Das schwarze Korps. Dominique Manotti

Das schwarze Korps - Dominique  Manotti


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Die Stimmung ist angespannt. All diese Unternehmer haben die Deutschen 1940 mit offenen Armen empfangen, fanden das mit den Protesten in den Fabriken aufräumende Naziregime lange Zeit ganz wunderbar, doch heute sind sie in Sorge. Sie sind gekommen, um zu erfahren, was es Neues gibt, woher der Wind weht. Und sich nach Möglichkeit beruhigen zu lassen. Bauer und Nosek, einer seiner Stellvertreter, haben die Gruppe in die Zange genommen. Nosek erklärt: Man habe die Landung nicht nur erwartet, sondern erhofft. Die in der Normandie sei im Übrigen nur ein Scheinangriff. »Die ernstzunehmenden Operationen werden in Nordfrankreich stattfinden, und dafür sind wir gerüstet.«

      Bauer, dem die strahlenden jungen Panzersoldaten auf dem Weg ins Gefecht nicht aus dem Kopf gehen, übernimmt: »Die amerikanischen Streitkräfte werden in eine großangelegte Falle gelockt, und wir zerschmelzen sie wie Blei in einem Tiegel.« Ein Moment vergeht. Dann, aus tiefster Seele: »Die Wehrmacht ist unbesiegbar.«

      Es herrscht Schweigen. Deslauriers schließt die Augen, durchlebt erneut jenen Tag im Juni 1940, als er durch das menschenleere, aufgegebene Paris lief, die heruntergelassenen Rollläden an den zahllosen Geschäften, die verrammelten Zeitungskioske, die geschlossenen Fensterläden in den oberen Etagen. So gut wie keine Autos, alle stadtauswärts auf der Flucht. Er konnte seine Schritte auf den Gehwegen hören. Die wenigen Passanten, denen er hier und da begegnete, mieden seinen Blick. Er setzte sich aufs Geländer des Pont-Neuf und sah zu, wie sich unter einem riesigen Himmel die beiden Seine-Arme vereinten, zu seiner Rechten der Louvre, dessen dunkelgraue Dächer sich über den Bäumen abzeichneten, und er betrachtete den Sonnenuntergang hinter der Glaskuppel des Grand Palais, ein festliches Spiel von Rot- und Grautönen. In jeder Faser seines Körpers eine lähmende Angst. Als er jetzt an diesen Abend zurückdenkt, steigt das Gefühl erneut in ihm hoch, ungemindert, körperlich schmerzhaft. Dann lief er durch die Nacht, Richtung Nordosten, die Strecke der Invasoren, die Rue La Fayette hinauf. Auf der Brücke über die völlig verwaisten Gleise der Gare de l’Est sah er die ersten deutschen Motorradfahrer eintreffen, die einer Paris mitten ins Herz getriebenen Lanze gleich die leicht abfallende Straße auf geradem Weg bis zur Oper hinunterjagten, gefolgt von den ersten Panzern, deren Erschütterungen er im ganzen Leib gespürt hatte. Am Morgen war die Stadt unter engmaschiger Kontrolle, besetzt. Nicht ein Schuss. Eine Stadt in Schockstarre. Keine Niederlage, eine Auslöschung, die unfassbar war. Er brauchte fast einen ganzen Monat, den er eingeschlossen in seinen leeren Nachtclub verbrachte, bis seine Lebensgeister zurückkehrten und er im deutschen Paris ein Abenteuerland erkannte, wo fortan alles möglich war. Also ist die Wehrmacht heute unbesiegbar, gegen jede Logik mag Bauer da durchaus recht haben.

      In vertraulichem Ton fährt Bauer fort: »In ein paar Tagen, vielleicht auch Stunden, haben wir die Wunderwaffe, die es uns ermöglicht, die alliierten Truppen gleich auf englischem Boden zu vernichten. Und im Osten die Bolschewikenaufmärsche auszulöschen, noch während sie sich formieren.« Ein Seufzer. »Der Endkampf, aus dem das Europa von morgen hervorgehen wird, hat endlich begonnen, und natürlich werden wir ihn gewinnen.« Lächeln. »Champagner, meine Herren.«

      Während Nosek sich anschickt, einigen Gästen technische Details der Wunderwaffe zu liefern, nimmt Bauer Duval beiseite, den Chef eines metallverarbeitenden Unternehmens mit 800 Arbeitern in Aubervilliers, und sagt weithin hörbar: »Gute Neuigkeiten, lieber Freund. Letzte Woche haben wir zusammen mit einer Gruppe von Geiseln die fünf kommunistischen Arbeiter Ihrer Fabrik exekutiert, deren Namen Sie uns gegeben hatten. Sie können also beruhigt sein.« Ein Moment vergeht. »Der Exekutionsbericht wird im Lauf der Woche in Aubervilliers ausgehängt. Und Ihre Rolle in dieser Angelegenheit wird natürlich hervorgehoben werden.« Lächeln. »Wir sind nicht undankbar.«

      Duval, dem plötzlich unwohl ist, geht in den angrenzenden Salon und setzt sich.

      Dora lehnt sich an den Flügel, räuspert sich. Sie ist von sehr eigentümlicher Schönheit. Ihr Gesicht ist unebenmäßig. Breite Stirn, riesige, weit auseinanderstehende Augen von einem strahlenden, einheitlichen Blau, deren Härte sie durch das Spiel ihrer Wimpern und Brauen mildert, markante Wangenknochen, eine nicht ganz zierliche leichte Stupsnase über einem Mund, der die gesamte untere Partie des eher schmalen Gesichts einnimmt. Sie vermag jedem Mann das Gefühl zu geben, dass sie sich allein an ihn wendet. Anmutig zu dem jungen Pianisten geneigt, der sie begleitet, singt sie jetzt in traulichem Ton, richtig zwar, aber mit dünner Stimme: »Douce France, cher pays de mon enfance …«

      Domecq geht an Deslauriers vorbei, zwei Champagnergläser in der einen Hand und einen Teller mit Gänseleber in der anderen. Deslauriers nimmt ihn am Arm.

      »Haben Sie, der Sie schon ewig ihr Freund sind, das geliebte Land ihrer Kindheit gekannt?«

      Domecq lächelt. »Wir haben in La Plaine-Saint-Denis gelebt, und dem idyllischen Namen zum Trotz gab es dort weder einen Kirchturm noch grünes Gras, Bäume oder Vögelchen. Dafür jede Menge Armut.«

      »Sagen Sie ihr, sie soll diesen Unfug lassen.«

      »Bauer mag das.«

      »Ein Grund mehr. Na, wer kommt denn da …« Raubtiergrinsen. »Polizeipräfekt Bussière höchstselbst. Er will wissen, was es Neues gibt. Kennen Sie ihn?«

      »Nein, nicht persönlich. Ich bin nur ein ganz kleiner Inspektor.«

      »Ich werde mir ein kleines Späßchen erlauben.« Er zieht ihn am Ellenbogen mit sich und stellt sich Bussière in den Weg. »Herr Präfekt, gestatten Sie, dass ich Ihnen Inspecteur Domecq vorstelle.«

      Domecq jongliert mit Teller und Gläsern, um eine Hand freizubekommen. Bussière, sichtlich verärgert, an einem solchen Ort einen kleinen Polizisten aus seiner Behörde zu treffen, macht ein verkniffenes Gesicht, neigt den Kopf leicht zur Seite und stürmt ohne anzuhalten auf eine Gruppe zu, die sich um Knochen drängt, die Nummer zwei der SS in Frankreich.

      Deslauriers frohlockt. »Unhöflich ist dieser Saukerl … Eilen Sie, mein Lieber. Die reizende Dora wird noch verdursten.«

      Suzy Solidor, eine hochgewachsene Erscheinung mit Garçonne-Frisur in einem Etuikleid aus violetter Seide, hat Dora abgelöst und singt auf Deutsch Lili Marleen. Diese raue, dunkle Stimme ist der Wahnsinn, denkt Deslauriers, tief ergriffen wie jedes Mal, wenn er sie hört. Erinnerung an ihre Konzerte im Perroquet bleu, das gehobene Bürgertum vergötterte sie, wenn sie ihre Javas sang. Bauer ist verstummt und lauscht ihr mit geschlossenen Augen. Aber im Bett taugt die Solidor wie alle Lesben wenig, dem Vergleich mit Dora hält sie nicht stand.

      Brinon, der Repräsentant der französischen Regierung, stürmt herein. Ein Blick in die Runde, dann eilt er grußlos zu dem Fenster, wo Abetz, Knochen und Bussière mit konzentrierter Miene über die Aufrechterhaltung der Ordnung sprechen.

      Deslauriers erspäht den Alkoholhändler Anselme, ein alter Komplize, der allein in einer Ecke sitzt und in Ruhe einen Cognac trinkt. Er zieht einen Sessel neben ihn und setzt sich. Der andere hebt zur Begrüßung sein Glas.

      »Sehr guter Cognac. Keine Ahnung, wo Dora ihn herhat. Ich habe ihn ihr nicht verkauft.«

      »So allein?«

      »Doras hysterische kleine Höflinge töten mir den letzten Nerv, und die offizielle Ansprache deines Chefs ödet mich an. Ich glaube nicht mehr daran. Du vielleicht?«

      »Paul, ich möchte dir ein hübsches Geschäft vorschlagen, plusminus zwanzig Millionen für uns zwei, abzüglich der Unkosten.«

      »Just heute habe ich den Laden dichtgemacht, René. Alle meine Jungs entlassen, meine Lager geschlossen, und in zwei Tagen reise ich ab nach Monaco. Jetzt stehe ich, oder besser gesagt stehen wir, weil du an einem Gutteil der Geschäfte beteiligt bist, vor dem Problem, dass das Geld gewaschen werden muss. Man darf es nicht mehr riechen, sehen, schmecken. Dazu brauche ich etwas Zeit. Und ich hoffe, die Wehrmacht verschafft mir genug. In dem Punkt habe ich allerdings ziemliches Vertrauen in sie. Sind schon gute Jungs, diese deutschen Soldaten.«

      Deslauriers angelt sich einen Stumpen, zündet ihn an, nimmt den ersten tiefen Zug, atmet aus, das beruhigt, beugt sich dann zu Anselme. »In zwei Tagen, sagst du. Mehr brauche ich nicht.«

      In einer Ecke hat sich eine Pokerrunde gebildet,


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