Auf Wiedersehen, Bastard! (Proshchay, ublyudok!) 3 – Showdown in Kroatien. Tino Hemmann
und paar mehr. Meine große Bruder immer sehr weinen, Mama immer sehr weinen und auch ich immer sehr weinen. Kommen dann überall serbisch Soldaten, schießen viel in Menschen, auch Kinder, schon viele tot und krank, und machen mit Bomben. Nicht Wasser, nicht Brot. Dann kommen serbisch Soldaten und nehmen weg alle Männer und alle Boys, die ein bisschen alt und können tragen Gewehr. Serbisch Soldat sagen, wollen sehen, wer war böse in Krieg. Aber niemand böse in Krieg war. Papa, Bruder und Onkel müssen gehen weg, ganz schnell mit serbisch Soldaten. Mama, Tante und ich weinen mehr und mehr. Dann kommen noch serbische Soldaten, drei oder vier. Mama schöne Frau, nehmen mit und Mama vergewaltigen sehr, sehr schlimm, andere Soldat wollen Tante nehmen mit, Frau von Onkel, verstehen? Tante aber sagen nein zu serbisch Soldat und Tante kratzt und macht so.« Sie schlug um sich und bekämpfte einen imaginären Feind. »Ich schlimme Angst. Papa weg, Bruder weg, Mama weg, Onkel weg und auch Tante weg. Soldaten nehmen Tante, mit großer Gewalt, und schlagen sehr und so nicht zurückkommen arme Tante, nie wieder. Tante ist vergewaltigt und totgemacht und weg. Mama mich suchen und finden. Mama ganz schlimm vergewaltigt. Viel weinen Mama, viele Tränen. Dann kommen viele, viele Soldaten, nicht Blauhelm, alles bosnisch-serbisch Männer, wie Vieh uns laden in Bus und auf große Auto, serbisch Soldaten jagen auch Blauhelm weg und schreien und schreien und machen Knall mit Gewehr. Ich klein und viel Angst. Nur Frauen, nur klein Kinder noch da. Und ganz kleine Junge, die nicht können halten Gewehr. Fahren uns alle weg, weit, erst Vlasenica und entlassen Frauen und Kinder, weit weg vor die Ort Kladanj. Bis dahin serbisch Armee alles Land weggenommen von Bosnien. Dann wir laufen alle sehr viele, lange Kilometer, bis wir sind in Kladanj. Dort Armee von Bosniaken und helfen und auch andere von Rot Kreuz. Aber hier sein alle Frauen ohne Mann und Junge. Frauen schauen und fragen: Wo sein Mann? Wo sein Junge? Immer wieder fragen und ganz viel weinen. Verstehen? Alle viel sehr weinen und denken, was nur passieren mit Mann und Junge. Ich weinen und denken, was nur passieren mit Papa und Bruder und Onkel.« Sie schwieg nur drei Sekunden lang, um sich Tränen aus dem Gesicht zu wischen. »Heute schauen an, was gemacht haben serbisch Soldaten mit Papa und Bruder und Onkel. Schauen an, überall Sie finden Information über Srebrenica und Potočari. Mama werden ganz krank und tot von viele Trauer. Ja. Mama sehr bald auch tot. Dann alle sprechen Krieg zu Ende. Ich überall suchen. Was nur passieren mit Papa und Bruder und Onkel. Keine Erfahrung machen. Viele Zeit keine. Viele Zeit ich immer wieder suchen. Brennt hier in Brust die Frage. Hier in Brust! Ich allein und suchen. Ich neun Jahr, ich zehn Jahr, ich elf Jahr, ich fragen: Was nur passiert in Krieg mit Papa und Bruder? Ich achtzehn Jahr. Ich dann wissen, was gemacht haben Stokan und Nebojša. Viele Zeit nach Krieg ich erst wissen. Und sehen Namen auf Zettel. Manche Serben große Angst vor Tribunal nach Krieg. Haben gesagt und gesagt und gesagt. Auch was gemacht haben mit Papa und Bruder. Und ich dann wissen auch, was gemacht hat Todor mit Bruder. Und Todor nur klein wie ich in Krieg, Todor nur ein Jahr mehr. Trotzdem hat gemacht mit meine Bruder tot.« Sie weinte jetzt entsetzlich, als würde sie die schrecklichen Dinge nochmals erleben. »Sie wissen. Ich totgemacht habe Nebojša Suker. Ich gemacht samoodbrana. Deutsche Wort sein Notwehr? Das ich gemacht. Ich wissen, Nebojša dort war, aber Nebojša nicht hat gemacht mit Papa und Bruder tot. Gemacht haben Stokan und Todor tot. Ich sehr tot machen bestimmt Stokan. Aber Stokan Angst. Hat sagen zu Nebojša: ›Du machen mit der Frau Krajic tot.‹« Sie blickte Rattner lange an. Ihre dunkelbraunen Augen glänzten, Tränen liefen über ihre Wangen, sammelten sich unten am Kinn und tropften zum Teil in ihren Kaffeebecher. »Das alles ich sagen.«
Sprachlos saß Rattner an der anderen Seite des Tisches. Ihm kam es vor, als würde dieser Tisch ganze Welten trennen. Er dachte lange darüber nach, was er antworten sollte, da er wusste, dass das Verhör mitgeschnitten wurde.
Rattner entschied sich schließlich für Folgendes: »So leid mir Ihre Vergangenheit auch tut, ich muss Ihnen eines sagen: Sie sollten sich dringend einen guten Anwalt nehmen. Aus unserer Sicht ist das, was Sie getan haben, vorsätzliche Tötung. Für ihre Version einer Notwehrhandlung gibt es momentan keine Beweise. Deutschland ist ein demokratisches Land und die Regeln mache nicht ich, die bestimmen unsere Gesetze. Im heutigen Kroatien und Serbien sollte es ähnlich sein. Ein Rachefeldzug auf eigene Faust ist ungesetzlich. Verstehen Sie das?«
Zu Rattners Erstaunen antwortete Kristina Krajic: »Ja. Ich das gut verstehen.«
Zadar
18. August
Todor fuhr mit seinem Kadett durch das große Holztor direkt in den Schuppen. Die Unterstellmöglichkeit passte so gar nicht zum feinen Aussehen des jungen Mannes. Er stieg aus, warf die Fahrzeugtür zu und verließ den Schuppen. Das Tor blieb offen, der Kadett fiel nicht sofort ins Auge, denn er parkte ganz hinten in dem geräumigen Holzhaus, das auf wenigen Reihen Mauerwerk gebaut worden war. Zunächst wischte er sich Schweiß vom Kehlkopf, blickte auf die Uhr und nickte sich selbst zu. Dann lief er auf einem schmalen Trampelpfad zwischen Kiefern, vernachlässigten Lorbeerbäumen und allerhand Gestrüpp hindurch, erreichte die Rückseite eines halbwegs modernisierten Gebäudes, stieg sieben Stufen einer ausgetretenen Treppe hinunter, öffnete mit einem Schlüssel das Sicherheitsschloss einer Tür und betrat die hinteren Kellerräume des zweistöckigen Hauses. Nachdem sich Todor des Jacketts entledigt und eine Lampe eingeschaltet hatte, lauschte er. Deutlich vernahm er helle Kinderstimmen, einige aus dem Haus über ihm, andere aus dem angrenzenden Spielgarten. Hier, am Rande der wahrscheinlich über dreitausend Jahre alten Stadt Zadar in Norddalmatien, unterhielt die Kirchgemeinde einen Kindergarten, in dem Vorschulkinder und am Nachmittag mitunter auch Schulkinder in die Obhut des kirchlichen Personals gegeben wurden.
Den Keller hatte Todor bereits vor sechs Jahren von der Kirchgemeinde als Zweitbüro und Notunterkunft angemietet. Dabei blieb es auch, als vor vier Jahren das Gebäude teilweise saniert wurde und der Kindergarten wieder einzog. Einige der Kinder kannten Todor längst, schließlich saß er hin und wieder draußen im Garten, las ein Buch oder schwatzte mit Marija, einem liebenswerten zweiundzwanzigjährigen Mädchen, das zu fast jeder Tages- und Nachtzeit im Kindergarten arbeitete und dem die meisten kleinen Kinder unablässig am Rockzipfel hingen. Mitunter überkam Todor das Gefühl, Marija hätte es auf ihn abgesehen. Dann zeigte er ihr plötzlich die kalte Schulter, sagte, er müsse auf seinen guten Ruf achten, ließ keinerlei Annäherung zu und tauchte wochenlang nicht im Garten auf. Irgendwann stand er dann plötzlich wieder neben ihr. In Todors Keller hatte Marija nichts verloren, das wusste das Mädchen nur zu gut. Zweifellos, Marija war eine sehr hübsche und nette Frau, schlank und trotzdem mit einer guten Oberweite ausgestattet, mit langen, dunklen, meist zu einem Zopf geflochtenen Haaren, an den Spitzen blond gefärbt, das Gesicht glatt und makellos mit dunkelbraunen, warmen Augen, im Ganzen nicht zu klein und nicht zu groß und niemals unfreundlich oder gar jähzornig. Außerdem war sie unglaublich kinderlieb. Trotz allem – in Todors derzeitigem Leben hatte sie nichts zu suchen, schon gar nicht in seinem Herz.
Den Keller hatte sich Todor halbwegs wohnlich eingerichtet, es war ordentlich und für alles gab es einen sinnvollen Platz. Und so merkwürdig es auch klang, die Kindereinrichtung über seinem Domizil verlieh Todor ein Gefühl der Sicherheit.
Der junge Mann nahm ein Notizbuch aus dem Regal über dem Holztisch und schlug es auf. Zuerst betrachtete er ein Foto, das er sich täglich anschaute. Auf dem Bild waren drei Personen zu sehen: Todor im weißen Gewand mit einem Blumengebinde auf dem Kopf, das ihn wie ein Mädchen erscheinen ließ, Mutter und Vater im besten Zwirn an seiner Seite. Das Foto entstand unmittelbar nach der Kommunion Todors. Es wurde von einem Mann aufgenommen, der im Krieg als Journalist unterwegs war und von Heckenschützen erschossen wurde.
Ohne seinen Gesichtsausdruck zu ändern, legte Todor das Foto zwischen den vorderen Deckel und die erste Papierseite des Notizbuches und suchte weiter hinten nach der gewünschten Seite. Die fand er schnell, denn dort hatte er ein Blatt eingeklebt, auf dem die technische Zeichnung und verschiedene Anweisungen zu einer RBS 70 vom Typ BOLIDE zu finden waren. Diese Version des Robotsystems 70 war ein schwedisches MANPADS, ein schultergestütztes Kurzstrecken-Boden-Luft-Lenkwaffensystem, das in dieser Form 2001 eingeführt worden war. Einige wenige davon erbeuteten die NATO-Gegner während des Krieges, mittlerweile galten sie in Bosnien und Serbien als ausverkauft. Sie waren gegenüber ihren RBS 70-Vorgängern mit einer verbesserten Elektronik und der neusten BOLIDE-Lenkwaffe ausgestattet. Ihre Bekämpfungsreichweite betrug stolze 8.000 Meter, die Einsatzhöhe bis 5.000 Meter. Die Lenkwaffe konnte eine höhere Fluggeschwindigkeit