Katzmann und das schweigende Dorf. Jan Eik

Katzmann und das schweigende Dorf - Jan Eik


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wirkte auf Konrad wie eine Filmkulisse.

      Siegfried machte einen todunglücklichen Eindruck. «Wenn wenigstens der Gunther erwachsen wäre», sagte er. «Das ist der geborene Landwirt. Und er kann rechnen. Besser als ich jedenfalls.»

      «Du würdest auf dein Erbe verzichten?», fragte Konrad erstaunt.

      Siegfried sah ihn an. «Lieber heute als morgen», entgegnete er melancholisch. «Wenn ich an den kommenden Streit denke, graut’s mir.»

      «Worüber werdet ihr streiten? In eurer Familie ging es doch immer ganz einträchtig zu …»

      «Einträchtig!» Um Siegfrieds Mund zeigte sich ein ungutes Lächeln. «Hast du schon mal Eintracht erlebt, wenn’s ums Geld geht?»

      Dazu schwieg Konrad vorsichtshalber.

      «Es ist nämlich keins da», fuhr Siegfried bitter fort. «Kaum ein Pfennig, wenn du’s genau nimmst. Sogar das hier» - er wies mit einer weit ausholenden Handbewegung auf die Tafel - «geht erst mal auf Kredit.»

      Konrad verstand nicht. Den Geislers war es immer gutgegangen, und Ferdinand hatte als ein gescheiter Landwirt gegolten.

      «War die letztjährige Ernte so schlecht?», erkundigte er sich.

      Wieder lachte Siegfried mit diesem unguten Zug um den Mund. «Die war so gut wie selten», sagte er. «Glücklicherweise haben wir noch was davon in der Kammer, trotz der Zwangswirtschaft. Aber das Bargeld …» Er streckte die Handfläche aus und pustete darüber. «Das ist fort. Auf Nimmerwiedersehen.»

      «Und wohin?»

      «Das musst du die Mörder fragen. Der Vater hat es bei sich getragen.»

      «Wohin wollte er damit?»

      Siegfried hob die Schultern. In seinem feierlichen Bratenrock wirkte er wie ein verkleideter Boxer. «Das ist immende das große Geheimnis.»

      Konrad pfiff leise durch die Zähne. Immende gehörte wie egal und mancher andere Begriff zu den stehenden Redewendungen im Dorf. «Sprich mal genauer», forderte er, auf Siegfrieds Tonfall eingehend, doch der schüttelte den Kopf. Als Konrad sich umwandte, rollte geradewegs die Kugelgestalt Arthur Fiallas auf ihre Gesprächsecke zu.

      «Nicht jetzt und nicht hier», sagte Siegfried nur, blieb jedoch sicherheitshalber bei Konrad stehen. Er erwartete nichts Gutes von dem Zusammentreffen Fiallas mit dem Besucher aus der Stadt.

      So war es auch. Der Wachtmeister zerrte sein umfangreiches Notizbuch aus dem blauen Uniformrock und erkundigte sich barsch nach Konrads Namen und dem Grund seiner Anwesenheit. Der hielt es für unpassend, dieser kugeligen Amtsperson etwas von einem Zufall zu erzählen, der ihn hergetrieben habe. Unter Vorzeigen seiner Presselegitimation erklärte er ganz kühl: «Ich bin der Korrespondent der Leipziger Volkszeitung. Wie ich höre, hat es hier einen bisher unaufgeklärten Mord gegeben. So etwas interessiert unsere Leser.»

      Fialla schnappte förmlich nach Luft. Mit der Presse hatte er wahrlich nicht gerechnet und schon gar nicht mit der Frage, die Konrad Katzmann seiner Erklärung sofort hinterherschob: «Wie weit sind denn die polizeilichen Ermittlungen gediehen?»

      «Das geht Sie gar nichts an!», schnauzte Fialla zurück, und gleichzeitig fiel ihm etwas geradezu Geniales ein. «Sie befinden sich hier auf thüringischem Territorium!», donnerte er. «Wir benötigen keine Leipziger Schmieranten, die unsere Ermittlungen behindern!»

      «Inwiefern?», fragte Konrad höflich.

      Fiallas ohnehin gerötetes Gesicht begann zu glänzen. «Insofern, dass Leipzig bekanntlich in Sachsen liegt und hiesige Straftaten damit absolut nicht in die lokale Berichterstattung Ihres Blattes fallen!» Mit Mühe unterdrückte er weitere Bemerkungen über die politische Richtung der LVZ. In Thüringen wie in Sachsen herrschten im Augenblick nun einmal die Roten, da verkniff man sich als Beamter besser jede kritische Stellungnahme.

      Scheinbar überrascht mischte sich Siegfried Geisler ein, der das Geplänkel bisher schweigend verfolgt hatte: «Nu gucke! Sind Sie plötzlich nicht mehr der Ansicht, mein Vater sei jenseits der Grenze in Sachsen aufgefunden und vermutlich auch ermordet worden? Von einem Täter, der aus Penig oder Waldenburg stammt?»

      Fialla war dicht davor, die Beherrschung zu verlieren. Mit dem Sohn des Ermordeten durfte er es sich jedoch nicht verderben. Der aus Altenburg angereiste Kriminalsekretär Felgenträger hatte ihm hinter vorgehaltener Hand versichert, mindestens die Hälfte aller ländlichen Morde gehe auf Erbstreitigkeiten oder andere Familienauseinandersetzungen zurück - das gelte es in diesem Fall besonders zu beachten, da es angeblich um so viel verschwundenes Geld ging, das kein Zeuge je gesehen hatte. Von dem erfahrenen Kollegen stammte auch der Rat, am Begräbnis und dem anschließenden Leichenschmaus teilzunehmen und ein wachsames Auge auf Fremde wie Verwandte zu richten.

      Anscheinend hatte der Herr Kriminalsekretär selber bei seinen Befragungen im Dorf und in der Familie nichts Bedeutungsvolles herausgefunden, und Fiallas Behauptung, der oder die Mörder müssten aus Sachsen stammen, durchaus Wohlwollen entgegengebracht. Von einem Vieh- oder sonstigen Händler namens Franz Rogowski war die Rede, den der Ermordete angeblich in Penig habe treffen wollen, und Penig lag nun einmal in Sachsen.

      Jetzt saß Fialla in der Tinte. «Alle Ermittlungen fallen unter das Amtsgeheimnis!», sagte er hitzig und wollte sich abwenden.

      «Ich wollte eigentlich nur wissen, in welcher Form ich durch meine bloße Anwesenheit Ihre Ermittlungen behindere», fragte Konrad. «Ich unterhalte die denkbar besten Beziehungen zur sächsischen Kriminalpolizei. Wenn ich Ihnen da in irgendeiner Weise behilflich sein kann …»

      Alles, was Fialla dazu einfiel, war eine ärgerliche Handbewegung. «Danke. Nicht notwendig», schnarrte er und kugelte davon.

      AN KONRAD KATZMANN hatte Siegfried zuallerletzt gedacht, als es darum ging, in aller Eile die Traueranzeigen zu verschicken. Jetzt kam ihm der alte Freund gerade recht. Weshalb hatten die Katzmanns nicht auf Annis Liste gestanden? Gewiss, in diesen Zeiten war nicht einmal mehr die Post zuverlässig. Alles war durcheinandergeraten. In der Druckerei in Altenburg hatten sie dem Vater ein falsches Geburtsdatum verpasst und alles neu drucken müssen, und die Leiche war überhaupt erst in letzter Minute für die Beisetzung freigegeben worden. Bis nach Leipzig oder Weimar hatten die Medizinmänner Ferdinands Körper verschicken wollen. Geöffnet und wieder zugenäht hatte ihn dann doch der amtliche Doktor in Altenburg und dabei nichts anderes feststellen können als das, was die Familie bereits an jenem schwarzen Donnerstag in der guten Stube herausgefunden hatte: Ein tiefer Stich mit einem etwa drei Zentimeter breiten Messer hatte das Leben des kerngesunden und gerade erst 53-jährigen Hofbesitzers jäh beendet.

      Erst vierzehn Tage zuvor hatten sie seinen Geburtstag gefeiert, und Siegfried fühlte sich unbehaglich, als er Konrad davon erzählte. Der junge Geisler, der bei Hainich schon einiges auf das große Unglück getrunken hatte, war froh gewesen, dem sich allmählich lockernden Leichenschmaus zu entkommen und mit Konrad zum Geisler’schen Hof, der nun der seine war, zurückzukehren. Wegen der Anreise der Verwandten zur Trauerfeier war ausnahmsweise der gewaltige Kachelofen in der guten Stube geheizt worden. Dort saßen sie nun warm und gemütlich beim Schein der einzigen Glühbirne, und Siegfried schüttete sein Herz aus. Von Zeit zu Zeit machte er lange Pausen und starrte sinnend aus dem Fenster, vor dem sich die Dämmerung auf das Tal senkte.

      Anfangs kam er nicht los von dem väterlichen Geburtstag. Beinahe den ganzen Abend hatten sie alle miteinander gestritten, und es hatte nicht viel gefehlt, dass es zwischen dem alten Heinrich und Ferdinand zum endgültigen Zerwürfnis gekommen wäre. Er selber, der sonst kaum aufbegehrende Sohn, hatte sich zu Ferdinands Erbitterung den Ansichten des Großvaters angeschlossen. Lydia hatte sich wie immer aus allem herausgehalten und nur ab und an eine spöttische Bemerkung bezüglich ihrer Mitgift eingeworfen, die die Stimmung eher aufgeheizt hatte. Schließlich hatte Mutter Anni sich mit ungewohnter Schärfe eingemischt und das Ende jeglicher Zänkerei gefordert. Es gäbe da noch ganz andere Themen, über die es sich zu streiten lohne, hatte sie mit deutlicher Drohung geäußert, und Ferdinand hatte eingelenkt. Gemeinsam hatte man noch einen


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