Das Tour-Tagebuch des frommen Chaoten. Adrian Plass

Das Tour-Tagebuch des frommen Chaoten - Adrian Plass


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diese Zielsetzung auch war, muss ich ehrlicherweise zugeben, dass meine ersten Gedanken, als ich diese Worte las, nichts mit Gerald zu tun hatten. Sie betrafen die rein eigennützige, zutiefst wunderbare Aussicht, dass wir nicht privat bei den Leuten würden übernachten müssen! Wenn die Finanzierung ausreichte, würden wir alle sieben Nächte in Gasthäusern und kleinen Hotels verbringen können, bis auf die eine in der Mitte, wo wir nahe genug der Heimat sein würden, um am frühen Morgen nach Hause zu kommen und uns einen Tag und eine Nacht freizunehmen.

      Was für eine Erleichterung!

      Ich sollte vielleicht erklären, dass ich – nun, sagen wir – unterschiedliche Erfahrungen mit privaten Übernachtungen bei den Leuten gemacht habe, in deren Gemeinden ich sprach. Manchmal war es prima. Oft aber nicht. Anne kann das viel besser als ich. Sie sagt, ich mache immer ein Riesenbrimborium um Dinge, die doch eigentlich ganz einfach seien. Kann ja sein, aber das liegt daran, dass diese Dinge mir nun einmal so viel Kopfzerbrechen machen.

      Das fängt schon damit an, sich in einem fremden Badezimmer fertig machen zu müssen. Entsetzlich! Ich finde das unerträglich.

      Zum Beispiel erinnere ich mich, wie ich einmal im Norden bei einer Familie namens Davenport übernachtete. Es waren nette Leute. Doch, sicher, es waren furchtbar nette Leute, aber – nun ja, sie waren nun einmal ganz und gar nicht meine Familie, wenn Sie wissen, was ich meine.

      Am Abend zuvor hatte ich erfahren, dass außer mir nur noch drei Leute im Haus übernachteten. Da war zuerst Geoff Davenport, der Vater, herzlich, gutmütig und sehr darauf bedacht, dass ich mich bei ihm wie zu Hause fühlte und tat, was immer mir beliebte. Dann war da die Mutter, Vera Davenport, eine clevere, sehr effiziente Frau, die darauf bestand, dass ich mich entspannte, vorausgesetzt, wie ich argwöhnte, dass ich in ihrem unglaublich sauberen und aufgeräumten Haus nichts kaputt machte oder durcheinanderbrachte. Und schließlich war da die Tochter, Sally Davenport, ein ausgelassenes, hübsches Mädchen von etwa vierzehn Jahren, das viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt war, um die Existenz anderer Leute, geschweige denn meine, mehr als ganz am Rande wahrzunehmen. Sie schien mehr oder weniger höflich allem zuzustimmen, was ich sagte, ohne je von sich aus etwas zum Gespräch beizusteuern. Nur drei Leute. In Worten: drei. Mehr waren nicht da. Ich schwöre es.

      Als ich am Morgen nach meinem Vortrag in dem nahezu perfekten Gästezimmer der Davenports erwachte, blieb ich noch einen Augenblick liegen und lauschte. Ein Blick auf den reich verzierten Gästewecker neben mir verriet mir, dass es erst sieben Uhr war. Eine tiefe, tickende Stille lag über dem Haus.

      Großartig!

      Rasch stieg ich aus dem Bett, machte dabei so wenig Geräusche wie möglich und beglückwünschte mich dazu, dass ich vor allen anderen Hausbewohnern wach geworden war. Wenn ich mich beeilte, konnte ich ins Bad gehen, meine Dusche nehmen und sicher wieder zurück im Gästezimmer sein, bevor einer der anderen auch nur aufgestanden war. Schnell ging ich noch einmal den Lageplan der Zimmer im Obergeschoss durch, den ich mir am Vorabend im Geiste gezeichnet hatte. Links von mir befanden sich zwei Zimmer, eines davon ein weiteres Gästezimmer, das andere Geoffs und Veras Schlafzimmer, und zu meiner Rechten kamen das Bad und Sallys Zimmer.

      Es war unabdingbar, auf dieser Etappe der vor mir liegenden Reise keinen Fehler zu machen, ermahnte ich mich streng. Um sieben Uhr morgens, nur mit einem Handtuch um die Lenden, auf Zehenspitzen in das Zimmer der heranwachsenden Tochter meines Gastgebers zu schleichen, war vielleicht doch nicht genau das, was Geoff sich vorgestellt hatte, als er mich so leutselig aufforderte, zu tun, was immer mir beliebte.

      Ich hatte bereits die Klinke meiner Zimmertür heruntergedrückt und schob sie unter äußerster Konzentration Millimeter für Millimeter auf, als mit einem lauten Krachen die Tür des Schlafzimmers von Geoff und Vera aufflog.

      Mit zusammengebissenen Zähnen verschloss ich meine Tür wieder, so lautlos ich es vermochte, und hüpfte voller Schrecken zurück in den sicheren Hort meines Bettes. Auf einem fremden Treppenabsatz unangezogen Leuten zu begegnen, die ich kaum kenne, ist für meine Begriffe so ziemlich der absolute Abgrund.

      Elend hockte ich auf dem Bett und legte mir eine klar durchdachte, vernünftige Vorgehensweise zurecht. Okay, sagte ich mir, offensichtlich ist eine Person auf dem Weg ins Badezimmer. Wenn die fertig ist, kommen noch zwei andere. Angesichts dessen werde ich also einfach ganz still hier auf meinem Bett sitzen bleiben und warten, bis alle anderen Bewohner des Hauses fertig sind mit Duschen und Zähneputzen und was sie sonst noch alles morgens tun, und dann, wenn kein Zweifel mehr besteht, dass sie nach unten gegangen sind und die Luft rein ist – bin ich an der Reihe. Scheint doch ganz einfach zu sein.

      Aber dann fing sie an: die endlose, unerklärliche, ununterbrochene Wanderung menschlicher Wesen von einem Ende des Korridors zum anderen und wieder zurück. Mir schien, als wäre aufgrund einer gewaltigen Naturkatastrophe in Geoffs und Veras Schlafzimmer ein riesiger Flüchtlingsstrom unterwegs über den Korridor in die Sicherheit des Badezimmers. Als der Strom versiegte und sich schon Hoffnung in mir regte, meine Stunde könnte nun gekommen sein, kamen sie plötzlich aus Sallys Zimmer, einer nach dem anderen, ganze Horden von Menschen, die ins Badezimmer stapften, Wasser laufen ließen, mit allem möglichen Zeug klapperten, husteten, gurgelten, wieder herausstapften, Türen aufrissen und zuknallten und es mir unmöglich machten, mein Zimmer zu verlassen. Soweit ich es ermessen konnte, musste der Korridor vor meiner Tür erfüllt sein von einer wogenden, drängenden Masse ungewaschener und gewaschener Menschen, die unerklärlicherweise ein Haus durchströmten, das noch am Abend zuvor nur drei Personen beherbergt zu haben schien.

      Als ich mich schon allmählich damit abfand, den Rest meines Lebens in diesem Gästezimmer zuzubringen, trat plötzlich Stille ein, gefolgt von einem vorsichtigen Klopfen an meiner Tür.

      »Bad ist frei!«, flötete Vera Davenport mit der Unbekümmertheit einer vollkommenen Gastgeberin.

      »Oh, ja, gut, danke!«, gurgelte ich zurück.

      Argwöhnisch öffnete ich meine Tür mit äußerster Behutsamkeit und spähte in beide Richtungen den Korridor entlang. Niemand in Sicht. Die Flüchtlinge und all die anderen Horden waren verschwunden. Mit bis zum Zerreißen angespannten Nerven trat ich meine Reise zum Ende des Korridors an und hatte es schon fast erreicht, als sich die Zimmertür direkt neben mir zu öffnen begann. Ich stürzte mit einem kleinen Aufschrei ins Badezimmer, knallte die Tür hinter mir zu und drehte den Schlüssel herum.

      Nachdem ich mich so weit erholt hatte, dass ich mich umschauen konnte, machte ich die beunruhigende Entdeckung, dass das Badezimmer der Davenports so perfekt war, wie ich es befürchtet hatte. Wie konnte es auch anders sein? In diesem Badezimmer funkelten tausend kleine Lichtpunkte. Es schimmerte. Es glänzte mich selbstgefällig an. Stumm forderte es mich heraus, ich möge es nur wagen, dort irgendetwas zu tun, was dazu führen würde, dass es weniger sauber und hygienisch war als vor meiner Ankunft. Es gab nur eine Richtung, die dieses Paradebad von seinem gegenwärtigen Zustand aus nehmen konnte: abwärts. Offensichtlich war Vera Davenport hier gewesen, nachdem die anderen fünfzehntausend Mitglieder ihrer Familie fertig waren, und hatte alle besudelnden Spuren menschlicher Aktivität durch Wischen und Scheuern und Sprühen beseitigt. Ich versuchte, mir innerlich eine Fotografie des Zimmers zu machen, bevor ich die Dusche betrat, um sicherzugehen, dass ich es genau so zurückließ, wie ich es vorgefunden hatte. Als ich fertig war, schrubbte ich wie ein Derwisch auf jeder Fläche herum, die ich, soweit ich mich erinnern konnte, berührt hatte, und wusste dabei doch, dass ich mir Mühe geben konnte, so viel ich wollte, eine Tatsache würde unverrückbar bestehen bleiben: Dieses Badezimmer würde, nachdem ich es verlassen hatte, weniger perfekt sein als vor meinem Eintritt.

      Als ich nach dieser Reise wieder nach Hause kam und Anne erzählte, was passiert war, lachte sie nur und sagte, ich müsse lernen, zwischen meinen Problemen und denen anderer Leute zu unterscheiden. Wenn Vera Davenport ein Badezimmer haben wollte, das so aussah, als wäre es noch nie benutzt worden, dann war das ihr Problem, nicht meines. Wenn ich es nicht mochte, am frühen Morgen in den Häusern anderer Leute herumzuschleichen, dann war das mein Problem, nicht ihres.

      Ich musste ihr zustimmen und kam mir plötzlich sehr albern vor bei dem Gedanken, wie fieberhaft ich dieses Badezimmer poliert und versucht hatte, es auf einen unmöglichen Standard zu bringen, von dem sowieso niemand wirklich


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