Der ermordete Gärtner. Uwe Schimunek
Ende: Wann immer es ging, zickte sie herum, und ihn störte jede Kleinigkeit … Auf der anderen Seite hatte er sich an die NSU gewöhnt. Vielleicht flammte die Liebe nach einer Generalüberholung wieder auf.
Katzmann steuerte das Motorrad an den Straßenrand. Das Gespann rollte in Schrittgeschwindigkeit. Er schaute über den gusseisernen Zaun zum nächsten Hauseingang: Nummer 19. Liesbeth wohnte offenkundig nur ein paar Meter weiter.
Er tuckerte im Schatten der Prunkbauten stadtauswärts. Die Fassaden sahen aus, als hätten die Stuckateure hier einen Wettbewerb ausgetragen. Verzierungen in Form von Engelsfiguren, Blumengestecken, Laubblatt-Ensembles – ein Garten Eden des Überflusses pappte an den Hauswänden. Katzmann war schon länger nicht mehr in dieser Gegend gewesen, hierher verschlug es einen Reporter einer SPD-Zeitung nicht oft. Wieso wohnte ein sozialdemokratischer Abgeordneter in so einem Bonzenpalast?
Katzmann passierte die Moschelesstraße und rollte weiter. Nach der Eckvilla schaute er in einen Garten, der im Sommer wohl die natürliche Antwort auf die Stuckgebilde an den benachbarten Fassaden darstellte. Im Dämmerlicht des endenden Winters wirkte das Grundstück trist wie ein Acker nach der Ernte. Gegen Jahreszeiten half auch Reichtum nicht – dieser Gedanke tröstete Katzmann immer, wenn er seine Eltern besuchte, und auch jetzt.
Er stoppte die Maschine, setzte Brille und Helm ab und verstaute sie im Seitenwagen. Inmitten des Gartens stand eine Villa. Am Eingang entdeckte er die Hausnummer 21. Hier wohnte Liesbeth. Hier hätte auch die Belegschaft einer mittelgroßen Druckerei mitsamt Familien ein Zuhause gefunden. Aus zwei Fenstern neben dem Eingang schien elektrisches Licht auf die Bismarckstraße. Die beiden oberen Stockwerke machten den Eindruck, derzeit nicht in Benutzung zu sein. Der Eingang der Villa sah aus, als hätte der Architekt einen Turm an das Haus gebaut. Über der Tür fand im Erker des ersten Stocks ein Wintergarten Platz – mit Fenstern so groß wie Kleiderschränke. Darüber ragte eine verzierte Turmspitze in den Himmel. Katzmann malte sich aus, wie Liesbeth da oben am Abend einen Liebesroman las, während das Hausmädchen unten das Esszimmer in Ordnung brachte. Das passte zu der Villa, es ging nur überhaupt nicht mit seinem Bild von Liesbeth Weymann zusammen. Hatte sie ihre Jugend im Arbeiterbezirk im Leipziger Westen unter einem Villengrundstück begraben? Und was sagte ihr Vater dazu, der alte Kämpfer für das Gerechte in der Welt?
Im Eckzimmer des Erdgeschosses wurde das Licht eingeschaltet, und Katzmann konnte das Familienglück beobachten. Drei Lockenköpfchen hüpften durch den Raum, die Mädchen mochten zwischen drei und acht Jahren alt sein. Dann schritt eine Frau mit aschblondem Haar und einem Tablett in den Händen am Fenster vorbei. Katzmann erkannte sie sofort, dabei hatte sie sich durchaus verändert. Ein bisschen sah sie aus, als sei sie die reiche Tante der jungen Liesbeth von damals. Mit ihrem Jäckchen über dem Kleid passte sie in das stuckverzierte Esszimmer der Bismarckstraßenvilla. Sie war der Typ Frau geworden, der mit großer Geste Flügeltüren öffnete. Hatte sie sich der Villa angepasst? Oder war sie hierher gezogen, weil die Frau mit der großen Geste schon immer in ihr gesteckt hatte?
Liesbeth stellte das Tablett auf einen Tisch, der aussah, als fänden in diesem Raum regelmäßig Tafelrunden von Rittern in Rüstung statt. Ein Mann betrat das Zimmer. Er ging auf einen Gehstock gestützt und trug einen Mullverband um den Kopf. Das musste Kutscher sein. Er setzte sich an die Stirnseite der Tafel.
Katzmann wollte die bürgerliche Idylle nicht mehr sehen. Ja, auch er bewohnte mit Frieda ein Haus in der Dresdner Antonstadt, ja, auch er musste nicht darben. Und er gönnte jedem Menschen auf der Welt Wohlstand. Aber ihn störte die Äußerlichkeit des Prunks, das großbourgeoise Gehabe …
Er schnappte die Brille samt Helm, stieg auf die NSU und startete durch. Ohne sich umzuschauen, lenkte er das Gespann auf die Straße.
Eine Hupe brüllte. Katzmann drehte den Kopf nach hinten. Ein Lieferwagen wurde rasch größer. Bremsen quietschten. Katzmann gab bis zum Anschlag Gas. Der Lieferwagen hinter ihm wurde wieder kleiner und hupte unverdrossen – die Karre ließ ihn an Rumpelstilzchen nach der Verwandlung in ein Automobil denken.
Die NSU mit ihrem Seitenwagen wankte, als Katzmann um die Kurve zur Plagwitzer Straße fuhr. Die Geschwindigkeit kitzelte im Bauch. Ein Blick nach rechts, einer nach links, in beiden Richtungen nahten Autos aus Dutzenden Meter Entfernung. Katzmann bretterte, ohne abzubremsen, auf die Plagwitzer Brücke. Ein Hupkonzert – dabei reichte ein Zug am Gasgriff, und Katzmann entfernte sich von der Kreuzung, ohne einem der Automobile nahe zu kommen.
Er fuhr mit Wut im Bauch, aber wusste nicht recht, woher der Zorn kam und wogegen er sich richtete. Warum brachte es ihn auf, dass eine längst Verflossene in einer Bonzenvilla mit der Familie ihr Abendmahl einnahm? Oder lag es nicht an Liesbeth und an der Vergangenheit? Fürchtete er, seine eigene Zukunft gesehen zu haben – als Salonlinker mit Frau und Kindern in immer größeren Wohnungen? Sein Vater sagte immer, wer Verantwortung trage, werde konservativ. Hatte der alte Reaktionär doch recht, wenn er so tat, als sei das ein Naturgesetz?
Katzmann bog in die Elisabethallee ein und gab Vollgas, als er aus der Kurve fuhr. Der Fahrtwind blies die Gedanken weg. Vor ihm lag Lindenau. Dort wartete Heinz mit einem Mordfall – eine bessere Ablenkung konnte Katzmann sich nicht vorstellen.
«Die müssen den Kerl regelrecht abgeschlachtet haben.» Heinz Eggebrecht versuchte, seinem Freund mit den Händen anzudeuten, wie sein Gesicht aufgeschlitzt würde.
Katzmann sagte nichts. Er trank einen Schluck von seinem Bier und guckte skeptisch.
«Mein Gartennachbar hat ihn gefunden. Der Kopf war zerdroschen, das Gesicht total zermanscht. Wahrscheinlich wurde er mit einer Mistgabel malträtiert.»
Katzmann trank. Im Lärm der Kneipe wirkte sein Schweigen grotesk, so als habe sich ein Fisch in eine Schafherde verlaufen.
«Wir haben es hier mit einer brutalen Gangsterbande zu tun, sage ich dir.»
«Ich weiß nicht …»
«Was brauchst du denn noch als Beweis – ein paar mehr Leichen?»
Katzmann stellte den Bembel auf den Tisch und runzelte die Stirn. «Ich brauche keine Leichen, Heinz. Aber hör dich mal reden! Da kommen ein paar Ganoven, brechen in Lauben ein und stehlen Gartenwerkzeug, und dann töten sie einen Gärtner, der ihnen in die Quere kam. Das klingt nach armen Schluckern und nicht nach brutalen Bestien.»
Eggebrecht richtete den Zeigefinger auf Katzmann. «Du warst nie arm …»
Katzmann zögerte. Allem Anschein nach schluckte er die erste Reaktion hinunter. Dann sagte er: «Und? Weil ich nie klauen musste, kenne ich das Leben nicht?»
Eggebrecht schaute sich um. Durch den Zigarettenqualm sah er die Gäste an den Nachbartischen. Die meisten waren jünger als er. Sie trugen derbe Hemden, ihre Winterjacken hingen über den Stuhllehnen. Die vorherrschende Farbe der Bekleidung war aschgrau, und das passte zu den Gesichtern. Sicher verstärkte die Funzel an der Decke Eggebrechts Eindruck.
Ein hagerer Kerl wankte durch den Gastraum. Er trug die Haare in der Mitte gescheitelt und nach hinten gelegt. Sein Gesicht verriet, dass er kaum mehr als zwanzig Jahre alt sein konnte, aber er lief gebeugt, als habe er jahrzehntelang Steine geschleppt. Er hatte entweder einen schweren Tag hinter sich oder zeitig mit dem Bier begonnen. Der Dürre tapste an ihrem Tisch vorbei. Er wollte wohl zum Klo, hatte es dabei aber nicht sonderlich eilig.
Eggebrecht hob die Hand. «Schau dich doch mal hier um! Hier sitzt ein Haufen von deinen armen Schluckern. Bestimmt sind die meisten harmlos. Aber für wie viele würdest du einen Eid schwören?»
Katzmann zog seine Zigarettendose aus der Jacke, öffnete sie und stellte sie auf den Tisch. Beide nahmen einen Glimmstängel, Eggebrecht zündete ein Streichholz an – für einen Augenblick rauchten sie schweigend.
Dann sagte Katzmann: «Bölke glaubt also, dass zwei bis drei Diebe ein paar Lauben aufgebrochen haben und in der letzten zufällig den Pächter angetroffen haben. Sie haben sich ertappt gefühlt und ihn abgeschlachtet.»
«Ich finde, das klingt ganz vernünftig.»
«Was haben die denn in eurer Laube geklaut?»
«Das Seltsame ist,