Zügellos. Dominique Manotti

Zügellos - Dominique  Manotti


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Hand drückt. Gratulation. Auf einem Wagen von imposanten Ausmaßen eine etwa dreißig Meter lange Dampflokomotive, ringsherum trommeln Les Tambours du Bronx, entfesselt, ohrenbetäubend, ohne dass jemand ihnen Beachtung schenkt.

      Agathe tanzt mit Renta. Viel südamerikanische Rhythmen und West-Coast-Klänge. Er tanzt gut und macht ihr anstandshalber ein bisschen den Hof. Seine Krawatte trägt den Schriftzug Yves Saint-Laurent. Also doch mehr Langweiler als Ganove. Eine flinke Drehung, ein Lächeln und weg ist sie, Abstecher zu den Toiletten, eine kleine Line, dann zurück zu den Fenstern und dem Spektakel.

      Sie trifft auf Deluc, der sich, Zigarette im Mundwinkel – eine dieser stinkenden kleinen indischen Zigaretten, die er seit seinem Beirut-Aufenthalt gewohnheitsmäßig raucht –, mit einem Abgeordneten der Opposition angeregt über den Höhenflug der Pariser Börse und der Immobilienpreise unterhält. Der Abgeordnete küsst feierlich Agathes Hand und beginnt ihr die jüngsten Ereignisse bei der PAMA zu erklären. Er hat ganz offenkundig einen in der Krone. Deluc nutzt die Gelegenheit und verdrückt sich, der Hund.

      Vor einem der Fernseher sehen Jubelin, Nicolas und Ballestrino zu, wie Jessye Norman auf der Place de la Concorde die Marseillaise anstimmt. Nicolas wendet sich Ballestrino zu.

      »Ich habe gehört, Sie besitzen in der Nähe von Mailand ein Gestüt.«

      Hocherfreut: »Das stimmt. Einige Siegerpferde bei Flachrennen kommen aus meiner Zucht. Zwei meiner Fohlen sind letzten Sonntag in Longchamp gelaufen.«

      Jubelin hakt ein: »Wie sich das trifft. Pferde sind meine Leidenschaft. Ich habe mehrere im Training.«

      »Bei wem?«

      »Meirens, in Chantilly.«

      »Kenne ich. Wenn Sie gelegentlich in Mailand sind, wäre es mir eine Freude, Sie durch meinen Zuchtbetrieb zu führen.«

      Nachdem Agathe sich nicht ohne Mühe des beschwipsten Abgeordneten entledigt hat, erspäht sie Nicolas und Jubelin, die etwas abseits vom Trubel in einer Ecke hitzig diskutieren. Als sie sich nähert, verstummt das Gespräch. Nervös sagt Jubelin zu Nicolas: »Wir reden in meinem Büro weiter.«

      Nicolas nimmt Agathes Arm. »Gehen wir hoch in den zweiten und sehen uns das Ende der Parade an.«

      Das ist jetzt der Clou des Spektakels. Frauen stehen auf hoch aufragenden Sockeln, die mechanisch vorrücken und sich im Walzertakt drehen. Sie thronen in sehr großer Höhe über dem Boden, tragen Hüte mit überdimensionierten Krempen, Krinolinen in Form meterbreiter, bis zur Erde reichender Blütenkelche und halten ein Kleinkind im Arm. Agathe betrachtet diese priesterlichen Riesinnen, die sie als bedrohlich empfindet. Unerklärliches Unbehagen.

      Der Festzug nähert sich dem Ende. Perrot geht von Gruppe zu Gruppe. Für Männer ohne Begleitung ist in seinem Restaurant, gleich um die Ecke in der Rue Balzac, ein Abschluss des Abends in galanter Gesellschaft geplant. Nicolas sagt zu, Jubelin ist klug und lehnt die Einladung ab.

      Kurz vor Mitternacht, schmale Mondsichel, Wolken, viel Wind, in den Ställen ist es dunkel, fast hundert Boxen im Karree um einen großen Hof zwischen Ebene und Wald. Die Bäume ächzen bei jeder Bö, die Gebäude knarren, die Pferde regen sich, hin und wieder ein Hufschlag. Auf einer der Karreeseiten haben die Stallburschen direkt über den Boxen ihre Zimmer. Zwei Fenster sind noch erleuchtet.

      Den Zimmern gegenüber in einem dunklen Winkel eine leise Explosion, kaum mehr als ein Knallfrosch, ein Funkenregen, dann eine leuchtend gelbe Flamme, ein kleines Feuer züngelt am Eingang einer Box, breitet sich aus, klettert knisternd die Tür empor. Die Pferde werden unruhig. Bei den Stallburschen gehen ein paar Lichter an. Angstvolles Wiehern, Hufgetrampel, das Stroh in der Box steht in Flammen. Die Männer sind an den Fenstern, der Wind bläst in kurzen Böen.

      Bis sie unten sind, hat das Feuer aufs Dach übergegriffen und frisst sich dröhnend von Box zu Box. Im Hof stürzen die halbnackten Männer zu den Boxentüren, um die Pferde zu befreien, die wahnsinnig vor Angst in den Wald galoppieren. Ein Stallbursche wird umgerissen und niedergetrampelt. Ein Pferd mit brennender Mähne rast panisch wiehernd gegen eine Wand und bricht mit zerschmettertem Schädel zusammen. In einem orangefarbenen Feuerwerk stürzt über dem Großteil des Stalls das Dach ein. Der Wind treibt mit dem Rauch auch den unerträglichen Gestank von verbranntem Fleisch und Fell vor sich her.

      Durchnässt, verrußt, verzweifelt, halten die Männer jeden verfügbaren Wasserschlauch umklammert und besprengen das, was noch steht, damit das Feuer sich nicht weiter ausbreitet. Und die ganze Zeit der Wind.

      Eine zweite Boxenreihe gerät gerade in Brand, als die Sirene der Feuerwehr ertönt. Deren Leute müssen zwei Pferdekadaver vom Zufahrtsweg räumen, bevor sie auf den Hof fahren und mit Löschschläuchen gegen das Feuer vorgehen können. Nach einstündigem Kampf sind die Flammen gelöscht, die Hälfte der Stallungen völlig zerstört, bloß noch ein Haufen verkohltes Holz und Asche, aus dem schwärzlicher Sud rinnt und vereinzelte Rauchfahnen aufsteigen. Ein Junge mit schwarz verschmiertem nacktem Oberkörper hockt niedergeschmettert neben einem verbrannten Pferdekadaver, dessen Kopf er schluchzend umschlungen hält.

Montag, 21. August 1989

      OCRTIS – Office central de répression du trafic illicite des stupéfiants, das im Rahmen der Drogenbekämpfung kürzlich von der Regierung geschaffene Amt für die Verfolgung von illegalem Betäubungsmittelhandel, gibt die Beschlagnahme von 53 Kilogramm Kokain bekannt. Das Rauschgift befand sich in einem Renault-Lieferwagen, der in einem Lagerhaus in Aubervilliers sichergestellt wurde. Verkäufer und Adressaten der Lieferung konnten laut OCRTIS noch nicht ausfindig gemacht werden.

      Der Vorhang fällt, Ende erster Akt von Bergs Wozzeck. Im Saal der Opéra-Garnier gehen die Lichter an. Mit dem starken Drang, zu gähnen und sich zu strecken, erhebt sich Daquin von seinem Platz. Blick zu seinem Liebhaber, der sich ein paar Meter vor ihm den Gang zwischen den Sitzreihen entlangschiebt. Klar wird es ihm nicht gefallen … Und einen guten Grund habe ich auch nicht … Rudi, immer so höflich und reserviert. Deutscher, sogar Preuße, groß, breite Schultern, schmale Hüften, blond, romantische Stirnlocke, kantiger Kiefer und blaue Augen. Aufsehenerregend. Fast immer drehen sich Frauen nach ihm um. Eine Verkennung, die von fern zu beobachten recht amüsant ist.

      Im hell erleuchteten Foyer lärmendes Gedränge, es ist heiß. Daquin bleibt an einem Fenster stehen und sieht hinaus auf die Place de l’Opéra, Regenglanz, Lichtersprenkel, Fußgänger- und Fahrzeugströme, verlockend. Rudi kehrt mit zwei Gläsern Champagner von der Bar zurück. Und greift das Gespräch genau da auf, wo er es bei Vorstellungsbeginn hat ruhen lassen.

      »Tausende Menschen verlassen derzeit über Polen und die Tschechoslowakei Ostdeutschland, und immer noch kein Wort darüber in euren Zeitungen. Unfassbar. Meine Eltern haben mir geschrieben, dass eine chirurgische Abteilung des größten Ostberliner Krankenhauses geschlossen wurde, weil sämtliche Krankenschwestern das Land verlassen haben. Hörst du mir zu, Théo?«

      »Nicht wirklich.« Er lächelt. »Ich ziehe gerade eine Bilanz des Abends.« Leert sein Glas. »Krawattetragen ist mir zuwider, das Bühnenbild finde ich zum Heulen, die Inszenierung eitel, ich mag diese Musik nicht, der Champagner ist lauwarm. Ich rufe ein Taxi und nehm dich mit zu mir, ja?«

      Das Telefon klingelt hartnäckig. Daquin braucht einen Moment, um wach zu werden. Ein Blick auf seine Armbanduhr, zwei Uhr nachts. Er schiebt die Zudecke weg. In dem riesigen Bett schläft Rudi auf dem Bauch, Gesicht zur Wand gedreht, die Arme über dem Kopf. Blond auf dem dunkelgrünen Laken. Wie eine Werbung für ein Männerparfüm. Das Telefon klingelt immer noch. Er nimmt ab.

      »Commissaire Daquin?«

      »Ja.«

      »Commissaire Janneret, 16. Arrondissement. Ich habe eben mit dem Bereitschaftsdienst


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