Gewalt. Frank Rudolph
wenn er nur tapfer war. Aber wehe ihm, er verstand es nicht, sich zu wehren. Die Römer waren in diesem Punkt sehr entschieden.
Die ritterlichen Zweikämpfe des Mittelalters waren in der Anfangszeit nicht viel friedfertiger als die Gladiatur. Zwar war der Tod von einem der Kämpfer nicht unbedingt beabsichtigt, aber wenn er umkam, dann wurde das gleichmütig in Kauf genommen. Die Krieger des Mittelalters wurden von der Kirche gebremst, aber nur dann, wenn sie ihre Kampfkraft zum eigenen Vergnügen oder zum Schaden der Kurie verschwendeten. Ging es gegen äußere Feinde, besonders gegen Nichtchristen, dann gab es keine Schranken für die Gewalt. Bei der Eroberung Jerusalems 1099 töteten die Kreuzfahrer fast die gesamte Einwohnerschaft. 110 Jahre später, im Jahre 1209, ereignete sich etwas Ähnliches bei den Albigenserkriegen. Nur dass es hier gegen »ketzerische« Christen, die Katharer, ging. Kurz vor der Eroberung der Stadt Béziers wiesen einige Feldherren darauf hin, dass es schwierig werden könnte, zwischen Katholiken und Katharern zu unterscheiden. Daraufhin verkündete der katholische Legat Arnaud Amaury: »Tötet sie alle. Gott wird die Seinen schon erkennen.«
In der Renaissance blühte der Meuchelmord. Das war keine neue Idee, aber nun löste man häufiger damit Probleme, als durch richterliche Schiedssprüche. Spanier und Italiener perfektionierten den Meuchelmord. Er wurde geradezu zu einer Kunstform erhoben.
Jahrhunderte hindurch wurde das Duell als akzeptable Form der Konfliktlösung betrachtet. Auch wenn diese Duelle nach festen Regeln abliefen und die Duellanten sich höflich zueinander verhielten, so war es doch nur ein Weg, einen Gegner durch Gewalt umzubringen, ohne dabei mit dem Staat in Konflikt zu geraten, der ansonsten Gewalttätigkeit außerhalb von Kriegen verbot.
Heute wird oft heute suggeriert, dass Gewalt keine Lösung für Probleme sei. Der Staat versucht, die Gewalt in der Öffentlichkeit durch massive Überwachung einzudämmen. Ob dies sinnvoll ist, ist zumindest fraglich.3 Wenn es wirklich einmal hart auf hart kommt, dann ist höchstwahrscheinlich niemand da, der Ihnen beistehen wird. – Wehren Sie sich mit allen Mitteln! Es gibt keinen Grund, Schuldgefühle gegenüber einem Angreifer zu empfinden, wenn dieser durch Ihre Notwehrhandlung zu Schaden kommt. Der Angreifer ist derjenige, der für den Kampf verantwortlich ist, niemand sonst.
Wir möchten an dieser Stelle aber nochmals betonen, dass man sich im Klaren darüber sein muss, dass man mit aktivem Selbstschutz leicht in eine rechtliche Grauzone geraten kann. Zwar existiert ein Notwehrparagraph, und selbst die Überschreitung der Notwehr, wenn diese aus Angst oder Verwirrtheit geschieht, wird für gewöhnlich nicht geahndet. Aber niemand kann sich letzten Endes darauf verlassen, dass ein Richter seine Notwehrlage auch als solche anerkennt. Tatsache ist jedoch, dass es unmöglich ist, sich mit Zurückhaltung und Bedenken gegen einen skrupellosen Angreifer zu schützen.
»Gewinnen ist eine Angewohnheit«
Dieser Spruch stammt von Vince Lombardi.1 Er verweist mit knappen Worten auf den Kern der Sache. Gewinnen muss man wollen. Es spielt dabei keine Rolle, ob man einen Kampf am Ende tatsächlich gewinnt oder nicht. Wenn man aber die Möglichkeit eines solchen in Betracht zieht, sollte man auch gewinnen wollen. Ohne diesen unbedingten Willen ist es nicht ratsam, sich auf Gewalt einzulassen. Doch auch wenn Sie bereit sind, sich darauf einzulassen, sollten Sie sich der Gefahren bewusst sein. Es ist immer möglich, dass Sie während eines Kampfes verletzt oder getötet werden. Und auch nach einem erfolgreich bestandenen Kampf drohen unter Umständen große Gefahren: Sie könnten das Opfer eines Racheakts werden, oder Sie werden zu einer Gefängnisstrafe verurteilt, weil Sie aus Sicht des Richters unverhältnismäßig auf eine Bedrohung reagiert haben.
Hinzu kommt der Aspekt des Gewissen. Falls Sie gezwungen waren, den Gegner zu töten – selbst wenn das Recht dabei auf Ihrer Seite war –, bleibt abzuwarten, ob Sie damit umzugehen verstehen. Der beste Weg ist und bleibt der, sich, soweit es geht, von körperlicher Gewalt fernzuhalten, obwohl wir fairerweise zugeben müssen, dass man diese Gewalt oft nur verstehen lernt, wenn man sich mit ihr direkt befasst, d. h., wenn man Auseinandersetzungen nicht immer aus dem Weg geht. Doch Gewalt erzeugt grundsätzlich Gegengewalt. Rache und Vergeltung sind starke Motivationen. Und die Situation kann derart eskalieren, dass Sie als Einzelner keinen ausreichend Schutz vor der Gewalt mehr finden können.
Früher, vor allem in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, war es oft so, dass Straßenschläger sich nach einem Kampf die Hände reichten. Man sah das Ganze in einem sportlichen Sinne. Von roher Gewalt hatten die Menschen damals mehr als genug. Doch wir sind vergesslich. Bereits in den 60ern nahm man es mit der Fairness nicht mehr so genau. In den letzten Jahren hat die Gewaltbereitschaft potentieller Gewalttäter ein Maß erreicht, das kaum noch steigerbar zu sein scheint.2
Geht es um Gewalt und Gegengewalt, zählt nur noch das Recht des Stärkeren beziehungsweise des Gewalttätigeren. Um sich einen Vorteil zu schaffen, muss man in vielen Fällen einfach zuerst zuschlagen, nachsetzen und alles an Zerstörungskraft auf den Gegner niederprasseln lassen, was in den eigenen Kräften steht, vor allem, wenn man es mit einem offenkundig kampferprobten Gegner zu tun hat. Das bedeutet auch, dass wir im Falle eines Angriffs geistig sofort auf Kampf umschalten.
Im Vorfeld eines Kampfes ist jeder Trick, jede List zulässig. Seien Sie freundlich, verlegen, ängstlich, schüchtern, wenn es Ihrem Ziel, den Konflikt zu gewinnen, dienlich ist. Führen Sie den Gegner mit falschen Emotionen hinters Licht. Die meisten Schläger verwechseln Freundlichkeit mit Schwäche. Dann, wenn es die Situation erfordert, schalten Sie um. Werden Sie rücksichtslos und brutal. Gute Türsteher und erfolgreiche Schläger kennen sich mit den menschlichen Emotionen besser aus als mancher Psychologe. Die alten Chinesen prägten für diese Herangehensweise einen klugen Spruch: »Verstecke das Messer hinter einem Lächeln.« Diese Art des hinterlistigen Kampfes ist tatsächlich uralt. Je rücksichtsloser und hinterlistiger Sie vorzugehen bereit bist, desto freundlicher und bescheidener können und sollten Sie auftreten. Wer häufig mit Gewalt konfrontiert wird, dem gelingt es oftmals nur schwer, die Maske der Freundlichkeit aufzusetzen. Aber eine herausfordernde Haltung bringt einem letztendlich nur umso mehr Herausforderungen ein. Viele Meister der Kampfkünste befanden sich in diesem Dilemma. Sie bauten sich einen Ruf auf, um potentielle Angreifer abzuschrecken und mussten dann oft gerade deswegen kämpfen.
Umgekehrt bedeutet dies auch, sich stets ein gesundes Misstrauen zu bewahren, wenn jemand sich ohne erkennbaren Grund Ihnen gegenüber freundlich und zuvorkommend verhält. Naivität kann in solch einer Situation sehr gefährlich sein. Es kann geschehen, dass auf diese Weise nur Ihre Aufmerksamkeit abgelenkt werden soll, und im nächsten Augenblick sind Sie plötzlich das Opfer eines Raubüberfalls. Viele Diebesbanden gehen so vor.
Im Grunde geht es bei all dem um Anpassungsfähigkeit. Halten Sie sich stets alle Möglichkeiten offen, soweit dies machbar ist. Bleiben Sie so flexibel, wie es geht.
Für Gewalttäter gibt es keine Regeln und Grenzen. Der Kampf mit ihnen kann demzufolge auch nicht wie im Schulunterricht gelehrt werden. Aus diesem Grund funktionieren so viele Kampfsportarten bei einer Schlägerei auf der Straße nur selten. Deren Techniken sind an das Umfeld der Sporthalle angepasst. Sie haben sich im Laufe der Zeit verändert, wurden entschärft und vielfach sogar ästhetischen Vorstellungen unterworfen. Die ursprünglichen Bewegungen der alten Kampfkünste sind hingegen knapp, ohne Schnörkel und nur auf Wirksamkeit ausgerichtet. In der Tat erkennt man zwischen den Kampfbewegungen eines Schlägers und denen eines traditionell ausgebildeten Kampfkünstlers oft keinen Unterschied. Das hat den Vorteil, dass diese natürlichen Bewegungen »leicht zu merken« sind. Sie werden vom Körper als natürlich empfunden, da sie eben nicht künstlich anerzogen wurden. Während eines Kampfes brauchen Sie daher nicht zu überlegen, ob Ihre Technik »korrekt« ist oder nicht. Sie wird funktionieren, wenn Sie gewillt sind, sich zu schützen.
Selbstschutz ist heute genauso notwendig wie vor tausend Jahren. Angegriffen konnte man damals und kann man heute werden. Aber die Bequemlichkeiten und die scheinbare Sicherheit der modernen Zeit lassen uns dies vergessen. Zwar werden wir mit unzähligen Gewaltberichten in den Medien konfrontiert, aber die meisten von uns haben das Gefühl, dass sie so etwas gar nicht betreffen kann. Wir blenden die Gefahr aus oder verharmlosen sie zumindest. Das ist gefährlich, denn wir bereiten uns nicht mehr energisch genug auf einen möglichen Angriff vor. Der Staat, so