Raus aus der Mutterfalle. Dorothee Döring
der Frauen wurde ideologisch angestrebt und konsequent gefördert, auch wenn Frauen - ähnlich wie in der Bundesrepublik - selten in Führungspositionen gelangten. Die Frau musste gleichberechtigt am Aufbau des Sozialismus mitwirken. Nur eine werktätige Mutter war dort eine gute Mutter.
Seit den 1990er Jahren gibt es kein vorherrschendes Mutterbild mehr. Inzwischen existieren verschiedene Lebensformen parallel nebeneinander. So gibt es zum einen die „Supermütter", die anscheinend spielend Karriere, Kinder und Haushalt unter einen Hut bringen. Zahlreiche Frauen arbeiten in Teilzeit, wieder andere - vor allem Frauen aus der Mittelschicht - verzichten ganz bewusst auf eine Berufsausübung, weil sie sich nicht weiter dem Druck von Konkurrenz und Fremdbestimmung im Arbeitsleben aussetzen wollen. Sie erhoffen sich durch das Ausleben der Familienrolle eine bessere Selbstverwirklichung als im Beruf. Auf der anderen Seite gibt es zahlreiche Alleinerziehende oder Frauen aus den unteren sozialen Schichten, für die sich diese Frage gar nicht stellt: Sie sind aus finanzieller Notwendigkeit heraus gezwungen, trotz Kindern zu arbeiten. Die Kinderbetreuung übernehmen hier oft Großeltern, Geschwister, Nachbarn oder Bekannte, besonders wenn die Frauen in Schichtdiensten arbeiten. Viele Kinder bleiben auch zeitweise sich selbst überlassen.
Das gesellschaftliche Leitbild der Mutterrolle wurde auch durch das neue Unterhaltsrecht vom 1. Januar 2008 nachhaltig verändert. Der nacheheliche Ehegattenunterhalt für den geschiedenen Ehepartner wurde vom Gesetzgeber zur Ausnahme erklärt, wodurch der bisherige Regelfall ausgehebelt wurde. Durch das neue Unterhaltsrecht wird unterstellt, dass jeder Ehegatte sich selbst unterhalten kann und er Unterhalt nur dann bekommt, wenn er außer Stande ist, für seine Existenz zu sorgen. Das ist der Fall, wenn ein Ehepartner nicht genug Geld verdienen kann, weil er Kinder betreut, zu alt oder zu krank ist, eine Ausbildung abschließt oder keinen Job findet.
Nach altem Recht galt, dass nicht verheiratete Mütter vom Kindesvater im Normalfall nur Unterhalt verlangen konnten, bis das Kind drei Jahre alt war. Geschiedene dagegen durften darauf bauen, dass sie überhaupt erst wieder Teilzeit arbeiten mussten, wenn ihr Kind acht Jahre alt war, bei zwei oder mehr Kindern sogar noch später.
Heidi, 33:
„Ich habe nie darüber nachgedacht, ob ich nach der Geburt unserer Kinder wieder berufstätig sein wollte. Ich war glücklich mit meiner Familie, meinen Kindern und der Rollenteilung, dass mein Mann das Familieneinkommen verdiente und ich Haus- und Familienarbeit leistete. Aber mich finanziell nicht abzusichern, das war nicht gerade clever von mir. Nachdem mein Mann mich verlassen hat, bekomme ich keinen Cent von ihm, obwohl unsere kleine Tochter erst 4 Jahre alt ist. Während der Kindergartenbetreuung wird von mir erwartet, dass ich Teilzeit arbeiten gehe. Meinen ehemaligen Beruf als Krankenschwester kann ich wegen des Schichtdienstes vergessen. Teilzeitarbeit ist dort ohnehin nicht möglich und mein Einkommen reicht auch bei Vollzeitarbeit nicht aus, um eine Kinderbetreuung zu organisieren und zu bezahlen. Heute rate ich allen Frauen, bei aller Verliebtheit auch an ihre Versorgung zu denken. Gefühle können sich schnell ändern."
Seit Ursula von der Leyens Zeit im Familienministerium während der Großen Koalition (2005-2009) fördert der Staat ganz gezielt die volle Berufstätigkeit von Müttern. Es wurde die bezahlte Elternzeit eingerichtet, um hoch qualifizierte Frauen zu motivieren, Kinder zu bekommen. Berufstätige Mütter können 14 Monate zu Hause bei ihrem Kind bleiben und es selbst versorgen, statt es - wie es früher üblich war - nach der gesetzlichen Mutterschutzfrist (6 Wochen vor und 8 Wochen nach der Geburt) in Fremdbetreuung zu geben. Nebenbei wurde von der Familienpolitik aber auch das Ziel verfolgt, Frauen finanziell unabhängiger zu machen und die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass jede Frau ihre eigene Altersvorsorge erwirtschaftet. Das allerdings geht nur mit Vollzeitbeschäftigung.
Inzwischen hat man auch den Eindruck, dass die nicht berufstätigen Mütter in eine Rechtfertigungshaltung gedrängt werden, weil man ihnen unterstellt, den Staat zu schädigen, weil sie das Bruttosozialprodukt nicht mehren, sondern oft auf staatliche Unterstützung angewiesen sind und auch später von Altersarmut bedroht sein könnten und dann der Allgemeinheit zur Last fielen.
Die Mutterliebe als wesentliches Merkmal der „idealen Mutter"
Unter Mutterliebe wird allgemein die reinste, innigste und selbstloseste Liebe verstanden und damit ist sie stark idealisiert und Teil des Mythos von der „idealen Mutter".
Mutterliebe war schon im Alten Testament ein Thema:
Zwei Frauen streiten sich um einen Säugling. König Salomo soll entscheiden, wer die richtige Mutter ist. Er lässt sich ein Schwert bringen und sagt, er wolle das Kind in zwei Hälften teilen. Daraufhin verzichtet die eine Frau sofort: Lieber soll das Kind bei der anderen aufwachsen, als getötet zu werden. König Salomo wertet das als Zeichen echter Mutterliebe.
Auch heute wird Mutterliebe vielfach immer noch mit selbstloser Aufopferung für die Kinder gleichgesetzt. Die Bindungsforschung beginnt erst heute zu verstehen, wie das große Gefühl einer Mutter entsteht und warum Mütter für ihre Kinder tatsächlich vieles tun, was sie für keinen anderen Menschen auf sich nehmen würden.
Was ist Mutterliebe? Ist sie ein euphorisches Gefühl, das sich direkt nach der Geburt wie auf Knopfdruck einstellt, oder eher eine langsam wachsende Zuneigung? Ist sie ein Trick der Natur, angeboren oder unbewusst erlerntes Verhalten? Wie entsteht dieses Gefühl, das viele als die stärkste Bindung ansehen? Sind es die Hormone, die für Mutterliebe verantwortlich sind, oder doch eher die Erziehung? Denn schließlich gibt es ja auch Frauen, die ihre Kinder misshandeln oder sogar töten - was geschah mit deren Mutterliebe?
Während der Geburt eines Kindes schüttet der weibliche Körper große Mengen an Endorphinen aus. Sie haben schmerzlindernde Wirkung, ähnlich wie Morphine, und sind außerdem angstlösend. Wenn das Kind geboren ist, endet der Schmerz zwar, der Endorphinspiegel ist jedoch nach wie vor sehr hoch: Die Mutter ist quasi high, im Rausch körpereigener Drogen.
Außer den Endorphinen wird noch ein weiteres Hormon während des Geburtsvorgangs ausgeschüttet: das Oxytocin. Es gilt als Bindungshormon und entsteht während der Geburt. Eine weitere Dosis des Botenstoffes schüttet das Gehirn beim Stillen aus. Bereits in den ersten Monaten der Schwangerschaft konnten israelische Forscher nach einer 2007 veröffentlichten Studie schon Oxytocin in stärkerer Dosierung nachweisen, als dies bei nicht schwangeren Frauen der Fall war. Und sie fanden heraus: Je höher der Oxytocin-Spiegel der Mutter während der Schwangerschaft war, desto intensiver beschäftigten sich die Frauen anschließend mit dem Kind und desto stärker waren sie ihm zugewandt. Das wäre eine mögliche Erklärung dafür, warum Mütter ihre Babys auch dann nicht verstoßen, wenn sie in einer Kaiserschnitt-Entbindung unter Vollnarkose geboren wurden.
Bedeutenderer scheinen aber Lernfähigkeit und Erfahrung zu sein, was übrigens nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Affen dazu führt, dass sie Babys adoptieren und liebevoll großziehen können.
Schafe dagegen lehnen ihre Lämmer ab, wenn sie durch Kaiserschnitt unter Narkose zur Welt kommen. Auch wenn ein Lamm direkt nach der Geburt von der Mutter weggenommen wird, nimmt sie es nicht an, wenn man es ihr nur wenig später zurückgibt. Menschen dagegen können Mutterliebe erlernen. Bindungsforscher haben herausgefunden, dass es Frauen, die selbst eine liebevolle, zärtliche Mutter hatten, deutlich leichter fällt, ihre Kinder ebenso zu behandeln.
Bei Menschen, die durch häufigen Umgang bereits viel Erfahrung mit Kindern gesammelt haben, sind keine Hormonschübe mehr nötig, um mütterliches Verhalten auszulösen. Hier genügen kleinere Reize wie beispielsweise der bloße Anblick eines Babys.
Es ist auch richtig, dass sich Mutterliebe im Laufe der Jahre verändert. Sie wird nicht mehr oder weniger, sondern anders. Sie verändert sich mit ihren Aufgaben, und das ist gut und wichtig so! Denn liebten wir einen Dreijährigen auf die gleiche Weise wie einen Säugling oder eine Fünfzehnjährige so wie eine Siebenjährige - dem Kind täte es nicht gut. Damit Kinder sich in der Pubertät ablösen können, brauchen sie die Unterstützung ihrer Mütter, die bereit sind, Distanz zuzulassen. Und einen Dreijährigen, dessen Bedürfnisse wir so umgehend befriedigen wie die eines Säuglings, bringen wir um die „optimale Frustration", die er braucht, um sich gut entwickeln zu können.