Opak. Matthias Falke

Opak - Matthias Falke


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das fokussierte Schwarz der Videoschirme. Ein entsetzlicher Schrei und ein kreidiges Sägen erstarben in den Lautsprechern. Sonderbar aufgefetzt und zerbläht trieb der leblose Körper davon.

      »In düstrem Schweigen richtet Gott.«

      Carlssen sah konzentriert auf die Grafiken, die unverändert die pulsierende Blase des Opak nachzeichneten.

      Nach Gus’ Tod wurde es noch gespenstischer auf der Dorset. Woche um Woche verging und allmählich stieg der Verdacht in ihnen auf, dass sie es niemals mehr fertigbringen würden, die Flugbahn des Opak zu verlassen und die Erde anzufliegen, deren Orbit längst das nähere Ziel als die Leibniz war. Sie unterquerten den Asteroidengürtel, durch ihre Neugier und durch seine Unerklärbarkeit an das Objekt festgekettet, auch wenn sie ihm kaum noch Aufmerksamkeit schenkten. Luna III war inzwischen zu der Überzeugung gelangt, dass es sich um ein ungefährliches und ansonsten uninteressantes Phänomen handle. Die Flugbahnberechnungen ergaben, dass es die Erdbahn an einer Stelle passieren würde, die um fast 90° von der aktuellen Position unseres Heimatplaneten versetzt sein würde. Man gab ihnen freie Hand für die weiteren Beobachtungen und überließ sie unserem unersättlichen Überdruss. Mehrere Spaziergänge, die Theresa von Carlssen oder Silesio begleitet unternahm, wiederholten die Eindrücke ihres ersten. Auch die Männer sahen das seltsame hauchfeine Linienspiel, das eine unbeschreibliche Kontur der substanzlosen Oberfläche nachzuzeichnen schien. Darüber hinaus gewannen sie keine Erkenntnisse. Mehrere Dutzend Drohnen und Roboter umschwärmten das Objekt und lieferten unvorstellbare Massen an nutzloser Information. Silesio differenzierte seine Beschreibungen; er unterschied, je näher wir den geostationären Teleskopen kamen, erst ein Alpha-I- von einem Alpha-II-Opak, um später noch ein Gamma- sowie ein asymptotisches Delta-Objekt, das sich innerhalb der virtuellen Beschreibungen auf einer mathematischen Metaebene befand, zu definieren. Sie vermaßen das Nichtexistente und trieben dabei die Kartografie des Unerklärlichen zu höchster Perfektion. Die Dorset durchschnitt die Mars- und die Erdbahn und näherte sich dem friedvollen Reich der Venus. Die Abschirmung musste erhöht werden, da sich die Bugschilde zu erhitzen drohten. Für sonnennahe Missionen war das Schiff nicht konstruiert; es operierte für gewöhnlich in interstellarer Arktis. Einige Abende vor dem Ereignis hatten Carlssen und Silesio ein langes Gespräch.

      »Wie habt ihr’s, Guter, mit der Religion?« Der Commander hatte aufgepasst und ließ seinen Läufer diesmal, wo er war.

      »Du weißt: Ich bin überzeugter Skeptiker und von Geburt an Atheist.«

      »In den letzten Wochen wirkst du – verändert.«

      »Obwohl ich nach Erdzeit über hundert Jahre alt bin, versuche ich, auf neue und fremdartige Phänomene zu reagieren.« Silesio wandte den Blick nicht von dem Steckschach ab, das er vor einem Menschenalter auf einem indischen Basar erstanden hatte. »Und wenn das da draußen kein ungewöhnliches Phänomen ist, weiß ich nicht, was das Wort bedeutet.«

      »Es erschüttert dein agnostizistisches Weltbild?« Carlssen setzte zögernd einen weiteren Bauern vor und bereute es im selben Moment.

      »Man sollte meinen, dass ein Skeptizismus – mit kräftiger Stoa gewürzt – durch nichts aus der Fassung zu bringen ist. Und doch beunruhigt mich dieses Nichtobjekt mehr, als ich mir bisher erklären konnte.«

      »Durch seine Existenz oder durch sein Verhalten?« Der Commander sah fühllos zu, wie die Phalanx seiner Bauern dahingemetzelt wurde.

      »Durch sein Nichtverhalten. Diese sentimentale Opernphrase, die du nach Gus’ Amoklauf …«

      »In düstrem Schweigen …«

      »… richtet Gott. Da hast du – und es wäre unhöflich, zu unterstellen, dass es unbewusst geschah – den Kern dieses beunruhigen Phänomens am Schopf gepackt.«

      »Den Nagel auf den Kopf getroffen.« Carlssen trat die Flucht nach vorne an und bot dem gegnerischen König mit gelenkigem Springer Schach!

      »Die Nichthandlung zur Handlung gemacht, das Nichtsein zum Sein uminterpretiert.«

      »Es war eigentlich eher gedankenlos …«

      »Das Ding hat nicht reagiert und, seit wir es beobachten, in keiner Weise gehandelt. Wenn man von irgendetwas sagen kann, dass es einfach nur da ist, dann von diesem Objekt.« Silesio ließ den Springer unter einem Turm verschwinden und ging zum Gegenangriff über. »Das war Gus’ Verhängnis, dass er auf etwas stieß – und eben nicht ›stieß‹ –, das seiner Attacke keinen Widerstand bot. Er rannte nicht offene Türen ein, sondern setzte den Rammbock an, wo weder Tür noch Rahmen war.«

      »Das hob seinen Verstand aus den Angeln.«

      »Er konnte nicht verstehen, dass es Dinge gibt, die er nicht verstehen konnte.« Silesio ließ seinen Läufer die Flanke wechseln und startete ein Umzingelungsmanöver. »Machbarkeitsfanatiker! Das ist das Sonderbare, dass ausgerechnet diese handwerklich begabten Schraubenschlüssel-Geister, die nun wirklich nicht sehr umfassend unterrichtet sind, sich nicht vorstellen können, dass es Phänomene gibt, die ihr Vorstellungsvermögen übersteigen. Es bedarf schon einer weit gespannten Bildung, um die Grenzen des eigenen Intellektes zu erfassen. Und erst ein Sokrates, der den Horizont menschlicher Möglichkeiten einmal umschifft hat, darf dann von sich sagen, dass er weiß, dass er nichts weiß.«

      »Das ist dein Lieblingsthema, ich weiß.« Carlssen unternahm eine illusionslose Rochade, von der er wusste, dass sie das Ende nur hinausschieben konnte.

      »Der Erkennende gelangt dahin, alle Erkenntnis zu relativieren.« Er hatte mit seinem Bauern die Ziellinie erreicht und stellte Carlssens König mit der neu erstandenen Dame ins Schach.

      »Matt!« Der Commander streckte die Waffen und schnippste das weiße Figürchen in den Staub.

      »In der Welt der Phänomene ist das Bewusstsein nur eine Randerscheinung.«

      »Aber wo sind die Erscheinungen ohne den, dem sie erscheinen?«

      Carlssen begann mit unverhohlenem Missmut, ein neues Spiel aufzustellen.

      »Das Opak existierte, bevor es von uns kontaktiert wurde. Die Bahndaten deuten darauf hin, dass es von außerhalb des Sonnensystems, vermutlich von außerhalb der Milchstraße stammt. Glaubst du wirklich, es wäre in seiner Existenz davon abhängig, dass wir es orten, längsseits gehen und verständnislos anglotzen? Es schert sich nicht darum, ob wir es zur Kenntnis nehmen.«

      »Vielleicht will es uns gerade dadurch – etwas sagen …« Carlssen probierte lustlos eine neue Eröffnung.

      »Hast du das von Groenewold? Jeder Student weiß um den Unterschied, der zwischen dem Messergebnis ›0‹ und keinem Messergebnis besteht. Ein positives Ergebnis des Wertes ›0‹ kann man interpretieren, wo kein Ergebnis vorliegt, gibt es nichts zu deuten. Und wir haben hier kein Ergebnis.«

      »Aber was hat es zu bedeuten, dass wir, trotz unglaublicher Anstrengungen, keine Ergebnisse erhalten? Offensichtlich ist es nicht einfach indolent, sondern widersetzt sich unserer Erkenntnisapparatur.«

      Silesio brachte seinen getreuen Springer in Position.

      »Mich beunruhigt nur, dass da offensichtlich etwas ist.«

      »Und nicht nichts. Ich glaube nicht an einen Gott. Ich bin überzeugt davon, dass es keine moralische Weltordnung, keine Seele, kein Leben nach dem Tode gibt. Mein metaphysisches Bedürfnis hat sich ganz auf die eine Frage zurückgezogen, die nach aller rationalistischen Tabula rasa bestehen bleibt und über die wir uns niemals werden hinwegsetzen können, wie mein Pferd hier über die tumbe Batterie deiner Bauern. Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?« Silesio hatte die Stimme zur Rezitation erhoben und seinen Commander feierlich angesehen. Jetzt lehnte er sich zurück und schob ihm das Spielbrett mit müder Geste zu. »Schachmatt, übrigens. In vier Zügen. Du bist nicht bei der Sache.«

      Carlssen würdigte seinen matten König keines Blickes mehr. Der Chefideologe fuhr fort.

      »Es gibt nur diese eine Frage und zugleich wissen wir, dass wir sie niemals beantworten werden. Leider habe ich auch die fromme Illusion, in hora mortis würden wir der Wahrheit ins strahlende Angesicht


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