Im Paradies des Teufels. Klaus-Peter Enghardt
entstammten allen sozialen Schichten, aber wenn man sie nach ihren Berufen fragte, gab es nur drei Antworten: Teacher, Driver, Ingeneer – also Lehrer, Kraftfahrer und Ingenieur.
Die Praxis sah allerdings ganz anders aus und war speziell zu Beginn der Baumaßnahme ziemlich anstrengend.
Ich wurde zur Vormontage eingeteilt. Schon nach relativ kurzer Zeit war ich Leitmonteur für einen deutschen Monteur und acht ägyptische Arbeitskräfte. Unsere Aufgabe war es, zeichnungsgerecht und mit möglichst geringer Toleranz die Wandsegmente und die Giebel im Rohbau vorzumontieren.
Meine ägyptischen Helfer bemerkten sehr schnell, dass ich umgänglicher war als manch einer meiner deutschen Kollegen. Sie versuchten ein freundschaftliches Verhältnis zu mir aufzubauen. Zuerst durchschaute ich ihre Freundlichkeit nicht, aber schon bald bemerkte ich, dass die mir angebotene Freundschaft eine bestimmte Absicht verfolgte.
Kurz nach dem Arbeitsbeginn bekam ich von einem der Ägypter eine Zigarette angeboten und wir machten eine Zigarettenpause.
Nach einer Weile bot mir ein anderer Ägypter eine weitere Zigarette an und wieder machten wir eine Zigarettenpause. Das wiederholte sich noch einige Male am Tag.
Aus Höflichkeit lehnte ich die mir angebotenen Zigaretten nicht ab. Das ging drei bis vier Tage so, bis mir die Lunge wehtat, weil ich bei der Hitze während einer Schicht täglich bis zu zwanzig Zigaretten geraucht hatte und dementsprechend Rauchpausen eingelegt wurden. Dann endlich hatte ich dieses System entschlüsselt.
Jeder der ägyptischen Arbeitskräfte war der Reihe nach dran, mir eine Zigarette anzubieten.
Als ich bemerkt hatte, dass ich ausgetrickst werden sollte, reagierte ich allerdings anders, als wohl erwartet wurde. Ich steckte mir die angebotene Zigarette in den Mund und arbeitete weiter und das Gleiche verlangte ich nun auch von den Ägyptern. Von diesem Zeitpunkt an rauchte ich kaum mehr als zehn Zigaretten am Tag und das waren meist meine eigenen.
Eines Morgens schrie ein ägyptischer Arbeiter voller Angst nach mir und zeigte mir eine riesengroße, haarige Vogelspinne, die in ein Ankerloch der Betonplatte unserer geplanten Halle gefallen war.
Im ersten Augenblick war ich ebenfalls ziemlich erschrocken und ich erinnerte mich an die Aussage der Kollegen, dass es auf dieser Baustelle viele Spinnen, Schlangen und Skorpione geben würde.
In jenem Moment allerdings verspürte ich merkwürdigerweise keinerlei Ekel oder Angstgefühl, ich war vielmehr von der haarigen Schönheit fasziniert, obwohl mir die Ägypter versicherten, dass diese Spinnenart sehr giftig sei. Mich beeindruckten ihre kräftigen Farben und ihre Wildheit, denn sie wollte sich mit ihrer Situation der Gefangenschaft nicht abfinden und sprang in diesem Ankerloch dreißig Zentimeter in die Höhe. Ich hielt der Spinne einen langen Holzspan entgegen und sie biss sich sofort daran fest. Vielleicht ahnte sie, dass ihre Rettung naht, vielleicht war es auch nur ein Reflex. Als ich das Tier mit dem Span aus dem Ankerloch holte, liefen die Ägypter entsetzt davon. Auch die Spinne nahm Reißaus und brachte sich in Sicherheit. Sicher war das Abenteuer für sie ebenso groß wie für mich.
Früh am Morgen, wenn wir die Baustelle betraten, sahen wir im Wüstenboden in den Sandverwehungen Spuren wie von ganz kleinen Spielzeugautoreifen, die unter unsere Materialcollies verliefen. Die ägyptischen Kollegen erklärten mir, dass diese Spuren von Skorpionen stammen würden. Merkwürdigerweise beunruhigte mich das weniger, als ich noch vor einiger Zeit gedacht hatte.
Um allerdings nicht von den Tieren gestochen zu werden, ordnete ich an, dass nur mit Arbeitsschutzhandschuhen gearbeitet werden dürfe und dass wir vor Beginn der Arbeit erst mit Knüppeln gegen die Collies schlagen müssten, um die Skorpione zu vertreiben, die unter dem Material Schutz vor der großen Tageshitze suchen wollten und gegen Lärm allergisch waren.
Das war dann ein Gewimmel. Manchmal kamen etwa zwanzig Skorpione unter den Collies hervorgekrabbelt, nachdem wir ordentlich Krach gemacht hatten.
Es gab auf unserer Baustelle drei verschiedene Arten von Skorpionen. Eine Art war gelb bis hellbraun, diese Tiere waren bis zu sechs Zentimeter groß. Eine andere Art war hellbraun bis dunkelbraun und bis zu acht Zentimeter groß und die größte Art waren schwarze Skorpione, die bis zu zwölf Zentimeter groß werden konnten. Diese Tiere sahen schon recht spektakulär aus und ich hätte es mir gern erspart, nähere Bekanntschaft mit so einem Tier zu schließen. Doch für den Ernstfall gab es eine Vorsichtsmaßnahme. Auf der Baustelle hatten wir in unseren Bauwagen Sanitätskästen, in denen Formulare lagen, auf denen in Deutsch, Englisch und Arabisch geschrieben stand, dass man entweder von einer Schlange oder einer Spinne gebissen oder von einem Skorpion gestochen wurde und um ein Antidot bat.
Sollte dieser Fall tatsächlich einmal eintreten, musste so ein Zettel in das nächste Krankenhaus mitgenommen werden, falls man nicht in der Lage wäre, sich zu verständigen.
Das nächste Krankenhaus befand sich in der Stadt Falludscha und war in etwa zwanzig Minuten zu erreichen.
Notfallmedikamente zur Selbstmedikation, gab es auf den Baustellen leider nicht. Warum dies nicht der Fall war, erfuhr ich von unserem Tropenarzt über zwei Jahre später.
Zum Glück trat der Ernstfall nicht oft ein, aber ich kann auch nicht behaupten, dass wir das Krankenhaus gar nicht in Anspruch genommen hätten. Denn, obwohl ich meinen ägyptischen Kollegen ständig einschärfte, nie ohne Arbeitsschutzhandschuhe zu arbeiten und auch sonst die täglichen Vorsichtsmaßnahmen nicht zu vernachlässigen, ließen die Ägypter ihre Handschuhe dauernd irgendwo liegen, entsprechend hoch, war der Verschleiß. Den Männern blieb im Fall eines Verlustes nichts weiter übrig, als ohne Handschuhe zu arbeiten, wenn ich nicht gerade in der Nähe war und neue Handschuhe ausgeben konnte.
Eines Tages erfolgte die Montage der Wandplatten auf die fertiggestellten Wandsegmente. Die Platten lagerten auf Stapeln und waren durch Spannbänder vor dem Verrutschen gesichert. Vor Ort wurden dann die Spannbänder von einem ägyptischen Kollegen entfernt und in Abfallbehälter gesteckt.
An jenem Tag hatte er wieder einmal seine Handschuhe verbummelt und löste die Spannbänder mit bloßen Händen. Ein Band hatte sich dabei unter dem Plattenstapel verklemmt, so dass der Arbeiter beherzt und ohne zu überlegen unter den Stapel griff, um das Band herauszureißen. Plötzlich hörte ich einen markerschütternden Schrei und gleich darauf aufgeregte Rufe der ägyptischen Arbeiter.
Sie kamen zu mir gelaufen und teilten mir mit, dass einen ihrer Kollegen ein Skorpion gestochen hat.
Obwohl der Stich erst wenige Sekunden zuvor erfolgte, war der Ägypter bereits fast leblos, als ich bei ihm ankam – jedenfalls machte er diesen Eindruck. Er lag schmerzverzerrt im Wüstensand und der Tod schien ihm bereits zuzuwinken.
Detlef holte seinen Toyota „Landcruiser“ und als wir den Verletzten in den Jeep legten, war plötzlich doch noch eine ganze Menge Leben in dem Mann. Der vorzeitige Feierabend und die Situation, im Mittelpunkt zu stehen, weckten seine Lebensgeister auf wundersame Weise.
In kluger Voraussicht nahmen wir einen ägyptischen Kollegen mit in das Krankenhaus, um die Verständigung zu erleichtern. Wir fuhren nach Falludscha in ein kleines, recht gut ausgebautes Hospital. Die Räume waren in Weiß und Grün gestrichen und sauber, das schaffte schon einmal Vertrauen. Wir gingen zur diensthabenden Ärztin und erklärten ihr, was passiert war. Eigentlich war es recht ungewöhnlich, dass eine Ärztin die Behandlung durchführte, aber auch im Irak hielt der Fortschritt Einzug.
Die Ärztin führte die beiden Ägypter wortlos in das Behandlungszimmer, in dem sich zwei Schwestern befanden.
Nach einem kurzen Behandlungsgespräch und einer noch kürzeren Untersuchung der Einstichstelle holte die Ärztin dann eine riesige Spritze hervor und plötzlich war sogar wieder ganz viel Leben in dem Ägypter.
Er sprang vom Behandlungstisch und wollte fliehen, aber da hatte er die Rechnung ohne die beiden Schwestern gemacht. Sie packten ihn und schleppten ihn unter allgemeinem Geschrei zurück. Die resolute Ärztin rammte ihm die riesige Spritze in den Oberschenkel, was zunächst einen unmenschlichen Schmerzensschrei des Patienten hervorrief und später in einen ohnmachtsähnlichen Zustand überging, als die Spritze wieder aus dem Oberschenkel herausgezogen wurde.