Auf der anderen Seite der Schwelle. Raimund August

Auf der anderen Seite der Schwelle - Raimund August


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antwortete Sebastian.

      „Se melden sich als Strafgefangene Kunzmann und Sebaldt mit Zellennummer, wo Se sich grade aufhalten.“

      „Wir kennen aber die Nummer hier gar nicht“, sagte Sebastian.

      Der Wachtmeister winkte ab. „Se bleiben ja nich hier, wissen aber jetzt Bescheid.“ Dann verließ er auch schon die Zelle, ohne dass das mit der Nummer geklärt worden war. Schloss und Riegel krachten wieder und Schritte entfernten sich auf dem Gang.

      Draußen wanderten die Schlagschatten der Gebäude, allmählich länger geworden, ganz langsam über den Hof.

      „Wie spät könnte es sein?“

      Totila zuckte mit den Schultern und hob dazu die Hände. „Halb sieben, sieben …“, sagte er. „Schätze ich wenigstens.“

      „Auch so ’ne Sache: Wir werden über Jahre nicht selber mehr eine Uhrzeit ermitteln können“, sinnierte Sebastian laut vor sich hin.

      Totila schüttelte den Kopf. „Was willst du hier mit ’ner Uhr? Aber jetzt ganz was anderes“, fuhr er fort, „hast du schon mal dran gedacht, dass wir den ganzen Tag noch nischt zu essen gekriegt haben?“

      Sebastian, der wieder zum Fenster hinaus sah, wandte sich um. „Da haste Recht.

      Mir fehlt aber noch jedes Hungergefühl“, sagte er. „Überleg’ doch mal was wir in der Gerichtszelle alles in uns hineingefressen haben. Wenn das nicht gewesen wäre … aber das alles werden wir nun jahrelang nicht mehr zu sehen kriegen.“

      „Doch das jetzt hier …“ Totila sah sich um. „Was die sich dabei bloß denken?“

      „Wahrscheinlich gar nichts“, antwortete Sebastian. „In keinem der Lenin’schen oder Stalin’schen Manifeste steht ja geschrieben, dass sie uns als ihre Feinde lieben sollen.“

      „Du meinst, weil Liebe angeblich durch den Magen geht?“

      Dann schwiegen beide wieder. Sebastian sah zum Fenster hinaus in den rosa und violett angehauchten Abendhimmel, in dem die fernen Kronen der alten Kastanienbäume sich schwarz wie Scherenschnitte abzeichneten.

      Totila saß grübelnd leicht zusammengesunken auf seinem Hocker.

      Beide vernahmen dann das lärmende Krachen von Schlössern, das näher kam.

      Sie stellten sich in einigem Abstand vor der Türe auf, bis auch die aufsprang und ein uniformierter Schließer mit einer Art Kladde in der einen und einem Stift in der anderen Hand sie auffordernd ansah.

      „Zelle …“ Totila zögerte einen Moment, „wir wissen die Nummer noch nicht“, sagte er, „aber belegt mit zwei Strafgefangenen, meldet Strafgefangener Kunzmann.“

      „Was?“, fragte der Schließer, streckte den Kopf leicht vor und drehte ihn dabei etwas zur Seite. „Wollen Se mir vielleicht off ’n Arm nehmen? Sie kenn’ die Nummer Ihrer Zelle nich?“

      „Wir sind doch erst seit heute hier …“, versuchte Sebastian zu erklären.

      Der Schließer zog seinen vorgestreckten Kopf zurück. „Sie hatten doch Oogen im Koppe als Se hier her gebracht wurden oder könn’ Se keene Zahl’n lesen?“ Bevor der Stationskalfaktor schließlich die Türe zuwarf, hörten sie den Schließer noch so was wie „Zelle fünfundzwanzig“, brummen. Dann krachte auch schon das Schloss und der schwere Riegel klirrte in seine Halterung.

      „Könn’ Se keene Zahl’n lesen?“, äffte Totila den Schließer nach. „Ich möchte den mal sehen ob der, grade eben zu vielen Jahren Zuchthaus verurteilt, dann auf Zellennummern achten würde.“

      Sebastian zuckte lächelnd mit den Schultern. „Zellennummern“, sagte er, „gehören nun mal in seinen Alltag. Wahrscheinlich kann der sich nicht vorstellen, dass für einen der gerade eben sieben oder zehn Jahre Knast verpasst gekriegt hat, anderes wichtiger ist als Zellennummern.“ Dabei ging er vor den Fenstern langsam auf und ab. „Na gut“, sagte er, „Nummer fünfundzwanzig, das wissen wir jetzt.“

      „Vorhin der eine Schließer hat aber gesagt, wir blieben sowieso nicht hier“, erinnerte Totila den Freund.

      „Weiß ich“, sagte der. „Die von nebenan“, dazu wies er mit dem Daumen gegen die Wand, „haben ja auch erklärt wir würden ins Zellenhaus kommen, als Langstrafer.“

      „Na schön, heute wird nichts mehr passieren“, sagte Totila, „das geht erst morgen richtig los. Wir werden uns bald ein Bett aussuchen müssen.“

      Beide saßen auf vorgefundenen Hockern. Sebastian lehnte sich gegen den Tisch, einen Arm flach auf der Tischplatte.

      Und Totila saß vorgebeugt, mit den Ellenbogen auf den Knien. „Wirklich nicht zu sagen“, erklärte er nach längerem Schweigen und richtete sich auf, „wie beschissen die Lage ist!“

      „Das wird uns erst langsam klar werden“, bestätigte Sebastian diese kohlrabenschwarze Einschätzung des Freundes. „Mir ist so als wäre das mit der Verhandlung schon viele Tage her, dabei war’s erst heute Nachmittag. Aber immerhin, Zeit haben wir ja genug.“

      Und wieder schwiegen beide. Jeder mit sich alleine und mit dem beschäftigt was in weiter Ferne lag, wie ein Nebel der noch undurchdringlich schien. Draußen stieg dunstig die Dämmerung auf, vom Scheinwerferlicht der Wachtürme diesig zerstrahlt und zurückgeworfen vom Weiß der Mauern und Werkstattgebäude.

      Totila war ans Fenster getreten. „Du meine Güte, da oben sieht man ja schon die Sterne“, und er wies mit der Hand in den Nachthimmel. Es ist spät …“

      „Bei dieser Lampenherrlichkeit da draußen wird’s eben nie dunkel in den Zellen.

      „Man wird sich daran gewöhnen müssen. Wir sollten uns auf ’s Ohr hauen.

      Morgen werden die uns bestimmt zeitig rausschmeißen.“

      „Kannst du denn schlafen?“, fragte Totila und sah den Freund zweifelnd an.

      „Ich denke schon. Das ganze Theater heute war doch anstrengend genug.“

      „Richtig, aber ich bin noch ganz schön aufgekratzt … mal seh’n ob’s klappt mit dem Einschlafen. Aber hinhauen sollten wir uns schon, da haste recht. Morgen kommt ja noch einiges auf uns zu. Und ob wir dann noch zusammenbleiben, steht auch in den Sternen.“

      „Damit sollten wir vielleicht besser nicht rechnen. Dann seh’n wir uns womöglich nur noch von weitem draußen bei der Freistunde.“

      Totila hob dazu nur kurz die Schultern.

       Kapitel 2

      Als die schrillen Schläge einer Glocke die beiden auf ihren Strohsäcken in die Höhe fahren ließen. sahen sie sich verstört um.

      „Scheiße“, entfuhr es Sebastian.

      „Bitte etwas vornehmer“, murmelte Totila noch nicht ganz wach. „Elend kalt heute Nacht“, sagte er und rieb sich die Hände. „Eiskalt und klamm die Pfoten …“

      „Und nicht nur die“, ergänzte Sebastian.

      „Also Decken hätten die uns schon geben müssen …“

      „Was heißt müssen? Deine bürgerlichen Rechte sind dir als Kriegsverbrecher vom Gericht gestern gerade eben aberkannt worden.“

      „Es gibt schließlich Menschenrechte.“

      Sebastian lachte. „Ja schon“, sagte er, „aber wo fangen die hier an und wo hören sie auf?“

      „Hörst du?“, unterbrach Totila Sebastians skeptische Ausführungen und hob dazu, den Kopf lauschend gegen die Tür gerichtet, die Hand: „Wir müssen machen“, sagte er dann, „die sind gleich hier. Angezogen sind wir zum Glück schon …“ Beide fuhren in die Schuhe ohne Schnürsenkel und standen in dem Moment im vorgeschriebenen Abstand vor der


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