Im Paradies des Teufels. Klaus-Peter Enghardt

Im Paradies des Teufels - Klaus-Peter Enghardt


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verstehen, die irgendwann ein Exempel statuieren musste, denn die Vorfälle, die sich unter Alkoholgenuss mehrten, wurden allmählich zu einem sehr ernst zu nehmenden Problem in unserer Firma, auf allen Baustellen des Irak.

      HERMANN, DER FEIGE HUND

      Wenn am Abend die größte Hitze vorbei war und sich die Temperatur unter 40° Celsius eingepegelt hatte, ging ich gern noch in unserer näheren Umgebung spazieren, um ein paar Eindrücke zu sammeln. Naturgemäß hatte kaum ein Kollege Lust, mich zu begleiten, die meisten waren froh, abends ihre Ruhe zu haben.

      Richard war inzwischen ausgereist.

      Aus diesem Grund hatte ich mich mit einem Hund angefreundet, der in unseren beiden Häusern lebte. Das Tier pendelte immer hin und her, je nachdem, wer Zeit für ihn hatte. Die Kollegen hatten ihm den Namen „Hermann“ gegeben, auf den er auch recht gut hörte. Hermann war ein Mischling, von der Größe eines Schäferhundes, hatte allerdings eine kleine Macke, er konnte keine Kinder leiden. Wahrscheinlich hatte er mit ihnen irgendwann schlechte Erfahrungen gemacht, denn die Kinder bewarfen die Hunde im Wohngebiet gern mit Steinen.

      Hermann hörte recht gut auf meine Befehle und deshalb hatte ich kühn beschlossen, den Hund zu meinen Spaziergängen mitzunehmen, natürlich ohne Leinenzwang.

      Eines Abends war ich einmal wieder mit Hermann unterwegs. Wir gingen eine ziemlich große Runde und machten an einem Straßenlokal Rast. Ich trank dort einen kühlen Saft und rauchte eine Zigarette, schaute den Jugendlichen beim Fußball spielen zu und machte ein paar Fotos von ihnen, Hermann wurde mit einer Schale Wasser zufriedengestellt. Inzwischen kannte man uns hier schon und ich unterhielt mich mit englischen Vokabeln und viel Handarbeit mit den Jugendlichen und dem Mann hinter der Theke. Anschließend setzten wir wie immer unsere Runde fort. So auch dieses Mal, aber es sollte nicht enden wie sonst.

      Als wir ein Stück gegangen waren, kam uns ein etwa zehnjähriger Junge entgegen gelaufen.

      Er hüpfte lustig von einem Bein auf das andere und nahm uns beide gar nicht wahr. Als er nur noch wenige Meter von uns entfernt war, bemerkte der Junge zunächst mich und sogleich auch den Hund und machte nun einen folgenschweren Fehler. Er sprang zur Seite und lief fort. Hermann, der nicht angeleint war, sprang natürlich in langen Sätzen hinterher, laufen konnte der nämlich auch sehr gut. Er sah das Ganze wohl für einen sportlichen Wettkampf an. Der Junge lief im Zickzack und wollte über die Straße fliehen, aber er schaffte es nicht mehr, denn von hinten kam ein Bus angefahren, der den Kleinen erfasste. Durch die Wucht des Aufpralls wurde der Junge einige Meter durch die Luft geschleudert und blieb schließlich an der Seite liegen.

      Hermann zog es sofort vor, sich zu verdrücken, aber ich stand wie gelähmt auf der Stelle und wollte den Jungen natürlich nicht seinem Schicksal überlassen, ohne zu helfen, doch meine Sorge um den Jungen wäre mir um ein Haar zum Verhängnis geworden.

      Der Bus hielt an, die Türen öffneten sich und sofort schloss sich ein Ring von Menschen um mich.

      Ich hatte bereits ein paar Mal gehört, was mit Ausländern passiert war, wenn bei Unfällen Kinder in Mitleidenschaft gezogen wurden. Und auch bei mir begann die Situation bald zu eskalieren. Abgesehen vom kreischenden Geschrei der Frauen und von den Drohgebärden der Männer, bestand zunächst keine direkte Gefahr, doch schon bald putschte sich die Masse gegenseitig auf, die Frauen stießen mich in die Seite und die Männer zogen und schubsten an mir herum und verpassten mir den einen oder anderen Faustschlag.

      Glücklicherweise schlug der Junge seine Augen bald wieder auf, wurde von den Leuten abgetastet, und als er aufstehen konnte und fortlief, öffnete sich der Ring um mich und man ließ mich schließlich mit einigen Knüffen und Tritten ebenfalls ziehen.

      Ich war schwer gedemütigt, weil ich die Prügel ohne mich zu wehren entgegen nehmen musste, doch mich gegen den aufgebrachten Mob zu wehren, wäre wohl mein Untergang gewesen. Ich mochte mir gar nicht vorstellen, was die Leute mit mir gemacht hätten, wenn dem Jungen etwas Schlimmeres passiert wäre.

      Nachdenklich ging ich nach Hause und fühlte mich im doppelten Sinn angeschlagen, außerdem war mir der Schreck gehörig in die Glieder gefahren. Hermann war weit und breit nicht zu sehen, wahrscheinlich hatte er ein schlechtes Gewissen und lag hinter einer schützenden Hausecke, der feige Hund.

      Am nächsten Tag blieb ich nach der Arbeit zu Hause und verbrachte den Abend auf unserer Dachterrasse, das war ungefährlicher.

      Auf der Terrasse gegenüber saß ein junges Mädchen, von vielleicht siebzehn Jahren, das offenbar für die Schule lernte, denn sie las in einem Buch, dass sie von Zeit zu Zeit senkte und dann vor sich her sprach. Ich hatte dieses Mädchen schon ein paar Mal auf der Dachterrasse gesehen und stellte an jenem Nachmittag fest, dass auch sie mich beobachtete. Sie tat so, als lese sie in ihrem Buch, aber ich bemerkte, dass sie über den Buchrand hinweg schaute und als sie sich ertappt sah, lächelte sie schüchtern.

      Ich winkte ihr heimlich zu, da stand sie auf und ging ein paar Meter zur Seite, bis sie durch eine Mauer vor den Blicken der Nachbarn geschützt war. Dann winkte sie zaghaft zurück und warf mir ein paar Küsschen zu. Ich dachte, ich hätte Halluzinationen. Einem Mann ein Küsschen zuzuwerfen war für ein irakisches Mädchen mehr als gewagt, einem ausländischen dazu noch viel verwegener.

      Das hatte sie sicher in einem europäischen oder amerikanischen Film gesehen.

      So schäkerten wir einige Tage, bis ich ihr plötzlich, nach einem abendlichen Spaziergang, vor ihrem Haus am mit Hecken bewachsenen Gartenweg begegnete. Ich schaute mich kurz um, ob wir unbeobachtet waren, und lud sie ins Kino ein. Sie errötete und war völlig verlegen, sagte aber „maybe“- vielleicht.

      Leider waren wir aber doch nicht ganz unbeobachtet, denn ihr Bruder, ein Bürschchen von etwa zehn bis zwölf Jahren, erlauschte unser kurzes Gespräch aus sicherem Versteck.

      Als ich nämlich am anderen Abend wieder am Haus vorbei ging, schaute das Mädchen durch die Scheibe eines Fensters der oberen Etage und auf mein Zeichen, nach unten vor das Haus zu kommen, schüttelte sie ihren Kopf und bedeutete mir mit einer Geste, indem sie die flache Hand auf ihre Wange legte, dass sie am vorigen Abend Ohrfeigen bekommen hatte, wohl weil ihr Bruder sie verpetzte. Ich ging dann die paar Schritte nach Hause und schrieb einige Zeilen an sie. Anschließend näherte ich mich wieder ihrem Haus und zeigte ihr, wohin ich den Zettel legte. Ich selbst ging dann weiter, beobachtete aber, ob das Mädchen den Zettel aufhob.

      Sie kam tatsächlich aus dem Haus und wollte das Papier aufheben, jedoch in jenem Moment, als sie sich danach bückte, sprang ihr Bruder aus dem Gebüsch, stürzte sich auf den Zettel und lief davon. Es war nur eine simple Kinoeinladung, aber für ein arabisches Mädchen war das völlig unmöglich. Hätte ich mich nicht erst einige Wochen in diesem Land aufgehalten, dann wäre mir das bekannt gewesen.

      Ein paar Tage sah ich das Mädchen dann nicht mehr, aber irgendwann stand sie wieder in ihrem Gartenweg und winkte mir heimlich zu. Das ermutigte mich, aus dem Haus zu gehen. Ich schlenderte in ihre Richtung und als ich ein paar Meter von ihr entfernt war, ging sie einige Schritte zurück, streckte ihre Hand aus und machte eine Handbewegung, die mir bedeutete, dass ich ihr folgen sollte.

      Jedenfalls legte ich ihre Handbewegung so aus, denn ich wusste bis dahin nicht, dass eben diese Handbewegung im Irak genau das Gegenteil von dem bedeutete, was wir in Deutschland darunter verstehen.

      Ich folgte dem Mädchen also, die eilig im Haus verschwand und durch das Fenster die gleiche Bewegung machte. Als ich dann verwundert im Haus stand und das Mädchen nicht mehr zu sehen war, überlegte ich kurz, ob ich wohl die Treppe hinaufgehen und nachsehen sollte, wohin sie verschwunden war. Der Umstand, dass ich es nicht tat, rettete mir höchstwahrscheinlich das Leben, denn irgendetwas in meinem Unterbewusstsein sagte mir, dass ich mich schleunigst zurückziehen sollte.

      Ich hatte ein äußerst ungutes Gefühl und verließ das Haus – keine Minute zu früh.

      In dem Moment nämlich, als ich aus dem Gartenweg auf die Straße trat, bog ein Pickup um die Ecke, den ich als den Wagen ihres Vaters erkannte. Der Mann hatte irgendwo in Bagdad ein Elektrowarengeschäft und kam normalerweise


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