Der arme Trillionär. Georg Ransmayr

Der arme Trillionär - Georg Ransmayr


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      Bosel packte die Gelegenheit beim Schopf, um für viele Auffanglager auf österreichischem Boden der Hauptlieferant zu werden. Im Auftrag der Behörden betätigte er sich sogar als Schmuggler, um die notwendigen Versorgungsgegenstände aufzutreiben. Durch das Geschäft, das er im Schatten der Flüchtlingskrise machen konnte, wurde der gelernte Textilverkäufer noch zu Kaisers Zeiten ein Multimillionär.

      Ende 1923 konnte Bosel bei seinen Geschäftspartnern noch wählerisch sein. Und die Regierung konnte es sich nicht leisten, den jüdischen Star-Investor zu vergraulen. Die konservativ-großdeutsche Koalition rümpfte zwar an sich über „Finanzjuden“ wie Sigmund Bosel die Nase. Aber der Ministerrat war rasch mit dem etwas impertinenten Vorhaben Bosels einverstanden, neben dem Bundeskanzleramt am Ballhausplatz einen neuen Bankpalast hochzuziehen. Das Prestigeprojekt wäre auch Wirklichkeit geworden, wenn den Hasardeur damals nicht das Glück verlassen hätte.

      Im Frühjahr 1924 gehen geheime Fremdwährungsspekulationen schief, die Bosel im Auftrag der staatlichen Postsparkasse unternommen hat. Zwei Jahre später fliegt die Sache auf, das PSK-Fiasko wird der größte Wirtschaftsskandal der 1920er Jahre. Ab diesem Moment kämpft der ehemalige Trillionär, der in Wahrheit fast alles verloren hatte, als „Bettler“ gegen den Abstieg. Wie lange sich der gewitzte Finanzmann damals aus der Affäre ziehen konnte, ist erstaunlich. Zehn Jahre lang spielt Bosel gegenüber der Postsparkasse den verarmten Milliardär, um seine Spekulationsschulden nicht abstottern zu müssen.

      Die Politik behandelt ihn pfleglich. Hatte man ihm gegenüber ein schlechtes Gewissen? Oder besitzt Bosel damals belastendes Material? 1936 ist mit der Komödie Schluss, die Justiz macht gegen Bosel mobil. Man wirft ihm vor, dass er seine wahren Vermögensverhältnisse verschleiert hat. Weil jedoch der damalige PSK-Gouverneur und frühere Bundeskanzler Karl Buresch in die Sache verwickelt ist und Selbstmord begeht, hat die Regierung Schuschnigg eine Staatsaffäre am Hals, die unter den Teppich gekehrt werden muss.

      Vergleicht man die Aufreger-Themen unserer Tage mit den Krisen und Finanzskandalen der Zwischenkriegszeit, hat man unweigerlich Déjà-vu-Erlebnisse. So wie heute haben auch damals viele Staaten enorme Budgetprobleme. Die Finanzmärkte geben das Tempo vor, die Aufsichtsbehörden hecheln hinterher. Das Spekulationsfieber der Nachkriegsjahre führt zu Spekulationsblasen, hohe Fremdwährungsrisiken werden aufgetürmt. Die etablierten Banken lügen sich mit ihren Wertansätzen im Donauraum in den Sack, einzelne Megakredite sorgen für ein hohes Klumpenrisiko. Als die faulen Bilanzen der Kreditinstitute aufplatzen, ist auch damals wie heute Bankenrettung angesagt: mit Kapitalspritzen, rettenden Fusionen und der Notverstaatlichung der zu dieser Zeit wichtigsten Bank im Land, der österreichischen Credit-Anstalt.

      Zwei Mega-Skandale haben bleibende Erinnerungen an die ruinösen Turbulenzen hinterlassen: das PSK-Fiasko 1926 und das noch viel größere CA-Finanzfiasko 1931. In beide Wirtschaftskrimis ist Bosel verstrickt gewesen. Das PSK-Fiasko punziert ihn als Buhmann der österreichischen Wirtschaftsgeschichte, während er in der CA-Causa im Hintergrund agiert, um die Skandalpleite juristisch glattzubügeln. Beide Finanzbeben lassen sich rückblickend mit dem Begriff „Multi-Organversagen“ beschreiben, den in unseren Tagen die Griss-Untersuchungskommission für die Kärntner Skandalbank Hypo Alpe Adria geprägt hat. Auch das österreichische Parlament hat sich in den 1920er Jahren in diversen Ausschüssen mit Finanzskandalen herumschlagen müssen. Damals zeigte sich, dass die zuständigen Behörden und Politiker der staatlichen Postparkasse zu wenig auf die Finger geschaut haben. Solange es Gewinne gab, durften die PSK-Manager mit der Staatsgarantie im Rücken herumfuhrwerken. Als es Verluste gab, hat man den Kopf in den Sand gesteckt. Schlussendlich können die Postsparkasse und die Credit-Anstalt nur mit Staatshilfe überleben. Die Kosten der Rettungsaktionen hat man genauso wie in der Finanzkrise nach 2008 hauptsächlich den Steuerzahlern umgehängt.

      Wer sich eingehend mit Sigmund Bosel beschäftigt, lernt eine Persönlichkeit mit charakterlichen Graustufen kennen. Dieser Mann war kein Heiliger, sondern das, was man umgangssprachlich einen Schlawiner nennt. Dort, wo der tüchtige Außenseiter durch Cleverness und Chuzpe frühzeitig Trends wittert und anderen Machtmenschen ein Schnippchen schlägt, ist man verleitet, ihm die Daumen zu drücken. Dort, wo er mit dem Gesetz in Konflikt gerät oder das Schicksal herausfordert, kann man über den Tausendsassa mit der Unschuldsmiene nur den Kopf schütteln. Und man wünscht sich als Beobachter an der Seitenoutlinie, der Finanzabenteurer hätte sich zu bestimmten Aktionen nicht hinreißen lassen. Aber Sigmund Bosel war eben ein Teufelskerl, der zeitlebens hoch gepokert hat und sich auch für verborgene Machenschaften einspannen ließ.

      1931 übernimmt er nach der sündteuren Notverstaatlichung der Credit-Anstalt einen Geheimauftrag der Rothschild-Bankdynastie. Bosel zieht alle Register, damit die Justiz ihre Ermittlungen gegen den langjährigen CA-Mehrheitsaktionär Louis Rothschild aufgibt. Die Parteispenden, die Bosel dabei an einzelne Regierungspolitiker weiterreicht, bringen ihn 1934 in den Dunstkreis der Juli-Putsch-Verschwörer. Bosel hat alle Hände voll zu tun, um nach der Ermordung von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß nicht zum Hochverräter gestempelt zu werden. Auch diese weitgehend unbekannte Affäre wird in diesem Buch beleuchtet.


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