Der Fänger im Gras. Nicole Brandes
vorstellen. (Bitte beachtet die 97 Fotos im Anhang.)
Zorro ist ein drei Monate alter Kater. Der süßeste, be-
Äh … Ich bin Mama
geworden … eines
Kätzchens.
Jawohl. Ein Kätzchen.
Eine Katze. Felis
silvestris catus.
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zauberndste, schönste, neugierigste Kater der gesam-
ten Schöpfung. Zorro ist von Kopf bis Pfote orange.
Sein Fell ist weich und flauschig. Ich möchte andau-
ernd mein Gesicht darin versenken. Natürlich halte
ich mich zurück, denn seine riesigen, kugelrunden,
pechschwarzen Augen beobachten mich mit Arg-
wohn und Angst. Aber auch mit Neugier und Tap-
ferkeit.
Warum „Zorro“? Weil der Name einfach „pass-
te“. (Ja, ich weiß, das ist nicht besonders analytisch.
Was soll ich sagen – ich bin hingerissen!) Aber nach
ein paar Tagen meldete sich meine analytische Seite
dann doch. Und meine Recherche ergab Folgendes:
„Zorro“ heißt „Fuchs“ oder „schlauer Kerl” auf Spa-
nisch – und wahrlich, schlau ist mein winziges Kerl-
chen. Im Slawischen ist „Zorro“ das Wort für „Held
der goldenen Morgenröte“ – und er ist auch ein Held,
und sein Fell sieht aus wie die goldene Morgenröte.
Die Bedeutung von „Zorro“ auf Persisch ist „Stern“
– Ihr könnt Euch sicher denken, was ich davon halte.
Und so wurde mein Leben über Nacht auf den
Kopf gestellt. Die letzten Tage bin ich zu Hause ge-
blieben. Ja, die Frau, die sich niemals Urlaub nimmt,
drückt sich jetzt wegen eines Katers um die Arbeit.
(Psst! Nicht weitersagen! Schließlich habe ich einen
Ruf zu wahren.) Bei meiner Arbeit herrscht ohne-
hin schon heilloses Durcheinander. Gestern belauer-
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te und erlegte Zorro ein gewaltiges Flipchart – und
meine aufwändig gemalten Diagramme sind natürlich
gründlich geschreddert. Erschöpft von seinen Helden-
taten kuschelte er sich auf meinen Schoß und schlief
ein. Es war mir unmöglich, ihn auszuschimpfen.
Er brauchte einige Tage, bis er merkte, dass er
nicht der alleinige Herrscher über sein neues Revier
ist. Es hat ihn zutiefst schockiert, als ich ihn davon ab-
hielt, mein Sofa zu zerkratzen und an den Vorhängen
hochzuklettern. Allerdings hat er es dafür geschafft,
mich von meinem Computer auszuloggen. Ich glau-
be, mein Kleiner ist ein angehender Computercrack.
Keyboard und Bildschirm findet er ziemlich aufre-
gend.
Jetzt fragt Ihr Euch vielleicht, wer der Boss in
diesem Haushalt ist. Eine erwachsene Frau von 1,68
Meter, eine gebildete, unabhängige Expertin und viel
beschäftigte Weltreisende? Oder ein 400 Gramm
schwerer Fellball? (Seufz. Was soll ich sagen – ich bin
hingerissen.)
Für ein so kleines Kerlchen ist Zorro ein echter
Draufgänger. Trotzdem ist er scheu. Das würde der
Dreikäsehoch selbstverständlich nie zugeben, denn
stolz ist er auch. Tagsüber jagt er kriegerisch unsicht-
bare Feinde. Nachts wickelt er sich als schnurrende
Pelzschärpe um meinen Hals. Das ist behaglich und
entspannend für uns beide.
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Wie wild düst er im ganzen Haus herum, steckt
seine Nase in jeden Winkel und kriecht unter Sofas
und Stühle. Er lässt sich nichts anmerken und tut so,
als sei er nicht völlig überwältigt – aber dann, wenn
er denkt, dass ich ihn nicht beobachte, schleicht er
in eine Ecke und weint. Heimlich. Heulen ist näm-
lich etwas für Mädchen. Und ich habe etwas Neues
dazugelernt: Katzenbabys können nicht richtig mi-
auen! Dazu sind sie noch zu klein. Zorro fiept wie
eine Maus. Stellt Euch das vor – eine Katze, die wie
eine Maus klingt! Außerdem knurrt er wie ein kleiner
Hund, wenn er sehr aufgeregt ist, zum Beispiel wenn
wir Seilziehen miteinander spielen. (Ratet mal, wer
immer gewinnt!) Zorro ist ein richtiges Muskelpaket.
Ich lerne auch allmählich, dass Katzen sehr auf
ihr Revier bedacht sind. Wachsam paradiert Zorro
vor seinem Kistchen im Stechschritt über das Parkett.
Später, wenn er gerade nicht hinsieht, räume ich be-
flissen hinter ihm auf. Ja! Ich! Ich entsorge Katzen-
häufchen. Wer hätte das gedacht?! (Und nochmals:
Psst! Nicht weitersagen!) Ich bin selbst über mein Ver-
halten etwas verstört.
Zorro ist ein echt cooler Kater. Und jedes Mal,
wenn er mich in voller Größe sieht, zuckt er zusam-
men. Aber er erholt sich schnell wieder und liebt es,
mit mir zu kuscheln. Ich habe gelernt, dass Katzen-
babys viel Nähe und Zärtlichkeit brauchen. Für ein
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Katzenbaby ist es tatsächlich körperlich und seelisch
ungesund, allein zu schlafen.
Ich muss noch so viel lernen!
Wenn er sich an mich schmiegt und sich um mei-
nen Hals drapiert, bin ich entzückt, aber bekomme
keine Luft. Morgens hat Zorro einen Schock, wenn er
realisiert, mit wem er die Nacht verbracht hat. Dann
rast er sofort unters Bett. Dort wartet er beleidigt, bis
ich ihn hervorhole. Heute stellte er den Weltrekord im
Sprint von seinem – äh, meinem Nachtlager – zum