Explorer ENTHYMESIS. Matthias Falke

Explorer ENTHYMESIS - Matthias Falke


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alles im Kasten. 2750 Exo-Byte. Wie ist das Wetter da unten?«

      »Ich fass es nicht!«

      »Ganz nett. Wenn Sie online auf unsere Automatik gehen, können Sie sehen, dass unsere Abschirmung auf 107% läuft. Also richtig gemütlich. Ist die Sonde ausgekoppelt?«

      »Liegt im Torpedo-Schacht. Wir hatten erst in fünf bis zehn Stunden mit euch gerechnet. Aber ich gebe sie jetzt sofort frei.«

      »Wäre mir ganz recht. Weiß nicht, wie gesund das hier auf die Dauer ist, und wir haben noch einen weiten Weg vor uns.«

      »Eh klar. Das Baby geht in dieser Sekunde raus. Moment – jetzt!«

      Vor mir im Helm erschien eines dieser dämlichen virtuellen Hologramme, von denen einem so schwindlig wird. Ich sah über eine der Außenkameras der MARQUIS DE LAPLACE das Große Drohnen-Deck, von dem auch Sonden, Explorationsroboter und der andere Kram gestartet wurde. Unter einer magnesiumfarbenen Stichflamme hob eine Fünfzehn-Tonnen-Lambda-Sonde ab und schwenkte – die Kamera fuhr brav mit – in Richtung auf Lu-Aus nördliche Hemisphäre ein, ganz so wie wir selbst vor gut drei Tagen. Ich unterdrückte die Einspielung.

      »Danke, hätt’s auch so geglaubt.«

      »Klar. Ich wollte nur noch mal die Übertragung testen. Scheint ja trotz allem ganz gut zu funktionieren.«

      »Will ich meinen. Wie lange dauert das jetzt?«

      »In 37 Minuten ist sie bei euch.«

      »OK, dann melden wir uns wieder. Bis dahin over and out!«

      Siebenunddreißig Minuten. Da wäre doch gerade Zeit genug für ...

      »Oh, ich weiß genau, was du jetzt denkst!«

      »Hab ich irgendwas gesagt?«

      Aber leugnen war zwecklos. Wir kannten uns einfach schon zu lange.

      »Ich glaub’, du tickst nicht richtig. An einem der strahlungsreichsten Orte außerhalb der Heliopause und er denkt nur an’s ... Aber pass auf. Ich würde tatsächlich ganz gern die Beine hochlegen. Wenn du dich zusammenreißt, können wir für eine Stunde das Iglu aufbauen. Du darfst mir sogar die Waden massieren. Irgendwie hat mich die ganze Lauferei ...«

      Ich hatte schon den Tornister runter und. »Aufbauen!«, gerufen. Wir gingen mehrere hundert Meter vom Richtstrahl weg. Das sollte reichen. Die gesamte Steuerung lief über das Kabel, das ich mir jetzt aus dem Helm zog und außen in die Automatik unserer Kuppel steckte. Jennifer war schon wieder drin. Ich sah kurz nach oben, wo sich über dem südlichen Horizont eine silbrige Sternschnuppe näherte und in eleganter Sinuskurve auf uns zusteuerte. Dann ging auch ich hinein.

      Sie sah böse aus. Ihre Beine waren bis zu den Knien hinauf voller dunkelbrauner Flecken. Irgendwo musste ihr sensorieller Anzug gestern, als sie eingebrochen war, einiges abgekriegt haben. Normalerweise war es ausgeschlossen, dass man auch nur die kleinsten Druckstellen bekam. Aber warum meldete das die Selbstregulierung ihrer Automatik nicht?

      »Hast du Schmerzen?«

      »Eher im Gegenteil. Ist alles ziemlich taub.«

      Ich nahm ihren Anzug, der neben der Schleuse hing, und ließ ihn mit meinem eigenen online gehen, den ich noch anhatte.

      »Protokoll der Selbstregulierung für die letzten 50 Stunden! Sämtliche Teilausfälle und Meldungen. Wurden Berichte unterdrückt?«

      Da kam auch schon eine Übertragung aus der Medizinischen. Dr. Frankel, wie immer erst höflich »anklopfend«, ehe er auf dem Monitor des Mineralien-Scanners erschien.

      »Darf man reinkommen? Ich sehe, ihr habt es euch ein bisschen gemütlich gemacht. Habt’s auch verdient. Ich darf euch im Rahmen der gesamten Abteilung gratulieren. Das war eine enorme Leistung! Allerdings – und das macht uns ein wenig Sorgen – scheint es nicht ohne Blessuren abgegangen zu sein. Vor allem wissen wir nicht, ob euch das selber schon klar ist. Euer Protokoll hat einige Auffälligkeiten. Wir haben euer lokales Logbuch grade mal gegengecheckt, und da sind uns ein paar kleinere Ausfälle angezeigt worden. Jennifer, versuch dich genau zu erinnern. Wie lange warst du in dem ‚Schlangennest’?«

      Sie reckte sich von ihrer Koje, auf der sie sich ausgestreckt hatte, ein wenig hoch. Es dauerte eine Weile, bis sie sich besonnen hatte.

      »Mein Gott – ein paar Sekunden. Alles in allem vielleicht ein, zwei Minuten. Ich bin eingesackt, so bis zu den Knien, und wie ich mich dann abstoßen und rausspringen wollte, hat’s nochmal nachgegeben, und ich bin etwa fünf Meter tief in den Hohlraum gefallen. Aber das müsste doch alles auf der Helmkamera ...«

      »Eben nicht. Wir haben, wie auch bei dir, Frank, wenig später, mehrere kleine Ausfälle registriert. Die Automatik muss kurz zusammengebrochen sein. Vor allem ist aber das innere Protokoll nicht ganz synchron mit den äußeren Daten – Kamera, Scanner usw. – und mit dem Logbuch der CPU. Als Frank dich dann rausgeholt hat, ist er mit deiner Unit online gegangen. Kurz darauf hat seine eigene einen Warmstart machen müssen. In der Aufregung habt ihr anscheinend auch einige Meldungen unterdrückt. Uns fehlen mehrere Gigabyte im sensoriellen Bereich, insgesamt fast fünf Minuten. Ist es möglich, dass du in der Höhle eine Weile bewusstlos warst?«

      »Ich – keine Ahnung. Ich war schon ein bisschen weggetreten, hatte erst keine Orientierung. Es dauerte ziemlich lange, bis der Helmscheinwerfer anging, das weiß ich noch. Ich dachte: Hoffentlich hat meine Triggerung nichts abgekriegt. Aber wie lange das ging ...?«

      »Und so lange bist du gelegen? Hast du nichts gespürt?«

      »Pfffh ... – ich war verschüttet, da kam ja zentnerweise Schutt mit runter. Und ich steckte anfangs ziemlich fest da drin. So etwa – bis hier ...«

      Sie zog ihre weiße Baumwoll-Leggins hoch, bis über ihre schönen Knie, und markierte mit der flachen Hand die Linie, bis zu der die dunklen Flecken gingen.

      »Also langer Rede kurzer Sinn«, schaltete ich mich ein. »Ihr sensorielles Gewebe ist im Eimer, und wir haben’s nicht gemerkt. Was ist das, was sie da hat. Erfrierungen oder Druckstellen? Sie sagt, sie hat kein Gefühl! Aber sie wird damit noch drei Tage laufen müssen ...«

      In diesem Augenblick wurde unsere Aufmerksamkeit von der Sonde eingenommen, die gegenüber zur Landung ansetzte. Ich hörte noch Dr. Frankels »Wir rechnen das mal durch und melden uns dann, sowie ihr den Booster unten habt ...«, dann wurde das Getöse der abbremsenden Rakete schon bestialisch laut. Sie kam langsam die letzten fünfhundert Meter herunter. minutiös dirigiert vom Leitstrahl des Röntgen-Masers. Allerdings schien die Steuerung ganz schön zu kämpfen zu haben. Immer wieder zischten seitliche Explosionen auf, die von irgendwelchen Korrekturdüsen herrührten – und überhaupt gefiel mir der Rückstoß des Hauptantriebes nicht ...

      »Rogers«, brüllte ich in die Automatik. »Planetarische, bitte kommen! Dr. Rogers, was ist das für ein Antrieb?«

      Es dauerte qualvolle Sekunden, bis die Leitung stand. Der Maser wurde von der Sonde abgelenkt, und die Kommunikation musste über deren Relais laufen, das viel schwächer war. Außerdem wurden die Turbulenzen da draußen immer heftiger.

      »Exponentielle Energie-Ausbrüche«, meckerten jetzt auch schon unsere elektronischen Penaten. »Achtung hochionisierte Energie. Lokale Abschirmung bei 207%. Wiederhole: lokale Abschirmung bei 207% ...«

      Jennifer richtete sich wie in Trance auf und rollte ganz langsam ihre Hosenbeine hinunter. Die Male auf ihren Waden schienen im rubinroten Licht, das, manchmal in hektisches Grün umschlagend, durch die Polarisation brach, anzuschwellen und eitrig zu glühen.

      »Dr. Rogers.« Ich bemühte mich, deutlich zu sprechen und nicht unnötig zu übersteuern. »Kommen, Dr. Rogers. Ist das eine Sonde mit Ionen-Antrieb?«

      Kurz hatte ich eine flackrige Verbindung, die allerdings ständig von dunkelblauen Detonationen durchrauscht wurde.

      »Aye-Aye Sir. – - – Ionen-Sonde – - – HeliumIII-Triebwerk – - – Photonen – - keine mehr ...« –

      Dann war er wieder weg, und eine schwere Erschütterung


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