Traumzeit für Millionäre. Roman Sandgruber

Traumzeit für Millionäre - Roman Sandgruber


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       Anm.: Ergebnisse der Personaleinkommenssteuer für 1910; Gesamtsumme der Einkommensbezieher aufgrund der Volkszählungsergebnisse 1910 (Haushaltsvorstände, Dienstboten, Gesinde, Inwohner und Bettgeher; nicht eingerechnet sind Angehörige, Pflegekinder und sonstige Personen), Durchschnittseinkommen, inklusive der Habsburger, oberstes Zehntelpromille 5,6 Prozent in Niederösterreich bzw. 6,4 Prozent in Wien. Die weit verbreitete Steuerbefreiung der Herrscherhäuser wurde in den von Atkinson und Piketty herausgegebenen Studien offensichtlich nirgendwo berücksichtigt. Eigene Berechnungen

       Errechnete Einkommensverteilung, 1910

      (Anteile der obersten Percentilen am Gesamteinkommen)

      Im Ländervergleich zeigte die Habsburgermonarchie 1910 kein von den übrigen industrialisierten Ländern abweichendes Bild der Einkommensverteilung. Letztere war überall sehr ungleich. Auffallend ist allerdings die starke Konzentration der großen Einkommen auf die Hauptstadt Wien. Auch in Deutschland gab es eine extrem ungleiche Einkommensverteilung. Doch die Konzentration der Spitzeneinkommen auf Berlin war viel weniger stark. Von den 15 höchsten Einkommensbeziehern in Preußen um 1910 wohnte kein einziger in Berlin. Bertha Krupp wohnte in Essen, die Industriellen waren am Rhein oder in Schlesien, die Bankiers in Frankfurt und Hamburg, die Adeligen auf ihren Gütern. Ernst von Mendelssohn-Bartholdy war 1908 der reichste Mann Berlins. Er rangierte in Preußen an 17. Stelle. Vor ihm lagen vier andere Bankiers.11 Auch der regierende Adel konzentrierte sich nicht allein auf Berlin, sondern auch auf München, Dresden und die anderen Residenzstädte der deutschen Duodezfürsten.

      In den USA konzentrierten sich die Spitzeneinkommen ebenfalls nicht so ausschließlich auf New York, schon gar nicht auf die Hauptstadt Washington, sondern waren gleichmäßiger übers Land verteilt. Am ehesten konnten London oder Paris eine mit Wien vergleichbare Verteilung der Spitzeneinkommen aufweisen.

       Spitzeneinkommen um 1910 in europäischen und außereuropäischen Ländern

      (Anteile der obersten Percentilen am Gesamteinkommen)

       Quellen: Atkinson/​Piketty, Top Incomes over the 20th century; Atkinson, Top incomes: a global perspective; für Österreich eigene Berechnungen.

      

       Die prachtvolle Residenz des Reichsten der Reichen: das Palais Albert Rothschild in der Prinz-Eugen-Straße 20 – 22, erbaut 1879 – 1894 nach Plänen des französischen Architekten Gabriel-Hippolyte Destailleur, abgerissen 1954.

      Die 929 reichsten Wiener und Niederösterreicher, etwa 0,7 Promille der Haushalte, erzielten 9,8 Prozent der Einkommen. Ihre Namen und Einkommen sind überliefert: Es sind alte Adelige und neureiche Juden, berühmte Ärzte und geistreiche Damen, zielstrebige Parvenus und gefeierte Künstler, orthodoxe Gläubige und liberale Agnostiker, erfolgsverwöhnte Manager und Schwarze Schafe, Erben und Glückspilze, und oft unendlich unglücklich.12

      Sie sind zu 90 Prozent männlich, zu fast 60 Prozent jüdisch, zu 10 Prozent von altem Adel. Alle sind sie unermesslich reich; sie sind mit Wien verbunden; zuvorderst durch den Wohnort, nicht immer durch den Standort ihrer Unternehmen, häufig durch die Funktion bei Hofe oder in der Öffentlichkeit und durch ihre mehr oder weniger starke Integration in das Wiener Gesellschaftsleben. Sie wurden nicht älter als der Durchschnitt der Bevölkerung. Der Großteil erlebte den Zusammenbruch des Reiches, musste in Hyperinflation und Weltwirtschaftkrise das Zusammenschmelzen seiner Ressourcen hinnehmen und geriet, wenn es sich um Juden handelte, zu einem nicht geringen Teil auch noch in den Holocaust des Nationalsozialismus.

      Entscheidende Faktoren für Einkommen und Vermögen waren das Lebensalter, das Geschlecht, die Ausbildung, die Branche und vor allem die Herkunft, das Erbe und die Heirat, und bis zu einem gewissen Grad auch das Glück. Es sind nicht immer sympathische Charaktere. Sie können unsozial, arrogant, aufbrausend, gewalttätig sein, nicht immer so kunstliebend, wie wir glauben, und vor allem nur selten der damaligen Moderne zugetan. Aber es waren Menschen, die das Gesicht Wiens und Österreichs bis heute entscheidend geprägt haben.

       Die Verteilung der Millionäre nach Kronländern und Städten 1910

       Quelle: Mitteilungen. d. k. k. Finanzministeriums; Statistisches Handbuch.

      Ihre Einkommen konnten recht zufällige Quellen haben, am zufälligsten, wenn sie aus einem Lottotreffer stammten: Ein Kaufmann aus dem niederösterreichischen St. Ägyd am Neuwald, eine Pfaidlerin aus dem sechsten Wiener Gemeindebezirk und ein kleiner Wiener Bankier waren 1910 durch Lottogewinne zu Millionären geworden. Auch Börsenspekulanten zählten zu diesen Glücksrittern. Was besonders auffällt: Hohe Einkommen und großer Reichtum sind recht flüchtig. Der Reichtum konnte in wenigen Jahren erreicht und gleich wieder verloren sein. Nur mehr ganz wenige der damaligen Familien finden sich noch heute an der Spitze der Einkommenspyramide. Von den fast 1.000 Personen sind weniger als 150 im Österreichischen Biographischen Lexikon einer Erwähnung für wert befunden, wohl nicht deswegen, weil sie schlicht übersehen und vergessen worden wären, eher schon, weil Wirtschaftstreibende von einer stärker geistes- und kulturgeschichtlich orientierten Forschung von vorneherein als weniger erwähnens- und erinnerungswert betrachtet wurden, und zu einem Teil wohl auch, weil ein hohes Einkommen nicht unbedingt mit entsprechender wirtschaftlicher oder kultureller Exzellenz einhergehen muss, schon gar nicht mit einer dauerhaften wirtschaftshistorischen oder kulturhistorischen Bedeutung.

      Man kann die Einkommensbezieher grob nach den von ihnen angegebenen Berufen einzelnen Kategorien wie Grundbesitz, Banken, Industrie, Handel, freie Berufe, Rentiers und Sonstige zuordnen, ohne damit allerdings etwas darüber aussagen zu können, woher sie ihre Einkommen tatsächlich bezogen. Bei Beamten, die ein Einkommen von mehr als 100.000 Kronen deklarierten, konnte dieses nur aus anderen Quellen stammen. Bei manchen Adeligen wiederum kamen die Einkünfte nicht nur aus Grundbesitz und Wertpapieren, sondern auch aus Beamtenbezügen und Hofämtern.

      Sie waren Pferdenarren und Autonarren, Jäger und Golfer, Mäzene und Kunstliebhaber, Autokraten und Lebemänner, Verschwender und Geizhälse, Emporkömmlinge und uralter Adel. Man kann die Millionäre nach Religionsbekenntnis und Herkunft gruppieren, nach ererbten und erworbenen Adelstiteln, nach Wohnbezirken, verliehenen Orden und Mitgliedschaften, nach Sterbejahr und Sterbealter, nach Verwandtschaften und Eheschließungen, kann ihren Autobesitz oder ihre Mitgliedschaften und Ehrenämter erheben und natürlich auch fragen, was aus ihnen und ihrem Vermögen geworden ist. Jeder der 929 Lebensläufe macht neugierig. Zusammen bieten sie ein Porträt jener Epoche, die die aufregendste in der Geschichte Wiens und Österreichs darstellt, von der die Stadt und das Land immer noch zehren und die doch unwiederbringlich untergegangen ist.

       Theodor Zasche Ringstraßengesellschaft an der Sirk-Ecke, 1908, u. a. Gustav Mahler, Hansi Niese, Ehg. Eugen, Selma Kurz, Hans Wilczek und Philipp Haas.

      Ganz an der Spitze der Einkommenspyramide stand Baron Albert Salomon Rothschild aus der dritten Generation der österreichischen Rothschild, familienintern meist „Salbert“ genannt. Er versteuerte 1910 ein Jahreseinkommen von 25,7 Millionen Kronen. Dass er das Ranking anführt, wird keinen Wirtschaftshistoriker wirklich überraschen. Überraschend sind nur der Abstand


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