Auf der anderen Seite der Schwelle. Raimund August

Auf der anderen Seite der Schwelle - Raimund August


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Kapitel 48

       Kapitel 49

       Kapitel 50

       Kapitel 51

       Kapitel 52

       Kapitel 53

       Kapitel 54

       Kapitel 55

       Kapitel 56

       Kapitel 57

       Kapitel 58

       Kapitel 59

       Kapitel 60

       Kapitel 61

       Kapitel 62

       Kapitel 63

       Kapitel 64

       Vorwort

      Zeitzeugen aus den 50er Jahren werden rar. Wer sich für die dunklen Nachkriegskapitel der Zeitgeschichte unseres Volkes interessiert, hält hiermit eines der wertvollsten Bücher in der Hand. Raimund August ist es gelungen, auch in seinem zweiten Buch äußerst anschaulich, authentisch und plausibel Geschichte durch erlebte Geschichten aus dieser Epoche nachfolgenden Generationen nahe zu bringen.

      Manches Mal wird sich der Leser fragen, wie jemand, der das hier Beschriebene als junger Mensch erleben musste, gesund alt werden konnte, ohne Schäden an Psyche und Körper davongetragen zu haben. Weder Larmoyanz noch Hass oder arrogante Überlegenheitsrhetorik grundieren das gelungene Kunstwerk.

      Wer es mit dieser Haltung nur mittels souveräner Anwendung der Sprache schafft, Erlebtes, Erkanntes und Durchschautes ohne ideologische Vorgaben lebendig, also nachvollziehbar werden zu lassen, ist durchaus ein Künstler, auch wenn dieser unspektakulären Kunstrichtung innerhalb der Zeitgeistmoden wenig Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte.

      Raimund August hat sein Leiden produktiv gemacht, denn Leid kann Sinn gebären. Vor allem dem, der schon vor einer Handlung wusste, dass sie ein Risiko birgt. Insofern erlebte er seinen geheimen Widerstand gegen die SED-Diktatur und sowjetische Besatzung sowie die darauf folgende Leidenszeit in den Gefängnissen der frühen „DDR“ bewusster und souveräner als jene, die nur schuldlos Opfer eines Unrechtssystems wurden und dieses grausame Unglück mit dessen posttraumatischen Folgen nie verkraften konnten und können.

      Schon für Aristoteles war das Martyrium einer gänzlich unverdienten Strafe „nicht tragisch, sondern grässlich“.

      Dass Raimund August zusätzlich noch den gewaltlosen Zusammenbruch des gesamten Ostblocks und die Wiedervereinigung Deutschlands erleben durfte, wird er sicher, ganz im Gegensatz zu seinem ehemals „besten Freund“, der ihn einst verriet, als eine besondere Gnade zu genießen wissen. Doch auch wissend, dass es in der Geschichte kein ewiges „happy end“ geben kann, hat er sich nicht auf die faule Haut gelegt, sondern aufgeschrieben und gestaltet, was er besonders jungen Menschen mitzuteilen hat. Unsere dunkle Vergangenheit ist, wie jeder sehen kann, in der weiten Welt noch immer Gegenwart; und so wird es leider für alle, die an keine „Endlösung“ glauben, auch in Zukunft sein. Selbst über Deutschland und Europa ziehen wieder und wieder bedrohliche Wolken auf.

      Es gibt Literatur und Kunst, die sowohl zum Leben nach dem Leben als auch zum Überleben unter widrigsten Umständen ermuntert. Dazu gehört dieses Buch.

       Siegmar Faust

       (politischer Häftling in Cottbus von 1974 bis 1976)

       Kapitel 1

      Die drei an einem sonnigen Märztag des Jahres 1954 vom Bezirksgericht Cottbus als Feinde des Volkes verurteilten jungen Männer: Sebastian Sebaldt, Totila Kunzmann und Wolfgang Mehring kletterten aus dem mit der Aufschrift VEB-Bäckereikombinat Cottbus getarnten fensterlosen Gefangenentransporter und fanden sich in einer gewölbten Durchfahrt wieder.

      „Guck mal“, flüsterte Sebastian seinem Freund Totila zu und wies mit einer Kopfbewegung auf ein Gittertor. Der Blick dort hindurch stieß auf eine hohe Wand aus rotem Backstein mit Reihen kleiner vergitterter Fenster, unter denen jeweils eine weiß aufgemalte Zahl stand.

      Alles Zellen, ging es Sebastian durch den Kopf.

      „Anheimelnd“, sagte Totila.

      Auch Wolfgang Mehring blickte nachdenklich in diese fremde Realität mit den roten Backsteinmauern und kleinen Gitterfenstern. Hier beginnt sie also, diese Welt, überlegte er. Eine Welt von der er bisher nur hinter vorgehaltener Hand gehört hatte.

      Eben noch in der Gerichtszelle nach der Verabschiedung von Angehörigen, denen sie den Gerichtsflur entlang nachgeblickt hatten … Bleiben Sie da!, hatte sie einer der Stasi-Schließer dort vor der Tür eben noch angeschnauzt und mit wedelnder Handbewegung von der Türschwelle zurück in die Gerichtszelle gescheucht. Und nun das hier.

      Doch ein Jahr wird auch vergehen, tröstete Wolfgang Mehring sich. Aber sieben Jahre wie sein Seminarfreund Totila oder gar zehn wie dieser Sebastian? Nee wirklich! Gar nicht auszudenken …

      Drei Uniformierte, die aus einer Tür in die Durchfahrt getreten waren, durchsuchten die Kleidung der drei Neuzugänge, klopften sie ab, griffen in alle Taschen, teilweise mussten die drei sich auch ausziehen. Die Nähte wurden gefilzt und die Schuhe untersucht … danach berieten die Posten sich kurz und blätterten dabei in mitgeschickten Papieren. „Langstrafer“, vernahmen die Freunde von den Wachtposten, die diesen Begriff unter sich gebrauchten, zum ersten Mal. So wurden sie dann auch gleich vorsortiert, indem Mehring als erster, die Hände auf dem Rücken, durchs Gittertor und über den Hof weggeführt wurde.

      Für die Verurteilten neigte sich ein langer Tag allmählich seinem Ende zu.

      Schließlich gingen auch Totila und Sebastian, die Hände auf dem Rücken und einen Wachtposten hinter sich, gemeinsam über diesen Hof. Die Sonne stand bereits schräg hinter den Gebäudekomplexen der Anstalt, die schon längere Schatten warfen. Wolkenflocken schwammen, in einem rosa Licht leuchtend, im dämmernden Blau eines weiten Abendhimmels.

      Gut, sagte Sebastian sich, dass man überhaupt wieder mal in die Weite eines Himmels blicken konnte, ganz gleich ob in einen blauen Frühlings- oder grauen Winterhimmel. Das schneeverhangene Grau oder dunkle Blau eines Himmels an eisig klaren Wintertagen hatte er monatelang nur durch die kleinen Rillenglasscheiben der vergitterten Fenster eines Stasiverlieses verschwommen wahrnehmen können. Wenigstens etwas hatte sich schon verbessert und eine Ungewissheit war der Gewissheit gewichen. Er kannte nun auch die Höhe seines Urteils und konnte in die Weite eines hohen Himmels blicken.

      Die beiden Freunde fanden sich schließlich von einem Wachtposten dirigiert


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