, der Film schließt mit zarten bunten Blumen auf dem frisch errichteten Grab. Berührt verfolgt man die Geschichte und fragt sich, was das wohl mit dem eigenen Leben zu tun haben könnte …

       Was ist mein Lebensziel?

      Spätestens am Ende des Lebens stellt sich die Frage, ob uns das Leben gelungen ist. Um diese einmal zufriedenstellend beantworten zu können, ist es wichtig, schon jetzt vom Ende her zu denken. Wenn wir es wagen, vom Ende her zu denken, verändern wir unseren Standort, verändert sich der Blickwinkel. Wir sind nicht mehr nur von der Fülle der gerade anstehenden Aufgaben und Herausforderungen gefangen, sondern gewinnen eine weitere Perspektive. Dadurch können wir unsere Prioritäten besser überprüfen und neu ordnen. Wie sieht mein Leben aus vom Ende her betrachtet? Was zählt wirklich?

      Anhand der richtigen Fragen können wir ein Lebensziel definieren und dann entsprechend handeln. Wir erhalten einen roten Faden, an dem wir uns orientieren können, und definieren unsere Kernwerte, die unserem Leben Sinn verleihen. Das hilft uns, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren. Die Herausforderung besteht darin, dass es zahlreiche verschiedene Lebensbereiche und jede Menge Aufgaben und Erwartungshaltungen gibt, wir aber nur über ein begrenztes Maß an Zeit und persönlichen Ressourcen verfügen. Wohinein also investiere ich mich, und wie verteile ich meine Ressourcen auf meine Lebensbereiche? Das Ziel muss die Strategie bestimmen.

      Die Lebensstrategie hilft uns zu klären, wohinein wir unsere Ressourcen wie Zeit, Talente und Energie investieren. Das ist nicht kompliziert, sondern viel einfacher, als es vielleicht zunächst den Anschein macht. Es beginnt schlicht und einfach damit, sich selbst einmal die Frage zu stellen: Was ist mir wirklich wichtig? Das ist eine völlig ergebnisoffene Frage. Es gibt keine fertigen Antworten, jede Persönlichkeit und Lebenssituation ist individuell, und wir sollten uns in dieser wichtigen Fragestellung auch nichts von außen überstülpen lassen. Wichtig ist, für sich persönlich die Prioritäten zu klären. Die richtigen Fragen helfen uns dabei, sie öffnen unser Denken und lassen uns ein Ziel erkennen.

      Als Berufseinsteiger könnte man sich beispielsweise fragen: Wie will ich leben? Auf welche Werte baue ich? Welchen Stellenwert soll meine berufliche Karriere einnehmen? Welchen Preis bin ich bereit, dafür zu bezahlen? Wie führe ich ein glückliches Familienleben?

      Als Leistungsträger in beruflicher Verantwortung könnte man sich fragen: Wie beurteile ich meinen ganzheitlichen Lebenserfolg? Wie gelingt mir das Spannungsfeld Beruf und Familie? Wie kann ich mir, in meiner heutigen Situation und innerhalb des bestehenden Kontextes, zusätzlichen Freiraum für neue Träume, Hobbys, meine Familie schaffen?

      In fortgeschrittenem Alter stellt sich die Frage: Was habe ich vor mit dem Rest meines Lebens? Was blieb bisher auf der Strecke – und gibt es Wege, das wiederzubeleben?

      Eine Auseinandersetzung mit und Klärung dieser elementaren Fragen liegt eigentlich auf der Hand, ist im wirklichen Leben aber alles andere als selbstverständlich. Clayton M. Christensen, Unternehmer und Professor an der renommierten Harvard Business School, schreibt: „Ich finde es erschreckend, dass sich so viele der neunhundert Studenten, die die Harvard Business School Jahr für Jahr aus den besten Kandidaten der Welt auswählt, so wenig Gedanken über den Sinn ihres Lebens gemacht haben.“3

      Auch in meiner eigenen Arbeit mit Führungskräften, in Seminaren und Coachings, stelle ich immer wieder fest, dass wir uns zu wenig Gedanken darüber machen, was uns wirklich wichtig ist. Wenn ich gestandenen Unternehmern und Führungskräften die Frage stelle, was das Wichtigste in ihrem Leben sei, haben die allermeisten ziemliche Schwierigkeiten, darauf eine schlüssige Antwort zu geben. Der Grund dafür ist, dass diese Fragen nicht ausreichend reflektiert worden sind. Ich denke, das hat mit einem Dilemma zu tun, das uns den Blick für das große Ganze unseres Lebens vernebelt: Selbstopferung. Im Spannungsfeld zwischen äußeren Aufgaben und Erwartungen einerseits und den eigenen Bedürfnissen und Werten andererseits zieht zu oft Letzteres den Kürzeren. Wenn wir in einen Engpass kommen – zum Beispiel die Wahl, uns ein seit Langem blockiertes freies Wochenende zu gönnen oder diese Zeit doch wieder zur Abarbeitung eines plötzlich aufgetretenen Problems einzusetzen –, machen wir zuerst Abstriche bei uns selbst. Auf dem Altar der Selbstaufopferung nehmen wir nur zu gerne Platz. Nach außen scheint das heldenhaft und verantwortungsvoll, ist aber gefährlich,


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