Nachgelassene Schriften / Feindanalysen. Herbert Marcuse

Nachgelassene Schriften / Feindanalysen - Herbert Marcuse


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die Tendenz zum Totalitarismus allgemein.7

      Die unterschiedlichen Versuche der Institutsmitglieder Franz Neumann, Herbert Marcuse, Max Horkheimer und Theodor W. Adorno, den Nationalsozialismus zu begreifen, fassen diese Gesellschaft dialektisch als eine Gesellschaft des Übergangs, die noch Kennzeichen des alten Liberalismus, aber auch Anzeichen des Neuen trägt. Die konkrete Wahrnehmung der ungeheuren Verbrechen des Nationalsozialismus verdeckt nicht die Beziehung dieser totalitären Gesellschaft zur modernen gesellschaftlichen Normalität. Manches, was Marcuse über den nationalsozialistischen Alltag sagt, klingt nicht nur wie die Vorwegnahme des »Eindimensionalen Menschen«, sondern sogar als Antizipation von Tendenzen, die erst jetzt Wirklichkeit werden. Ist die repressive Aufhebung von Tabus nicht ein Merkmal der Neuen Welt, in der wir als Zeitgenossen leben? Erscheint das Zerrbild einer befreiten Menschheit, in dem Sex und Kunst zu entgifteten stimuli einer konformistischen Ordnung geworden sind, nicht erst am Ende der Wohlstandsgesellschaft? Erst recht erinnert Marcuses Beschreibung einer Welt, in der die Emanzipation der Ökonomie die der Menschen ersetzt, an die Gegenwart der globalisierten Weltwirtschaft.

      Diesen Teil der Geschichte hat als erster Alfons Söllner in »Zur Archäologie der Demokratie in Deutschland«, 2 Bde., Frankfurt a. M. 1982, aufgearbeitet. Inzwischen allgemeiner: Barry Katz, Foreign Intelligence Research and Analysis in the OSS, 1942 – 1945, Cambridge, Mass. 1989, Christof Mauch, Schattenkrieg gegen Hitler. Das Dritte Reich im Visier der amerikanischen Geheimdienste 1941 - 1945, Stuttgart 1999, und Petra Marquardt-Bigman, Amerikanische Geheimdienstanalysen über Deutschland 1942 – 1949, München 1995.

      Vgl. die beiden Standardwerke zur Geschichte des Instituts für Sozialforschung: Martin Jay, Dialektische Phantasie, Frankfurt 1976, und Rolf Wiggershaus, Die Frankfurter Schule, München 1986. Jays noch nahe an den Intentionen Horkheimers orientierte Darstellung gewinnt für den Leser von heute nachträglich im Vergleich zu Wiggershaus’ etwas freihändigen Interpretationen seines an sich großartigen und reichhaltigen Materials an Wert.

      Vgl. Detlev Claussen, Spuren der Befreiung – Herbert Marcuse. Ein Materialienbuch zur Einführung in sein politisches Denken, Darmstadt und Neuwied 1981

      Nach Söllner, a.a. O., Bd. 2, S. 57.

      Max Horkheimer an Salka Viertel, 29. 6. 1940, in: Max Horkheimer, Gesammelte Schriften, Bd. 16, Frankfurt a. M. 1995, S. 726.

      Zu Unrecht ist nach seinem Tod Herbert Marcuse als politisch optimistischer Mensch gegen den pessimistischen Theoretiker Adorno ausgespielt worden. Noch in seiner letzten öffentlichen Rede hat er im Mai 1979 in Frankfurt am Main »jede veröffentlichte Erinnerung, die nicht die Erinnerung an Auschwitz festhält« als »Flucht, Ausflucht« bezeichnet.

      In Erinnerung an seinen 1954 bei einem Autounfall umgekommenen Freund Franz Neumann nennt Marcuse 1956 die »Erfahrung der faschistischen und nachfaschistischen Ära« eine »Wunde, die niemals heilte« (in: Franz Neumann, Demokratischer und Autoritärer Staat. Studien zur politischen Theorie, Frankfurt a. M. 1967, S. 7).

      Max Horkheimer, Gesammelte Schriften, Bd. 17, S. 213.

      Ebda., Bd. 5, S. 288.

      Ebda., Bd. 17, S. 721.

      Max Horkheimer an Herbert Marcuse, 29. 12. 1948, in: Gesammelte Schriften, Bd. 17, Frankfurt am Main 1996, S. 1050.


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