Auf Wiedersehen, Bastard! (Proshchay, ublyudok!) 3 – Showdown in Kroatien. Tino Hemmann
Fedors linkes Ohr. »Novi Sad ist eine Stadt im Herzen von Serbien. Sie liegt in einer wunderschönen Gegend an der Donau. Strategisch wichtig? Vielleicht dachten das die Leute von der NATO. Sie wurde von den NATO-Kampfmaschinen völlig zerbombt. Sinnlos zerbombt. Ob sie nun eine strategische Rolle spielte oder nicht, die Stadt wird sich nie wieder davon erholen. Hörst du? Sag das deinem Lehrer.« Er lehnte sich wieder zurück. »Es ist trotzdem eine schöne Stadt. Fast alles wurde wieder aufgebaut. Vor allem die Autobahnbrücken.« Dann schwieg er.
Der letzte Passagier betrat den Flieger. Fedor konnte es nicht sehen, doch schon bald fühlen, denn es handelte sich dabei um eine etwa siebzigjährige, ausgesprochen gut beleibte Dame, deren Ausdünstungen den Geruch des Bang Bang schon bald überdeckten. Sie bat Fedor sofort darum, dass die Armlehne zwischen dem zweiten und dritten Sitz nicht heruntergeklappt würde, worauf sich der Junge einließ. Alsdann verdrängte sie ihn schon bald in Richtung des Platzes von Stokan Vujasinović, der Fedors Problem erkannte und seinerseits die Armlehne nach oben klappte. Gemeinsam belegten Fedor und Vujasinović nun anderthalb Plätze.
»Soll ich dir was verraten? Ich habe schreckliche Angst vor dem Fliegen«, hauchte Vujasinović in Fedors Ohr. »Weil ich jedes Mal befürchte, dass so was Fettes neben mir sitzen könnte. Debela kučka!«
Der Flieger rollte eine lange Strecke zur Startbahn, überquerte dabei sogar eine Autobahn. Das konnte der Junge jedoch nicht sehen. Stattdessen fragte er: »Was ist debela kučka?«
Vujasinović betrachtete grinsend die Dame neben Fedor und sagte laut und deutlich: »Debela kučka ist zhira suka.«
Fedor versuchte sich das Lachen zu verkneifen, was ihm nicht gänzlich gelang. Doch die Triebwerke heulten in diesem Moment auf und das Flugzeug erhöhte rasch die Geschwindigkeit. Überall klapperte es, Fedors Lachen war nicht zu hören, der Druck in den Ohren stieg, die Maschine war kurz darauf in der Luft.
»Zhira suka« bedeutete in der russischen Sprache so viel wie »fette Schlampe« im Deutschen oder eben »debela kučka« in Serbien.
»Sprechen die Menschen in Serbien und Kroatien verschiedene Sprachen?«, fragte Fedor, als ein wenig Ruhe eingekehrt war, während das Flugzeug noch aufstieg und die Dame neben ihm merkwürdige Töne von sich gab.
»Sprechen Sachsen und Bayern verschiedene Sprachen?« Vujasinović antwortete mit einer Gegenfrage.
Jetzt grinste Fedor. »Im Grunde genommen sprechen sie schon sehr unterschiedlich.«
»Nein, nein, nein. Sachsen und Bayern sprechen die deutsche Sprache. Dialekte machen den Unterschied. Und alle, die früher in Jugoslawien zusammengepfercht waren, sprechen Serbisch, bis auf ganz wenige Ausnahmen. Es gibt aber auch bei uns verschiedene Dialekte. Nur die Zeichen sind anders, kyrillische bei uns oder eben lateinische.«
»Also verstehen die in Kroatien mich, wenn ich ›debela kučka‹ sage?«
»Aber bestimmt verstehen die das. Du würdest es sofort merken, wenn man dir ein blaues Auge verpasst. Auch in Kroatien lässt sich niemand gern beschimpfen. Schon gar nicht die Frauen. Ich bilde mir ein, sie haben so einen – wie sagt man gleich – so einen Charme, den auch italienische Frauen haben.«
»Und wie sind italienische Frauen?«
Vujasinović grinste. »Na, du kannst Fragen stellen. Definitiv haben sie immer Recht. Und definitiv ist jede Frau die schönste Frau. Wenigstens behauptet das jede Frau von sich.«
»Auch die debela kučkas?«, fragte Fedor.
»Auch die debela kučkas«, antwortete der Serbe. »Ich vermute, gerade die debela kučkas.«
»Dann werde ich debela kučka wahrscheinlich nicht so oft sagen können.« Fast klang es, als wäre Fedor ein wenig enttäuscht.
»Glaube mir, das ist auch besser so.«
»Wie ist es sonst so in Kroatien?«
»Sonst?« Jetzt bedachte Vujasinović die Fragen des Jungen mit einem Lächeln. »Sonst ist es ganz nett, aber nicht so sehr schön wie Serbien. Kroatien hat eben das Meer in der Nähe. Und damit gibt es dort mehr Urlauber, die Geld ins Land bringen. Deshalb ist es für die Europäische Union interessanter als Serbien.«
»Schade nur, dass ich das Meer nicht sehen kann.«
»Ja. Das ist sehr schade. Wir beide können es aber nicht ändern. Ein Sprichwort bei uns sagt: ›Kako je, tako je!‹«
»Kako je, tako je? Das klingt lustig. Und was heißt das?«
»So wie es ist, ist es.«
Ein Weilchen schwieg der Junge. »Trotzdem«, sagte er schließlich, »jetzt kann ich mir alles ganz gut vorstellen.« Zufrieden nickte er vor sich hin. »Somit beherrsche ich also schon zwei Wörter Serbisch oder eben auch Kroatisch und einen Spruch. Kako je, tako je.«
»Zwei weitere Wörter sind wichtig und ganz einfach: Da und Ne. Ja und Nein. Und noch die zwei: Molim und Hvala – Bitte und Danke. Oder du sagst ›Hvala Vam‹.«
Fedor sprach nach. »Hvala Vam.« Das Hvala wurde am Anfang so ausgesprochen, wie Anton jedes »H« am Wortanfang aussprach.
»Genau. Und das heißt ›Vielen Dank‹.«
»Hvala Vam«, wiederholte Fedor, »für den Crashkurs in Serbisch und Kroatisch.«
Ein Tonsignal erklang.
»Molim, molim. Jetzt kannst du jedenfalls dein iPad benutzen«, sagte Vujasinović.
»Ich weiß«, antwortete Fedor. »Die Anschnallzeichen sind aus. Das Bingbong hat es mir verraten.«
Leipzig
18. August
»Ist sie schon hier?« Rattner erschien frühzeitig im Büro. Meisner war jedoch vor ihm da.
»Wurde gerade aus der Untersuchungshaft rüber gebracht. Zimmer 107«, antwortete der Kriminalobermeister und warf einen Stapel Protokolle auf Rattners Schreibtisch. »Das Lesen kannst du dir sparen. Niemand hat irgendwas gehört oder gesehen.«
»Weißt du, was merkwürdig ist?«
»Was denn?«, fragte Meisner und sortierte Dokumente.
»Anatolij Sorokin … Er fliegt heute nach Kroatien. Mit der ganzen Familie.
»Und?« Der Kriminalobermeister versuchte, einen tieferen Sinn in Rattners Worten zu entdecken.
Sein Chef hielt die Wahrheit zurück und beschloss, etwas zu sagen, was er eigentlich nicht sagen wollte. »Na ja: Serbien, Kroatien … Ist doch schon ein merkwürdiger Zufall.«
»Deine Probleme möchte ich haben.«
Rattner betrachtete die Protokolle, ohne sie wirklich zu lesen. »Ist das Mädchen heute gesprächiger?«, fragte er schließlich. Am Vortag war aus der vermeintlichen Täterin kein Wort herauszuholen gewesen, so sehr Rattner auch all seinen Charme zu versprühen versucht hatte. »Ist der Dolmetscher da?«
»Die Dolmetscherin. Sie ist da. Vom Staatsanwalt bestellt.«
»Hat sie den Mann tatsächlich umgebracht?«, fragte Rattner.
»Ich bin zwar kein Gott, und gerade du sagst ständig, dass ich keine Ahnung hätte, aber ich glaube, dass sie es war. Zudem gibt es in etwa fünfzig handfeste Beweise dafür.«
Rattner nickte, dann erhob er sich. »Okay. Du bleibst draußen. Die Dolmetscherin soll in fünf Minuten dazustoßen. Und ab da soll mitgeschnitten werden.«
Meisner fiel noch etwas ein: »Der Sohn des Opfers kommt übrigens gegen vierzehn Uhr. Hat ein wenig gedauert, bis er einverstanden war. Er sagte auch erst zu, als seine Familie nicht mehr mithören konnte.«
Gemeinsam verließen die beiden Herren älteren Semesters das Büro. Meisner blieb im technischen Vorraum, wurde dort von einer jungen Zivilangestellten unterstützt, während Rattner den kargen Verhörraum betrat.
Wie