Traumzeit für Millionäre. Roman Sandgruber

Traumzeit für Millionäre - Roman Sandgruber


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engagierte, ist kaum erforscht. Der Generaldirektor der Credit-Anstalt Alexander Spitzmüller charakterisierte ihn als „eigentümliche Mischung aus Gentleman und brutalem Machthaber“, der sich über seine Mittelsleute und Vertrauten im Hintergrund hielt, ohne den aber keine Entscheidung ablief. Paul Kupelwieser, sein Generaldirektor in Witkowitz, beschuldigte ihn, nicht das geringste Interesse am Industriegeschäft gehabt zu haben. Statt in neue Produktionsfelder zu investieren, habe er lieber Grundbesitz angehäuft.22 Seinen größten Coup hatte Albert 1881 mit der Konvertierung von 592 Mio. Gulden ungarischer Goldrente von bisher sechs auf vier Prozent gemacht und dabei angeblich 150 bis 160 Mio. Gulden verdient.

      Der Eintritt der Rothschilds in die Adelsgesellschaft verlief langsam, schwierig und unvollkommen. Auch die Rothschilds der vierten Generation, die sich ihren vergoldeten Palästen und gepflegten Gärten widmeten, waren immer noch stolz auf ihre jüdische Identität. Auch ihre formale Aufnahme in den Adelsstand und die ihnen schließlich gewährte Hoffähigkeit, für einen Baron jüdischer Konfession ein singuläres Ereignis, bedeuteten keinen uneingeschränkten Zutritt in diese Gesellschaft.23 Fürstin Pauline Metternich soll Nora Fugger zufolge zu Rothschild gesagt haben: „Warum lassen sie sich denn nicht endlich einmal taufen?“ Der Baron gab ihr zur Antwort: „Aber Fürstin, was würde das an der Sache ändern? Ich wäre dann doch nur ein getaufter Jude.“24

      Albert ließ sich in der Heugasse, heute Prinz-Eugen-Straße, ein riesiges Palais im Louis-Seize-Stil errichten, mit silbernem Speisesaal und goldenem Ballsaal. Rothschild-Schlösser gab es unter anderem in Langau, Enzesfeld, Schillersdorf und Beneschau, riesigen Grundbesitz im Erlauf- und Ybbstal.25 Das Waidhofener Schloss wurde großzügig regotisiert und ausgestaltet. Selbstverständlich waren nicht nur eigene Jagdreviere und Reitställe, sondern auch eine eigene Radfahrhalle, ein Tennisplatz, ein Eislaufplatz, eine riesige, aber antiquierte Kunstsammlung und ein botanischer Garten. Albert war Pferdezüchter und Rennstallbesitzer und neben dem Pferdenarren Baron Springer, dem viertreichsten Wiener, das einzige jüdische Mitglied des exklusiven Jockeyclubs.26

       Eine „eigentümliche Mischung aus Gentleman und brutalem Machthaber“: Albert Salomon Freiherr von Rothschild mit seiner Frau Bettina Caroline, um 1880.

      „Er hat Liebhabereien wie ein Schnorrer“, meinte der Berliner Bankier Carl Fürstenberg in einer auf den ersten Blick recht unpassenden Art über Albert Rothschild: Schlittschuhlaufen, Radfahren und schwierige Bergtouren bildeten sein Hauptvergnügen.27 Er war ein hervorragender Fotograf und anerkannter Schachspieler, er besaß eines der ersten elektrischen Automobile in Wien, bevorzugte aber den Fiaker, war ein begeisterter Alpinist, der als siebenter am Matterhorn war, und ein Hobbyastronom von Rang. Die meiste Zeit seines Lebensabends verbrachte er in seinem Photoatelier, wohin er sich auch die Finanz- und Börsenachrichten bringen ließ. Angesichts seiner riesigen Einkommen mussten seine vielen Schlösser und Sammlungen, ja selbst die kolportierte Summe von etwa 35 Millionen Kronen oder vielleicht sogar Gulden oder etwa 3,5 bis 7 Prozent seines Lebensverdiensts für Sozial- und Kulturförderungen dennoch wie Schnorrerei erscheinen. Albert Rothschilds Sparsamkeit war stadtbekannt. Die folgende Anekdote mag gut erfunden sein: Im Pariser Ritz habe er sich nach dem billigsten Zimmer erkundigt. Auf den Hinweis des Portiers, sein Sohn nehme immer die Fürstensuite, erwiderte er trocken: Der hat ja auch einen reichen Vater. Den Großteil seiner Einkommen jedenfalls hat Rotschild nicht konsumiert, sondern für Wertpapiere und sonstige Veranlagungen ausgegeben, um sein Einkommen weiter zu vermehren.

      Es ist keine Eigenart der österreichischen Rothschilds, dass sie mehr quantitativ als qualitativ bauten und recht antiquiert Kunst sammelten, mit wenig Blick für das Neue: Louis Quinze und Louis Seize. Der „goût Rothschild“ war sprichwörtlich. Anselm Rothschild war von seinen Kindern als Sammler von Schnupftabaksdosen verspottet worden. Aber diese seine Kinder Nathaniel und Albert sammelten zwar Tizian, Tintoretto, Tiepolo und die Niederländer, aber keine Impressionisten, keine Sezessionisten und auch keinen Klimt oder Schiele.

      Das Vermögen des 1905 kinderlos verstorbenen Nathaniel erbte sein Neffe, Alberts ältester Sohn Adolphe. Dieser versteuerte 1910 ein Jahreseinkommen von 1,001.101 Kronen. Damit lag er an 24. Stelle des Rankings. Für die Geschäfte eignete er sich wenig. Er hatte zwar Jura studiert, interessierte sich aber für Kunstgeschichte, Philologie und Philatelie. Er besaß eine philatelistische Sammlung von Weltruf und die hervorragende Kunstsammlung, die er von seinem Onkel Nathaniel Rothschild geerbt hatte, dazu die berühmten Gärten auf der Hohen Warte.

      Die letzten Jahre Albert Rothschilds waren unglücklich verlaufen. Nachdem er 1892 so früh seine Frau verloren hatte, versetzte ihm der Freitod seines jüngsten Sohns im Jahr 1909 den letzten Schlag. Die Leitung der Geschäfte ging nach seinem Tod 1911 an seinen zweiten Sohn Louis über, der noch keine 30 Jahre alt war.28 Dieser, stoisch und unnahbar, war ein Grandseigneur, aber kein Arbeitstier. Er verkörperte den ledigen Playboy, der erst in seinen Sechzigern heiratete, war ein phänomenaler Reiter, Jäger und Polospieler und interessierte sich für Anatomie, Botanik und Kunst. Während die englischen Rothschilds nach dem Ersten Weltkrieg nicht mehr außergewöhnlich reich waren, blieb Louis Rothschild, der letzte Chef der österreichischen Linie, auch nach 1918 der weitaus reichste Österreicher.29 Aber auch sein Vermögen war schon stark geschmolzen und bewegte sich nach dem Zusammenbruch der Credit-Anstalt im Jahr 1931 in steilem Fall. Die Nationalsozialisten raubten den immer noch riesigen Rest. Die Rückstellungen nach 1945 wickelte er in der Art eines Grandseigneurs ab, zugunsten seiner ehemaligen Beschäftigten und zugunsten des österreichischen Staates. Für einen Rothschild im sowjetisch besetzten Teil Österreichs standen die Perspektiven nicht gut. Von Witkowitz, dem größten Stahlwerk der Tschechoslowakei, erhielt er immerhin eine Ablöse von einer Million Dollar. Als Louis am 15. Jänner 1955 in Montego Bay auf Jamaika ertrank, war sein Tod den Zeitungen keine großen Nachrufe mehr wert. Mit dem Tod von Eugène Rothschild im Jahr 1976 waren die österreichischen Rothschilds in männlicher Linie endgültig ausgestorben.

       Die Branchenstruktur der Millionäre

       Anmerkung: Die Zuordnungen sind wegen der Mischerwerbe der meisten Einkommensbezieher unscharf. Zur Frage und Definition des jüdischen Anteils vgl. den entsprechenden Abschnitt.

      Von den 929 Wiener „Millionären“ des Jahres 1910 bezeichneten sich 82 als Bankiers oder Bankinhaber. Nicht alle, die man aus heutiger Sicht dem Bankgeschäft zuordnen würde, sahen sich in ihrem damaligen Selbstverständnis als solche: Die Schoeller bezeichneten sich als „Großindustrielle“, die Miller-Aichholz und die Gutmann als „Händler“. Die Ephrussi hingegen, die im Großhandel ihr Vermögen gemacht hatten, verstanden sich 1910 bereits als „Bankgeschäftsinhaber“. Manche Bankiers und Kreditvermittler nannten sich bloß „Büroinhaber“ oder „Hypothekenvermittler“. Das Wiener Adressbuch, der Lehmann, unterschied bei den Bankiers zwischen Bankhäusern, Geldwechslern und Kommissionshändlern mit Börseeffekten.

      Bei den Bankhäusern gab es Aktienbanken und Privatbankiers. Während die Aktienbanken als publikationspflichtige Institute gut dokumentiert sind, ist von den Privatbankiers oft nicht viel mehr als eine Adresse bekannt. Man meint fast, 1910 sei ihre Zeit bereits vorbei gewesen. In Wahrheit war es ihre letzte große Blüte. In Wien zählte das Bankiersbuch um 1910 etwa 230 Banken und Bankiers, davon 21 Aktienbanken und 192 Privatbankiers.30 Die Wirtschaftsgeschichte hat bislang ihr Augenmerk viel zu sehr auf die Aktienbanken gelegt, deren Jahresergebnisse und Beteiligungen in den Zeitungen viele Seiten füllten, während die Privatbankiers im Hintergrund diskret ihr Geld verdienten und verwalteten.

      Was die Einkommen betrifft, sind die Privatbankiers den Spitzenmanagern der Aktienbanken mehr als ebenbürtig. Rothschild nahm sowieso eine Ausnahmestellung ein. Das Bankhaus S. M. v. Rothschild war auch Hauptaktionär der größten österreichischen Aktienbank, der „Credit-Anstalt


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