Zügellos. Dominique Manotti
blassblau, und um ihn herum alle Schattierungen von Grau. Grüngrau die Seine, gelbgrau die Ufersteine und Brückenbögen, weißgrau die von einer finsterkompakten Baumgruppe gestützte Kathedrale, unübersehbar, wuchtig. Daquin atmet zwei, drei Mal tief durch und steigt hoch in sein Büro, wo seine Inspektoren auf ihn warten.
Lavorel putzt mechanisch seine Brille und blinzelt. Romero hockt mit einer Pobacke steif auf der Stuhlkante. Die drei anderen stehen und versuchen mit dem Hintergrund zu verschmelzen. Daquin mustert sie einen Moment, setzt sich auf seinen Schreibtischstuhl und macht sich aufs Schlimmste gefasst.
»Na los, ich höre.«
Romero beginnt. »Wir haben den Lieferanten identifiziert. Es handelt sich um einen gewissen Dimitri Rouma, Hufschmied, ein Zigeuner, wohnhaft in Vallangoujard im Département Val-d’Oise.«
Überrascht. »Glückwunsch.«
»Lavorel und ich waren Samstagabend auf einer äußerst schneereichen Party bei einem Jockey namens Massillon in Chantilly. Mehrere Kunden von Senanche, andere, die wir nicht kannten, deren Autokennzeichen wir notiert haben, und ein gewisser Nicolas Berger, der an alle Welt Koks verteilt hat.«
»Auch das hervorragend. Weiter?«
Lavorel übernimmt: »Nach der Party bin ich Berger bis zu einem Reitturnier gefolgt, an dem er teilnahm. Und dort wurde er ermordet. Sein Wagen wurde zwanzig Meter von mir entfernt mit einer Autobombe in die Luft gesprengt. Er war sofort tot, ebenso einer seiner Freunde, der neben ihm saß, ein gewisser Moulin. Und gesehen habe ich nichts, ich habe geschlafen.«
»Da haben wir’s.« Mit gespielter Naivität: »Waren Sie allein? Wo waren Sie, Romero?«
So würdevoll er kann: »Ich habe mich auf der Party verletzt, als ich mich auf einen Teller gesetzt habe, da bin ich nach Hause gefahren.«
»Machen Sie sich keinen Kopf, Romero. Jeder setzt sich mal auf einen Teller, das passiert viel häufiger, als man denkt. Berry, Sie sind dran mit Kaffeemachen, wir probieren den hier«, er reicht ihm das Päckchen, »geben Sie sich Mühe, das ist eine Ehre und ein Aufstieg. Und denken Sie dran, für Le Dem dünn. Und danach an die Arbeit.« Daquin lächelt. »Jetzt geht’s endlich zur Sache.«
Hörbares Aufatmen.
Als es weitergeht, alle sitzen, Notizbuch in der Hand, schildert Lavorel den Schauplatz der Explosion, zwei Tote im Auto, das Eintreffen der Gendarmerie, die die Ermittlungen aufgenommen hat, Identifizierung der Opfer, Indizien, Begutachtung durch Sachverständige, Zeugenaussagen.
»Ich habe mich dem Capitaine vorgestellt und ihm erklärt, warum ich dort war. Er erwartet, dass Sie sich mit ihm in Verbindung setzen.«
»Haben Sie ihm von der Party bei Massillon erzählt?«
»Nein, ich dachte, das behalten wir lieber für uns.«
»Das haben Sie gut gemacht.«
Daquin malt Kringel auf ein weißes Blatt, während er nachdenkt. »Sie haben zwei Stunden, um mir möglichst wahrheitsgetreue und detaillierte Berichte über das Ausfindigmachen von Rouma, Massillons Party und Senanches Kundenkreis zu schreiben. Sie, Le Dem, kommen solange mit mir, ich will Massillon einen Besuch abstatten, bevor die Gendarmen es tun. Wenn ich zurück bin, frisiere ich Ihre Berichte für den Direktor und leite sie weiter, dann nehme ich Kontakt zur Gendarmerie und zum Staatsanwalt auf. Ich bin auf die Möglichkeit aus, im Mordfall Berger mit der Gendarmerie zusammenzuarbeiten und ihnen als Gegenleistung Senanches Kundenkreis anzudrehen. Die werden dankbar sein, und wir wären frei für Wichtigeres. Natürlich nur, wenn wir diskret vorgehen, denn in diesem Haus verzeiht man vieles, nicht aber eine Zusammenarbeit mit den Gendarmen.
Danach werden Amelot und Berry ihre Arbeit fortsetzen und dadurch ergänzen, dass sie sämtliche Listen, die neuen Autokennzeichen und die abgehörten Telefonate miteinander abgleichen. Lavorel und Le Dem, Sie übernehmen Rouma. Statten Sie zuerst den Gendarmen von Vallangoujard einen Besuch ab. Ich werde sie inzwischen informieren. Ich bin sicher, es gibt bereits eine Akte über ihn. Ein Zigeuner-Hufschmied bleibt in einem verschlafenen Nest im Val-d’Oise nicht unbemerkt. Und Romero und ich übernehmen den Mord an Nicolas Berger.«
Massillons Villa wirkt verlassen, die Haustür ist geschlossen, die Fenster sind geöffnet, aber im Garten, dessen Tor noch offen steht, parkt ein Porsche. Daquin klettert anscheinend mühelos einen schmiedeeisernen Balkon hoch und steigt über die Brüstung. Le Dem zögert eine Sekunde, folgt ihm dann.
Das Hochparterre ist menschenleer, das Chaos unbeschreiblich. Daquin verharrt einen Moment, schaut, horcht. Offenbar wurde hier seit Partyende gestern Morgen nichts angerührt. Und das riecht nach Katastrophe. Daquin gibt Le Dem ein Zeichen und eilt zur Treppe in den ersten Stock. Dort stehen die Türen offen. Alle Zimmer leer bis auf eins. An den Wänden hellblaue Textiltapete, angrenzend ein rosaweißes Bad, praktisch keine Möbel, ein breites Bett, zerwühlte Laken aus marmorierter Seide, und quer darauf ein auf dem Bauch schlafender nackter junger Mann, der muskulöse Körper wie gemeißelt und von jugendlicher Zartheit. Daquin verharrt kurz, unbehaglich. Auf dem geknüpften Bettvorleger schläft ein sehr junges Mädchen, auch sie nackt. Die Hand des Jungen ruht auf ihrem Po, ihre Handgelenke sind mit einer goldenen Panzerkette an den Bettpfosten gebunden, wobei ein elegantes Vorhängeschloss mit verschlungenen Initialen als Schließe dient. Ein Schmuckstück, das sie bei anderer Gelegenheit um den Hals tragen dürfte. Ein paar mit dunklen Punkten durchsetzte rote Striemen auf unterem Rücken, Gesäß, Oberschenkeln. Und am Kopfende des Bettes, neben einer leeren Magnumflasche Champagner, eine Jockeygerte, das ist schon eine gefährliche Waffe. Dem Anblick der Wundmale zufolge hat Massillon sie weniger schwungvoll eingesetzt als beim Zieleinlauf des Prix de l’Arc de Triomphe und sich an die Grenzen des guten Geschmacks gehalten.
Daquin verkneift sich das Lachen, Neigungen muss man respektieren, packt den Jungen unter den Armen, hebt ihn hoch, trägt ihn ins Bad und steckt seinen Kopf unter die Dusche. Das Mädchen ist aufgewacht, sie kauert mit aufgerissenen Augen am Bettpfosten und versucht sich mit einem Laken zu bedecken, gar nicht so einfach ohne Hände. Daquin trägt den klatschnassen Jungen mit ausgestreckten Armen zurück ins Zimmer und setzt ihn aufs Bett.
»Polizei. Ich muss dir ein paar Fragen stellen. Bist du wach genug, dass du begreifst, was ich sage?«
Er nickt zähneklappernd. Der nasse Fleck auf der Seide um ihn herum wird langsam größer.
»Dein Freund Berger wurde ermordet, nachdem er gestern hier weggefahren ist. Durch eine Autobombe. Er war sofort tot.«
Massillon ist geschockt, starrt ihn mit offenem Mund an. Daquin wendet sich an das Mädchen.
»Ist Ihr Gebieter immer so putzmunter, Mademoiselle?« Sie gibt einen kläglichen Laut von sich. »Le Dem, gehen Sie runter, treiben Sie zwei Gläser und irgendwas Alkoholisches auf, möglichst hochprozentig, anders kriegen wir sie wohl nicht wach.«
Kurze Zeit später ist endlich ein Gespräch möglich. Während Daquin sich auf der Etage umsieht, erklärt Le Dem dem allmählich trocknenden Massillon ruhig die Lage.
»Wenn Sie wegen Kokainhandel festgenommen werden und man Ihnen, was wahrscheinlich ist, mehr als drei Monate Gefängnis aufbrummt, verlieren Sie Ihre Jockeylizenz, und dann ist es vorbei mit Partys, Mädchen, Porsche. Dann heißt es zurück in den Stall. Das wird nicht leicht.«
Keiner denkt mehr an das Mädchen, das immer noch an den Bettpfosten gekettet ist.
Daquin kehrt von seiner Erkundungstour zurück. Nichts Interessantes entdeckt.
»Was wollen Sie?«, fragt Massillon.
»Den Namen deines Lieferanten.«
»Senanche. Er arbeitet bei Meirens.«
Der Jockey ist gefügig. Le Dem hatte es ihm gesagt, sie sind es gewohnt zu gehorchen. Den Besitzern, den Trainern, warum nicht den Bullen?
»Und der von Berger?«
»Nicolas hat sich auch ziemlich oft an ihn gewandt.«
»Gestern kam Berger mit einer hübschen Menge Kokain zu dir.« In Massillons Augen blitzt Panik