Das schwarze Korps. Dominique Manotti

Das schwarze Korps - Dominique  Manotti


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Bauer, nicht lange halten wird – und Bussière gesetzt. Interessant, ihm zuzusehen, Spiel und Mensch sind eins. Bauer tritt näher und stellt sich hinter ihn. Bourseul gesellt sich zu ihm, sehr aufrechte Erscheinung, schmal, elegant in seinem dunklen Anzug, Pomade im Haar, gepflegter kleiner Oberlippenbart, Lächeln auf den Lippen. In vier Jahren Besatzung ist er der vermögendste Textilfabrikant Nordfrankreichs geworden. Über die gemeinsam getätigten Geschäfte hinaus – Aufträge des deutschen Militärs, Übernahme jüdischer Unternehmen – sind die beiden Männer Freunde, haben viele gemeinsame Abende in den Pariser Luxusbordellen verbracht, und Bourseul informiert Bauer zuverlässig über die tatsächliche Lage der französischen Unternehmen. Bauer zieht ihn beiseite.

      »Ich habe einen amerikanischen Nachrichtenoffizier festgenommen.« Er hält einen Moment inne. Bourseul zeigt keine Reaktion. »Er sagt, einige deiner Freunde hätten bereits Kontakt zum amerikanischen Generalstab aufgenommen.«

      »Derzeit wird viel geredet.«

      Bauer versteht: Du bist nicht Herr der Lage.

      Bauer versteht: Ich schulde dir nichts. Und bebt vor Zorn.

      »Erinnere deine Freunde daran, dass sie an zwei Wahrheiten nicht vorbeikommen, Maurice: In dieser Stadt liegt die Macht über Leben und Tod, vor allem den Tod, immer noch bei mir. Und sollten die Amerikaner siegen, werden nicht sie das Sagen haben. Sollten wir abziehen, werden die Kommunisten die Macht übernehmen.«

      Bourseul registriert die verzerrten Mundwinkel, den beinahe irren Blick. Schließt für einen Moment die Augen. »Wollen wir uns morgen treffen? Mir reicht’s für heute Abend. Wir hatten alle einen vollen Tag.«

      Im hinteren Salon tanzen einige Paare zur Klaviermusik. Die Sperrstunde naht. Die Salons leeren sich allmählich, als Galey, der Filmbeauftragte der Regierung, aufgeregt und voller Mitteilungsdrang hereinschneit. Er eilt auf Dora zu, beide sind schnell umringt.

      »Ich komme gerade aus Vichy …« Ein Raunen. »Wir sollten dem Marschall Carmen vorführen. Heute in aller Frühe sind wir mit dem Wagen aufgebrochen. Um zehn machen wir Halt bei einem Landgasthof und hören dort von der Landung der Engländer und Amerikaner. Ich wollte nach Paris zurück, in Vichy wird jetzt alles in Aufruhr sein, die haben jetzt anderes im Kopf als eine Filmvorführung, bringt doch nichts, die ganze Reise umsonst zu machen. Aber Christian-Jaque besteht darauf, wir kommen also nach Vichy, und dort ist alles vollkommen ruhig. Die Leute scheinen der Ansicht zu sein, dass die Landung vermutlich eine Falschmeldung ist, oder aber eine Nachricht ohne Belang. Oder jedenfalls nicht so sehr von Belang wie die Vorpremiere von Carmen. Die Vorführung fand im Beisein des Marschalls statt …«

      »Hat es ihm gefallen?«

      »Er hat die ganze Zeit geschlafen, und es hat ihm sehr gefallen.« Gelächter. »Ich wollte, dass Sie es als Erste erfahren.«

      Der Kreis löst sich auf. Greven und Clouzot steigen, begleitet von einem Dutzend Mädchen, zur unterhalb der Salons im Gartengeschoss errichteten Orangerie hinab. Inmitten der Bäumchen und Blumen stehen, durch Paravents voneinander abgetrennt oder auch nicht, Betten für jene bereit, die zur Sperrstunde nicht den Heimweg antreten möchten. Dieser nächtliche Ausklang, bei dem potenzielle Filmsternchen für Stimmung sorgen, steht für gewöhnlich hoch im Kurs. Heute Abend ist die Zahl der Gäste rückläufig. Alle gehen heim, um den englischen Sender zu hören, sagt Jocelyne Gaël, eine Schauspielerin, die sich auf zahlreiche Liebschaften mit Gestapomännern eingelassen hat, halblaut und mit verstecktem Lächeln.

      Deslauriers legt Geneviève Fath, die zusammen mit ihrem Mann gerade aufbrechen will, die Hand auf die Schulter. »Lass ihn allein nach Hause gehen. Treib ein weiteres Mädchen für mich auf und kommt dann beide zu mir runter.«

      Galey nimmt Dora beiseite. »Ich brauche Sie, Dora. Ich habe große Mühe, den Film in Paris auf die Leinwand zu bringen. Er wurde von den Italienern finanziert, die bei der deutschen Zensur nicht mehr gut angeschrieben sind. Wenn Sie mir Ihre Anwesenheit bei der Premiere zusagen könnten«, Blick zu Bauer, »Sie verstehen, würde mir das helfen, meine Genehmigung zu bekommen …«

      »Aber sicher. Sie können ganz auf mich zählen.«

3

      Die Alliierten haben zwei künstliche Häfen errichtet, eine Pipeline durch den Ärmelkanal gelegt, die Stadt Bayeux genommen und einen 50 Kilometer langen Landstreifen erobert, der 10 bis 15 Kilometer weit ins Landesinnere reicht. Die deutschen Truppen leisten überall sehr starken Widerstand, insbesondere in der Gegend um Caen. Die für den ersten Landungstag gesteckten Ziele sind immer noch nicht erreicht.

      Von den für den Tag der Landung geplanten 1050 Sabotageakten (Telefonleitungen, Eisenbahnschienen, Brücken usw.) hat der innerfranzösische Widerstand 950 ausgeführt. Sabotageakte und Bombardierungen behindern das Vorankommen deutscher Truppen- und Munitionstransporte erheblich. Die 11. Panzerdivision, die innerhalb von acht Tagen von der Ostfront nach Straßburg verlegt wurde, wird 23 Tage brauchen, um die Normandiefront zu erreichen. Die SS-Panzerdivision »Das Reich« benötigt 17 Tage, um aus dem Raum Toulouse an die Normandiefront zu gelangen.

      Loiseau sitzt in kurzärmeligem Hemd und Drillichhose zwischen zwei Sträuchern auf der grasbewachsenen Böschung. Er beißt auf seiner Lippe herum, bis sie blutet. Die Nacht ist mild. Zu seinen Füßen laufen zwei schmal zwischen den Hochebenen liegende Täler zusammen. An jedem der Talflüsse verläuft eine Straße, und wo sie sich treffen, ist ein Dorf. Kaum fünfzig Bauernhäuser, weißer Stein und schräge Ziegeldächer, reihen sich mitsamt ihren rückwärtigen Gärten entlang der Straße. In dem Garten, der ihm am nächsten ist, erkennt Loiseau deutlich Bohnenstangen, ein Tomatenbeet, ein Dutzend Obstbäume. Der Geschmack von mittags in praller Sonne vom Baum gepflückten Kirschen steigt ihm in den Mund. Er bekommt eine Erektion. Reibt sich die Augen, die Wangen, wie um wach zu werden. Tief in den Tälern ist es finster und still. Morandot und Martin werden von Norden und Nordwesten her kommen, auf den Straßen von Méru und Gisors. Und Genet von Süden her, auf der Straße von Paris. Genet, der kleine Neue, der diesen Vollidioten Falicon ersetzt, lebloser Haufen vor dem mit Schnitzereien verzierten Schreibtisch. Deslauriers … Trockene Kehle. Hinter ihm auf der Hochebene schreit ein Nachtvogel. Er steht auf. Zieht seine Hose zurecht, um Platz zu schaffen für seinen zusammengedrückten Sack, sein erigiertes Glied. Vertritt sich die Beine. Feuchte Hände. Blickt auf die Uhr. Zwei Minuten vor Mitternacht. Im Norden wird eine Fackel entzündet, eine weitere im Süden. Jetzt.

      Mit festem Schritt stürmt Loiseau den Hang hinab, auf den runden Dorfplatz zu, wo die Straßen sich treffen und das Kriegerdenkmal steht, auf der einen Seite das Rathaus, auf der anderen die Schule. Loiseau hat sich die Schule ausbedungen.

      Bewaffnete Männer holen eilig die Bewohner aus ihren Häusern, mit Fußtritten, Kolbenhieben, Schüssen, und treiben sie unter strenger Bewachung auf den Dorfplatz. Kaum Schreie, kein Aufbegehren, panisches Entsetzen.

      Loiseau ist durch den Klassenraum im Erdgeschoss in die Schule eingedrungen, ordentlich aufgeräumt, schwarze Tafel. Er steigt mit der Pistole in der Hand in großen Sätzen etwas kurzatmig in den ersten Stock, trifft oben an der Treppe auf einen Mann im Schlafanzug, erschießt ihn, läuft ins Schlafzimmer, eine Frauengestalt sitzt auf dem Bett, weit aufgerissene Augen, offener Mund, stumm, reglos, wirft sich auf sie, schlägt sie mit einem Kolbenhieb bewusstlos, presst ihr mit einem Arm das Kopfkissen aufs Gesicht, öffnet mit der anderen Hand hastig den Reißverschluss seiner Hose und kommt, noch während er in sie eindringt. Im Nebenzimmer weint ein Baby, unerträgliches Geschrei. Verstört bringt Loiseau seine Kleider in Ordnung, packt das Baby am Bein und schleudert es aus dem Fenster, das Geschrei hört auf. Jetzt fühlt er sich klarer im Kopf. Steigt in den Keller hinab, macht Licht. Eine Reihe Benzinkanister, wie von Morandot angekündigt. Er verteilt die Kanister, kippt sie aus, wickelt Zündschnur ab bis hoch ins Erdgeschoss, steckt sie an, kehrt dann zu den gefangenen Dorfbewohnern und ihren Bewachern auf den Platz zurück.

      Morandot führt die Gruppe der Möbelpacker an, die von Méru her kommt, gefolgt von zwei Planenlastwagen. Er zeigt zuerst auf das Haus von Lanternier,


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