Zügellos. Dominique Manotti
Institution, die ohne Gewalt auskommt, und das ist genau mein Ding. Drogenfahndung heißt Krieg. Und Krieg führen könnte ich nicht.«
Ein Marsmensch in einer Sozialbausiedlung. Und an den muss ich geraten.
»Würde diese Versetzung Ihnen Probleme machen, was beispielsweise die Organisation Ihres Familienlebens betrifft?«
»Nein, das ist es nicht, ich bin alleinstehend.« Ohne erkennbare Gefühlsregung.
Daquin betrachtet die Tasse, die er zwischen den Fingern dreht. »Ich werde Ihnen nicht erzählen, wir seien eine gewaltfreie Truppe. Und ich verstehe gut, dass Sie eine andere Auffassung von staatlichen Institutionen haben als wir. Doch wenn Sie Ja sagen, erwirke ich am Ende dieser Ermittlung Ihre Versetzung in die Bretagne, in die Gegend, wo Sie herstammen.« Blick aus dem Fenster. An der Boxentür horcht der Braune mit gehobenem Kopf und gespitzten Ohren auf das Brausen der Autobahn. »Und mache mich dafür stark, dass Sie das Pferd mitnehmen können, mit dem Sie derzeit arbeiten.«
Wimpernzucken. Treffer.
»Das könnten Sie?«
»Großes Kommissarsehrenwort.«
Lächeln. »Ich sag Ja.«
Montag, 11. September 1989
»Meine Herren, ich darf Ihnen unseren neuen Kollegen vorstellen. Er ist ein Berittener, wie man wohl sagt. Er wird unser Experte sein. Er kommt von einer Einsatzstaffel der Schutzpolizei in La Courneuve«, Blick zu Lavorel und Romero, wie erwartet ist er ihnen gleich sympathisch, »und wird in eurem Team mitarbeiten.« Dann wendet er sich an Le Dem. »Zwei Dinge: In meinem Büro wird nicht geraucht. Und niemand trägt seine Dienstwaffe. Sie können sie ins Büro nebenan oder in den Schrank legen und beim Gehen wieder an sich nehmen. Und jetzt Kaffee für alle und an die Arbeit.«
Romero geht zur Espressomaschine. »Wenn du dich beim Chef anbiedern willst, solltest du deinen Kaffee stark und schwarz und ohne Zucker mögen.«
Le Dem lächelt. »Ich mag ihn dünn und sehr süß. Sei’s drum.«
Alle setzen sich, und Romero erstattet Bericht darüber, was das Team bislang unternommen hat. Daquin macht sich an seinem Schreibtisch Notizen.
»Wir haben Meirens problemlos gefunden und Senanche identifiziert und auch einiges über den Verteilerring in Erfahrung gebracht. Morgens verkauft Senanche Drogen an Jugendliche, die die Pferde zum Training reiten, vermutlich Freunde von Olivier Deluc. Den haben wir dort nicht mehr gesehen. Vorgehensweise: Sie kommen mit dem Wagen, parken vor den Stallungen und geben Senanche den Schlüssel. Während sie mit den Pferden zu tun haben, legt Senanche das Kokain ins Handschuhfach und nimmt sich das Geld. Das Ganze ist gut eingespielt. Die Wagen sind auf die Eltern zugelassen. Als da wären Jambet und Wilson, beide hohe Führungskräfte, der eine bei Parillaud, der andere bei EDF, und Duran, venezolanischer Diplomat. Wir haben auch die Liste der Besitzer für Sie aufgetrieben, die ihre Pferde bei Meirens im Training haben, sie liegt in der Akte.
Zweiter Verteilerring: das Café in der Nähe, wo Senanche mehrmals täglich hingeht und von wo aus er sämtliche Telefonate erledigt. Wir lassen den Anschluss seit drei Tagen abhören. Ich habe Ihnen die interessantesten Gespräche auf Kassette überspielt, ist auch in der Akte. Sie werden sehen, dass Senanche viele Anrufe erhält und tätigt, bei denen es eindeutig um Verkäufe geht, die Kunden sind alles Männer, nur eine Frauenstimme. Die gehandelte Drogenmenge scheint größer zu sein als die am Morgen. Lieferorte sind offenbar die Rennbahnen. Senanche hat den Rennstall Meirens aber nie verlassen. Was den Lieferanten angeht …«
»Nicht so schnell. Bleiben wir noch kurz bei den Konsumenten. Die scheinen zunächst mal stark aufs Rennbahnmilieu konzentriert?«
»Ja.«
»Amelot und Berry, Sie graben da ein bisschen weiter. Leichter Job. Wenn Sie die Abhörbänder mit den Rennprogrammen abgleichen, sollte eine Liste der mutmaßlichen Konsumenten dabei herauskommen.«
Lavorel zieht ein Gesicht. »Warum beißen Sie sich an den Jockeys oder am Stallpersonal fest? Das ist nicht Ihr Stil.«
»Tun Sie nicht naiver, als Sie sind. Die reichen Sprösslinge behalten wir für uns, man weiß nie, wofür es gut ist. Sollten wir die Hilfe anderer Dienste benötigen, um tiefer in die Drogenringe vorzudringen, müssen wir den Kollegen im Gegenzug etwas anbieten, und dann liefern wir ihnen die Jockeys. Ich will außerdem nähere Informationen über Jambet, Wilson, Duran und wenn möglich über die Pferdebesitzer. Und Amelot und Berry prüfen für alle Fälle auch, ob es Berührungspunkte mit der Akte Paola Jimenez gibt. Können wir dann zum Lieferanten übergehen? … Schießen Sie los, Romero.«
»Viel haben wir nicht. Für einen Gelegenheitsdealer verkauft Senanche zu viel. Er wohnt auf dem Gelände und verlässt den Rennstall nur, um ins Café zu gehen. Im Café haben wir ihn aus nächster Nähe überwacht, es ist praktisch ausgeschlossen, dass er sich dort eindeckt. Was uns zurück zum Rennstall bringt. Die Drogen werden offenbar dorthin geliefert.«
Daquin wendet sich an Le Dem. »Wer kann regelmäßig einen Reitstall betreten, ohne Verdacht zu erregen?«
»Abgesehen von den Stallburschen, dem Stallmeister und dem Trainer morgens die Jockeys, ein paar Amateurreiter, die Besitzer, Fachjournalisten. Im Laufe des Tages die Leute, die Pferdefutter und Stroh liefern und den Stallmist abholen. Die Veterinäre, die Hufschmiede. Und die Fahrer der Transporter, die die Pferde zu den Rennplätzen bringen. Bestimmt habe ich welche vergessen.«
»Das sind eine Menge Leute.« Einen Moment nachdenken. Daquin geht zur Espressomaschine und schaltet sie ein. »Ich mache mich auf zum Chef und sage ihm, dass wir einen Ansatzpunkt haben und weitersuchen. Um gerichtliche Schritte einzuleiten, ist es noch viel zu früh. Für Sie, Romero, Lavorel und Le Dem, ändert das nichts, Sie machen mir den Lieferanten ausfindig. Wer will Kaffee?«
Freitag, 15. September 1989
Aus ihrem Versteck am Waldrand beobachten Le Dem und Romero den Hufschmied, der eben in seinem weißen Kastenwagen vorgefahren ist. Le Dem folgt ihm mit dem Fernglas, Romero macht sich auf einem kleinen Block Notizen.
14 Uhr. Der Kastenwagen hält neben der Schmiede in der rechten Ecke des Hofs. Der Hufschmied steigt aus, sein Gehilfe begleitet ihn. Etwa fünfunddreißig, Unterhemd und Arbeitshose, imposante Erscheinung, um die eins achtzig, sehr kräftige Schultern und Arme und ein kompakter Bauch. Braungebrannt. Schwarzes Haar. Schnauzer. Der Gehilfe ist vierzehn oder fünfzehn, ein junger Bursche. Der Stallmeister begrüßt den Hufschmied. Sie unterhalten sich, kein Körperkontakt, der Stallmeister geht wieder. Der Hufschmied öffnet die Hecktür des Kastenwagens, holt seine Ausrüstung heraus, Amboss, Schmiedeofen, Werkzeugtasche. Legt seine Lederschürze an. Die Hecktür bleibt offen, der Hufeisenvorrat ist sichtbar. Keine besonderen Vorkommnisse. Der Gehilfe verschwindet mit ein paar Halftern. Kehrt mit zwei Pferden zurück, bindet sie in der Schmiede an.
14 Uhr 15. Die beiden Männer sind bei der Arbeit. Le Dem schaut unverwandt durchs Fernglas und beschreibt jeden einzelnen Arbeitschritt, Romero hört mit halbem Ohr zu und macht sich Notizen. Die Arbeit geht noch zwei Stunden weiter, ohne dass sich jemand der Schmiede nähert.
Le Dem kommentiert: »Echte Profis, schnell, effizient, guter Draht zu den Pferden. Das können unmöglich die Lieferanten sein.«
Romero muss schmunzeln.
16 Uhr 15. Senanche auf dem Weg zur Schmiede.
»Sieh genau hin.«
»Er bringt ein paar Flaschen Bier. Stellt sie auf den Amboss. Und verschwindet wieder. Keinerlei Kontakt. Der Schmied und sein Gehilfe machen Pause, trinken das Bier. Ein Stallbursche kommt dazu. Spricht mit dem Schmied. Geht wieder. Kommt mit einem Pferd zurück. Der Schmied sieht sich das Pferd im Schritt an, dann im Trab, untersucht seine Füße. Schmied und Stallbursche reden miteinander. Der Stallbursche bringt das Pferd wieder weg.« Le Dem dreht sich zu Romero um. »Das ist normal, der Stallbursche fragt den Schmied um Rat, das beweist, dass man ihn schätzt.«
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